Dietger Lather
Österreich braucht Migration.
Teil 2:
Diese Art der Integration
führt zu Parallelgesellschaften.
1. Teil des Essays: https://schoepfblog.at/dietger-lather-oesterreich-braucht-migration-essay/
Die Botschaft in Teheran
Kurz vor Mitternacht habe ich die Seite der österreichischen Botschaft in Teheran geöffnet. Nach dem Formular suche ich nicht mehr. Es muss immer wieder ausgefüllt werden, um einen Termin in der Botschaft zu erhalten. Die Daten der Frau, die zu ihrem Mann nach Österreich ziehen will, kenne ich beinahe auswendig. Jeden Abend cut and paste ins jungfräuliche Formular hinein. Unmittelbar nach Mitternacht fällt der Finger auf Enter. Die Botschaft der Botschaft war zu erwarten. Leider ist in den nächsten sechs Monaten kein Termin frei. Alle Eingaben werden gelöscht.
Die Frau hat in Teheran ihr Studium abgeschlossen und möchte nach fünf Jahren ihren Mann nicht nur während seines Jahresurlaubes sehen, sondern das ganze Jahr über. Ihn unterstütze ich beim Familiennachzug. Alleine hätte er das Formular im Terminreservierungssystem der Republik Österreich nicht ausfüllen können. Die Behördensprache und Ausfüllanweisungen übersteigen nicht nur seine Deutschkenntnisse. Er dürfte sich in guter Gesellschaft mit vielen Muttersprachlern wiederfinden.
Nach mehreren vergeblichen Versuchen, zu büroüblichen Zeiten, einen Termin zu erhalten, wandte ich mich an das Rote Kreuz, die ebenfalls Familienzusammenführungen unterstützen. Auch sie hätten Schwierigkeiten, war die entmutigende Auskunft.
Bakschisch für einen Termin
Die Mails an das Außenministerium wurden sehr höflich und schnell beantwortet. Gemäß den Regularien werden Termine an den Botschaften des Außenministeriums nur durch die Botschaften vergeben. Dazu sei das Terminreservierungssystem der Republik Österreich zu nutzen. In Teheran würden derzeit sehr viele Anträge gestellt werden, weshalb bedauerlicherweise längere Wartezeiten zu verzeichnen wären.
Irgendwann erlahmt bei jedem Ehrenamtlichen die Bereitschaft, sich jede Mitternacht erneut frustrieren zu lassen. Das Mail an die Botschaft in Teheran wurde genauso freundlich und schnell beantwortet, wie vom Außenministerium. Mir wurde das Terminreservierungssystem in allen Einzelheiten erklärt. Vergeudete Lebenszeit. Doch das Mail enthielt eine neue, Hoffnung erzeugende Botschaft. Unmittelbar nach Mitternacht österreichischer Ortszeit würden die Terminierungen gestrichen, die tagsüber nicht eingehalten worden waren. Ich solle es doch um diese Zeit versuchen. Nach drei Wochen gab ich auf und suchte nach Alternativen.
Sie wurden auf einer englischsprachigen Webseite beschrieben. Ein Termin würde angeboten werden, wenn etwa neunzig Dollar überwiesen würden. Den Ratschlag befolgte der Ehemann. Der Preis vor Ort reduzierte sich um ein Drittel. Seine Frau konnte kurz darauf an der Botschaft erscheinen. Dort wurde ihr das Verfahren erläutert, das sie schon längst kannte, und die Liste der notwendigen Dokumente übergeben, die sie alle mitführte. Es war aber nur ein Termin, um das Verfahren zu erklären.
Den Termin für die Genehmigung eines Visums oder eines Aufenthaltstitels würde die Botschaft übermitteln. Sie fuhr gute fünf Stunden die etwa vierhundertfünfzig Kilometer zurück nach Hause mit der Gewissheit, dass der Bakschisch wohl zu niedrig gewesen war, um sofort den Antrag stellen zu können. Ich frage mich, ob der Botschaft in Teheran bewusst ist, wie sehr sie die örtliche Korruption unterstützt.
Wochen später erhielt die Ehefrau einen Termin. Kurz darauf einen zweiten. Dieses Mal half die Frage an die Botschaft, welcher Termin gültig sei. Es wurde ein Termin bestätigt. Sechs Monate waren verstrichen, bis sie in Teheran den Antrag stellen konnte. Vier Monate später erhielt sie die Erlaubnis, nach Österreich reisen zu können.
Ein Anruf beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in Innsbruck brachte die nächste Ernüchterung. Wann die Frau einreisen dürfe, würde die Zentrale in Wien entscheiden. Von dort würde ein Kontingent zugeteilt. Wahrscheinlich würde sie etwa sechs Monate warten müssen, bis sie in Innsbruck sei. Dem Ehemann übermittelte ich es. Er verbrachte wie jedes Jahr seinen Jahresurlaub im Iran.
Es wurden fünf Monate. Insgesamt dauerte der gesamte Prozess eineinviertel Jahre.
