Elias Schneitter
Das Klimaticket ist ein großer Erfolg!
Notizen

Wieder einmal stand eine Wienfahrt an. Meine Begleiterin hat sich kürzlich ein neues Auto (Diesel) zugelegt und machte den Vorschlag, dass wir damit die Fahrt antreten sollten. Ich lehnte natürlich ab, weil ich stolzer Besitzer eines Klimatickets bin.

Seit es dieses tolle Angebot gibt, sind die Züge meist restlos vollbesetzt, sodass man ohne Reservierung eine Fahrt erst gar nicht antreten sollte. Die guten alten Bahnfahrten mit reichlich Platz gehören inzwischen der Vergangenheit an. Ich weiß, wovon ich rede, denn seit gut 45 Jahren pendle ich nun zwischen Tirol und Wien hin und her.

Obwohl wir frühzeitig gebucht haben, konnten wir grad noch mal zwei Plätze im Familienabteil ergattern. Wir stiegen in Innsbruck ein und kämpften uns an unsere Plätze durch. Viele junge Menschen mit Rücksäcken, so groß wie jene der Himalaya Sherpas, drängten herein, wobei man auch stets achtgeben muss, dass man bei einer überraschenden Bewegung des Vordermanns (Frau?) nicht eine abbekommt. Die Gepäckablage war hoffnungslos vollgestapelt, denn die Reisenden sind zumeist auch noch mit Koffern, die an Kleiderschränke erinnern, unterwegs. Aber irgendwie irgendwo ließ sich alles verstauen.

Seit es das Klimaticket gibt, habe ich schon erlebt, dass Garnituren so überfüllt waren, dass man auf spätere Züge ausweichen musste. Das Klimaticket ist einfach ein voller Erfolg.

Wegen der übervollen ÖBB Züge wechselte ich vorübergehend zur Westbahn. Da waren die Waggons eine Zeitlang nicht so überfüllt wie bei den ÖBB. Von Vorteil war auch (abgesehen davon, dass keine Reservierungsgebühr anfiel) die Möglichkeit am Westbahnhof einzusteigen. Dieser ist mir sympathischer als der Hauptbahnhof. Sehr bald aber war auch die Westbahn stets ausgebucht, wobei hier die Sitzplätze von ihrer Dimensionierung her viel enger und ungemütlicher sind als bei den ÖBB.

Aber jetzt wieder zurück ins family-Abteil.

Vor und neben uns saß jeweils eine Frau mit ihrem Sohn. Die zwei hatten sehr viel Bewegungsdrang, man hätte sie auch als Ritalin-Knirpse bezeichnen können. Sie turnten lautstark auf ihren Müttern herum, einer wollte in Kungfu-Manier mit seiner Mutter kämpfen und versetzte ihr sportliche Hiebe. Sie versuchte ihn zu beruhigen und begann ihm eine Geschichte vorzulesen. Es ging um ein braves Mädchen, das sich um arme behinderte Kinder in Afrika kümmert. Aber die Mutter kam über die ersten paar Sätze nicht hinaus, ehe der Bub wieder seine Kampfhaltung einnahm.

Die andere Mutter stülpte ihrem Spross, um ihn etwas ruhig zu stellen, riesige Kopfhörer über die Ohren und setzte ihn vor das Tablet. Dort wurde aber auch heftig gefightet und der Knabe nahm lautstark und mit kräftiger Stimme (ein Talent für einen künftigen Opernstar) an den Kämpfen teil. Wumm, Wamms und Bamms usw. Die Mutter wiederum suchte vergeblich nach ihren Ohrstöpseln.

Getrieben von meinen Vorurteilen kam mir böse in den Sinn: Alleinerziehende mit ihren Einzelkindern.

Schräg gegenüber am Vierertisch saß eine Damenrunde, die einige Snacks verzehrte und mit Prosecco anstieß. Sie hatten mitgebrachte Gläser aus Glas dabei – die Damen hatten Stil – und stießen freudig an.

Zwei andere Kinder benützten den Zwischengang als Rennbahn, schlängelten sich temporeich von einem Ende zum anderen und taten dies in Strumpfsocken und wie es der Teufel haben wollte, gab´s eine überraschende Bremsung und ein Glas fiel hinunter, Scherben.

Ein kleiner Auflauf zwischen den Damen und den beiden Müttern war die Folge, aber es gab keine Verletzungen.

In Salzburg stiegen die vier vornehmen Damen aus. Wahrscheinlich machten sie sich auf den Weg zu Jedermann. Ihren Platz nahmen dann vier junge Tramper ein, packten ihre Essenkartons aus und es verbreitete sich der Duft eines Kebab Standes. Herrlich.

Highlight jeder Fahrt nach Wien ist dann der Bahnhof St. Pölten. Da kommen die zahlreichen Pendler für die kurze Strecke bis Wien. Ab jetzt ist der Zug wirklich vollgestopft. Es gibt kein vor und zurück mehr. Umfallen unmöglich und kurz hat man den Eindruck sich in einem südamerikanischen Dschungelexpress zu befinden. Es fehlen nur noch die Hühnersteigen und die Schweinchen als Mitgefährten.

Endlich in Meidling und endlich wieder in Wien.

Man muss es ehrlich sagen: Das Umweltticket, das diesen Boom an Zugbenützern ausgelöst hat, ist eine ganz großartige Sache. Wenn man bedenkt, dass jedes einzelne Ticket vom lieben Staat noch mit 1.600 € (auch meins) zusätzlich gesponsert wurde, kann man nur sagen: Wer hat, der kann. Und unsere vorhergehende Regierung muss es wirklich gehabt haben.

In Meidling am Bahnsteig meint meine Begleiterin trocken: Unsere nächste Fahrt ist aber dann mit dem Auto. Ich nicke und sage: Ja! Und jetzt brauche ich einen Verlängerten.


Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.


Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen

Elias Schneitter

Elias Schneitter lebt in Wien und Tirol. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt der Erzählband „Civetta“ (baes) und der Roman „Ein gutes Pferd zieht noch einmal“ (Kyrene Verlag) und der Gedichtband „Zirler Blues“ (baes). Daneben Tätigkeit als Kleinverleger der edition baes (www.edition-baes.com), in der ein Schwerpunkt auf die Veröffentlichung von Literatur aus der US-amerikanischen Subkultur gelegt wird. Schneitter ist Mitbegründer und Kurator beim internationalen Tiroler Literaturfestival „sprachsalz“ (www.sprachsalz.com) bis 2023 in Hall, seit 2024 in Kufstein.

Schreibe einen Kommentar