Egyd Gstättner
Verdammte Wichser:Innen
Oder:
Ich trete aus Kärnten aus!
Die Mechanismen des Literaturbetriebs
Analyse
Eigentlich hätte der Roman Guten Morgen, wie geht es dir? für den lächerlichsten Titel des Jahres 2024 nominiert werden sollen. Tatsächlich gewann die Autorin damit gleich den deutschen Buchpreis. Der entsetzte ausgebootete Schriftstellerkollege Clemens M. überlegte sich, was er tun könne, seinen unbepreisten Roman zu retten und verfiel auf die Idee, bei der feierlichen Preisverleihung in Frankfurt wutentbrannt aus dem Publikum zu steigen und die Jury als verdammte Wichser zu beschimpfen. Immerhin hatte der Elende 35.000.- Euro Schulden und musste seine Scheidung finanzieren…
Und siehe da: Dank dieser genialen Marketing-Intervention war das gesamte deutschsprachige Feuilleton von Kiel bis Graz 14 Tage später voll von Clemens M., während niemand mehr die Frage Guten Morgen, wie geht es dir? hören wollte, geschweige denn beantwortete.
So funktioniert der (schöne deutsche) literarische Markt heute. Wie die meisten Literaturbetriebsmoderomane ist auch der Roman von Clemens M. eine Herausforderung, eine (natürlich: grandiose) Zumutung, eine vielstimmige, eitrige Fieberfantasie (können Fantasien eitern?), eine unbändige Wortflut (Wortfluten sind allerdings alle Romane…), die mäandert und irrlichtert…
Gleichzeitig hatte es mein Fußball-Roman (vom österr. Feuilleton unbeachtet) Der große Gogo auf die Short List des Fußballbuchs des Jahres 2024 der Deutschen Akademie für Fußballkultur in Nürnberg geschafft. Ich hatte schon vor der Preisverleihung erfahren, dass mein Roman – vom unbedeutenden Landstrich Kärnten aus – ohne zu mäandern und irrzulichten immerhin Dritter im gesamten deutschsprachigen Raum geworden war. Das war mir dennoch zu wenig, aber anstatt die Jury als „verdammte Wichser“ zu bezeichnen, bin ich, statt nach Nürnberg zu fahren, ganz einfach zu Hause in Klagenfurt geblieben. (Ich bin ein Sir!)
Das Feuilleton blieb traditionell in Deckung. Gute Nacht, geht so! Für den österreichischen Buchpreis komme ich heuer in Ermangelung eines im Mäandertal mäandernden Nichtfußball-Romans zum Glück (= Seelenruhe) nicht in Frage.
Aber jetzt ist mir gerade aufgefallen, dass ich nicht einmal hier in diesem unbedeutenden Landstrich rund um meinen Schreibtisch den Literatur-Würdigungspreis des Landstrichs bekommen habe: Heuer nicht und nie in meinem Leben! Jüngere, Unbedeutendere, Namenlosere, um ein Vielfaches Publikationsärmere werden mir hartnäckig mäandernd vorgezogen!
Wie könnte ich die Jury, den hiesigen Literatur-Fachbeirat, in meiner Wut bezeichnen? Ich grüble und grüble. Der liebe Landeshauptmann, mein Badenachbar im Strandbad, hat mir am Steg von Badegast zu Badegast gesagt, er wolle und könne und dürfe sich in die Entscheidungen seines Beirats natürlich nicht einmischen (auch wenn er nicht immer einer Meinung mit ihm sei).
Dagegen biete er mir quasi als Entschädigung das Ehrenzeichen des Landes an, das er persönlich verleihe. Ich will aber kein Ehrenzeichen, sondern das, was mir aufgrund meines Werks längst zusteht! Bei Clemens M. wird das Preis-GELD ja auch eine Rolle gespielt haben – schon wegen Schulden und der Scheidung… Verdammte Wichser kann ich trotzdem nicht schimpfen, weil im Literaturbeirat etliche Frauen sitzen – ich müsste gendern (Wichserinnen?), und das ist mir ehrlich gestanden zu heikel und zu unappetitlich.
Jetzt ist mir stattdessen die Idee gekommen, wie andere ihre Staatsbürgerschaft zurücklegen, aus Protest meine Bundesländerschaft zurückzulegen, aus Kärnten auszutreten, das Wort Kärnten in Zusammenhang mit mir zu untersagen und mich von der Konkurrenz engagieren zu lassen.
Merket also auf, Bundesländer dieser Republik: Ich bin ablösefrei! Bis ich ein neues Bundesland habe, bitte ich das Feuilleton, mich ausschließlich als Südösterreichischen Schriftsteller zu bezeichnen!
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clemens meyers roman „die projektoren“ sollte man meiner ansicht nach nur lesen, wenn man ein gehöriges maß an masochismus mitbringt. geschwafel auf höchstem niveau!
noch quäle ich mich durch, wills einfach schaffen, denn aufgeben ist so gar nicht meins.
„… Ich will aber kein Ehrenzeichen, sondern das, was mir aufgrund meines Werks längst zusteht! …“
Ich bin etwas verwundert darüber, dass ein Autor himself, das im „Zustehende“ einfordert. Also: Missachtung und/oder Nichtbeachtung, Ignoranz und Gleichgültigkeit, prekäre Jobs und allgemeinen Struggle, von der Jugendarmut direkter Übergang in die Altersarmut, Verzweiflung und Trunksucht, Neid- und Wutattacken, und doch: hin und wieder eine wohlwollende Rezension …
Hab ich was vergessen und/oder ganz falsch verstanden?