Als ich las, der Familiennachzug könne zwar weiter beantragt werden, aber die neue Regierung hätte die Bearbeitung ausgesetzt, fragte ich mich, was sich ändert, wenn der Nachzug in der Praxis schon kontingentiert ist. Die Arbeitskräfte dürfen in ihre Heimatländer fahren und jedes Jahr im Urlaub die ihrigen umarmen. Die Familie darf nicht kommen. Diese Maßnahme ist an Inhumanität nicht zu überbieten.
Das Erlernen der Sprache
Die Integration beginnt mit dem Erlernen der deutschen Sprache. Zumindest herrscht darüber in der Theorie Einigkeit. Doch wie sieht die Praxis aus?
Dem Ehemann wurde vom Arbeitsmarktservice ans Herz gelegt, doch arbeiten zu gehen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er nicht einmal den Grundkurs Deutsch abgeschlossen. So torpediert die Behörde die Integration. Deutsch lernte er nebenbei während seiner mittlerweile fast acht Jahre im Beruf. Er will eine Ausbildung zu einer Fachkraft absolvieren, weswegen er Deutschkurse absolvieren und bestehen muss. In seinem Fall wird sein Chef ihm dies bezahlen. Einer von vielen Fällen, in dem unbürokratisch und solidarisch gehandelt wird. Er beseitigt natürlich nicht Chancenungleichheit und ermöglicht keine flächendeckende Integration.
Seine Frau muss Deutsch lernen, um ihren iranischen Studienabschluss auf einen hier anerkannten Abschluss zu erweitern. Ihre Kurse müssen bezahlt werden. Einige werden vom Staat finanziell unterstützt. Die Preise für einen Grundkurs in Deutsch variieren in Innsbruck zwischen 318 und 369 Euro, wenn die Angaben auf den Internetseiten stimmen.
Die Innsbrucker Universität sticht heraus. Sie verlangt für „Externe“ 760 Euro. Vier Kurse müssen sie erfolgreich absolvieren und sich zusätzlich auf die Prüfungen vorbereiten. Im günstigsten Fall müssen 1500 Euro investiert werden.
Für ein Studium wird dies nicht reichen. Zumindest die Stufe C ist notwendig. Zwei weitere Kurse, weitere 600 Euro. Natürlich können die Investitionen in Bildung gefördert werden. In unserem Fall, nachdem die Anträge geschrieben, eingereicht und bearbeitet worden sind. Geld fließt teilweise erst im folgenden Jahr. Finanziell ist dies nicht durchhaltbar, da der Ehemann ohne anerkannten Ausbildungsabschluss im unteren Lohnsegment Arbeit gefunden hat. Nach einem absolvierten Kurs muss zunächst gespart werden, bis der nächste belegt werden kann. In zwei Jahren wird die Frau vielleicht die notwendige Sprachkompetenz erworben haben, wenn sie zusätzlich zu den Kursen die vielfältigen ehrenamtlichen Angebote nutzt.
Bildung
Der Bericht des österreichischen Integrationsrates von 2016 betont die Bildung als zentralen Motor von Innovation. Auf Seite 46 wird mit einer Graphik die Bildung vom Kindergarten bis zur Universität dargestellt. Die dort erhobenen Forderungen führen zu einer Bildungsintegration, wenn genügend pädagogische Kräfte vorhanden wären.
Die Voraussetzung ist mittlerweile seit 9 Jahren bekannt und leider auch in der Realität bestätigt. In dieser Zeit hätte man für Pädagoginnen und Pädagogen werben und sie ausbilden können. Viel zu wenig ist geschehen, fast nichts möchte ich sagen. Dies eklatante Versagen, die Nichtbeachtung eines zentralen Ergebnisses des o.a. Berichts, hat zu der untragbaren Situation an Schulen geführt.
Klassen mit einem hohen Prozentsatz an Kindern, die Deutsch nur mangelhaft beherrschen. Versagen können Regierungsparteien nicht zugeben. Die Schuld an der Situation wird einfach den Flüchtlingen in die Schuhe geschoben. Der Familiennachzug ist schuld, der immer mehr ausländische Kinder, des Deutschen nicht mächtig, ins Land spülte.
Dabei stellt der o.a. Bericht fest, 56000 Migranten müssten jedes Jahr ins Land kommen, um den Schwund an österreichischen Erwerbstätigen zu kompensieren. Das ficht die ÖVP nicht an.
Langfristig betrachtet ist die faktische Aussetzung des Familiennachzuges kontraproduktiv. Sie gefährdet das hiesige Sozialsystem, weil in Zukunft keine Fachkräfte und auch keine Intellektuellen ausgebildet werden können, die in der österreichischen Gesellschaft groß geworden sind. Österreichische Kinder allein werden den Geburtenschwund nicht ausgleichen können.
Integration über die Mütter
Ein anderer Faktor gefährdet die Zielsetzung Integration noch mehr und könnte die Tendenz zu Parallelgesellschaften verstärken. Verursacht durch mangelnden politischen Willen, aber auch fehlende Analyse. Denn im o.a. Bericht fehlen Überlegungen, wie es Müttern mit kleinen Kindern ermöglicht werden soll, Deutsch zu lernen. Mütter ausländischer Kinder sind im Bericht nicht existent.
In Deutschland habe ich in einem Netzwerk mitgearbeitet, in dem ein Forderungskatalog der Flüchtlingsinitiativen erstellt wurde. Daraus zitiere ich:
Die Situation von geflüchteten Frauen und Müttern mit Kleinkindern ist vor allem für Frauen aus Ländern problematisch, in denen ihre Gleichberechtigung aus kulturellen und / oder religiösen Gründen nicht verwirklicht ist.
Zwei Bereiche sollen beispielhaft erwähnt werden: Zum einen das internalisierte Rollenverständnis der Frau, die sich um die Kindererziehung und den Haushalt kümmert; zum anderen die Verpflichtung, nur in männlicher Begleitung in der Öffentlichkeit aufzutreten.
Frauen, aber auch Kinder, sind womöglich Opfer geschlechtsbasierter Gewalt, wenn sie diese Regeln nicht akzeptieren. Geflüchtete Frauen, Mütter und deren Kinder sind deswegen als spezifische Personengruppe zu betrachten.
Wenn die Integration dieser Personengruppe – auch „Erste Generation“ genannt – gelingen soll, müssen zunächst Bildungsangebote mit weiteren Maßnahmen flankiert werden, damit sie von Frauen und Müttern angenommen werden können bzw. dürfen.
Gelingt dies nicht, werden Frauen in die Rolle der Mutter und Hausfrau gedrängt, die als verlorene Erste Generation ihre Ablehnung der hiesigen Gesellschaft auf die „Zweite Generation“ überträgt. Dies erschwert die Integration über Jahre hinweg.
Zu den Maßnahmen für Frauen und Mütter zählen:
1. Die Schaffung eines vertraulichen Umfeldes, damit
a. männliche Brüder / Partner oder Ehemänner die Bildungsangebote tolerieren. Der Information der Männer ist besondere Bedeutung beizumessen.
b. Frauen sich in Sicherheit wissen.
2. Bildungsangebote müssen einen kostenlosen, gesicherten, ggf. nicht öffentlichen Transport zum Bildungsort und zurück anbieten.
3. Die Betreuung der Kleinkinder muss sichergestellt sein.
Diese Feststellungen sind für Österreich ebenfalls valide.
Die Dritte Generation
Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass die dritte Generation der Flüchtlinge vermehrt in den kulturellen Habitus ihrer Heimatländer verfällt. Eine Ursache ist die fehlende Integration der ersten Generation. Die Mütter können kein Deutsch lernen, weswegen sie sich als sozialen Anker Frauen mit gleichem kulturellem Hintergrund suchen.
Deren Kinder (zweite Generation) erhalten trotz aller identifizierten Mängel die österreichische Bildung, erhalten eine Ausbildung bis hin zum Studium. Heiraten sie, werden ihre Kinder (dritte Generation), die einen Kindergartenplatz erst im letzten Jahr vor der Schule bekommen und in der Schule zunächst benachteiligt sind, von ihren Großmüttern zu Hause betreut. In der Sprache, mit den Sitten und den Gebräuchen des Heimatlandes und mit Klagen darüber, wie schlecht es ihnen in Österreich ergangen ist.
Die fehlende Integration der ersten Generation, der späteren Großmütter, begünstigt und führt wahrscheinlich erst zur Bildung einer Parallelgesellschaft. Sie wird von Politikern beklagt, wird aber durch die mangelhaften Integrationsangebote erst geschaffen. Dies geschieht nicht nur in Tirol.
Denn trotz aller Bemühungen der Flüchtlingsinitiativen in Deutschland und des dortigen Kreis Job Centers, vergleichbar dem AMS, gelang es nicht, die Bildungsangebote für Frauen mit Kindern zu realisieren. Es wurden nicht genügend finanzielle und personelle Ressourcen mobilisiert. Die weibliche erste Generation ist verloren. In Österreich wird sie nicht einmal erwähnt.
Am verwunderlichsten und kurzsichtigsten sind Behauptungen, mit dem Familiennachzug würden durch die Kinder die hiesigen Sozialsysteme ausgebeutet. Es betrifft den Kindergarten, die Schule, die Universität. Die Apologeten dieser Behauptung pochen aber vehement darauf, ihren Kindern bis zu 18 Jahren Bildung zu gewähren.
Die Kursichtigkeit der Erwachsenen ist erschreckend. Sie werden spätestens dann entrüstet aufschreien, wenn sie alt sind und der Pflege bedürfen. Zu Hause müssen sie gepflegt werden, weil die Fachkräfte in den Seniorenheimen fehlen. Dann werden auch die österreichischen Frauen wieder zu Hause bleiben. Alte Rollenbilder werden gelebt werden, weil die Familie wichtiger ist als Gleichberechtigung.
Deswegen ist die Integration von Flüchtlingsfrauen auch eine zutiefst feministische Frage für Österreichs Frauen.
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