Der Intendant der Innsbrucker Promenadenkonzerte Bernhard Schlögl
als Juror in Südkorea
Ein Interview mit Alois Schöpf

Schöpf: Bernhard, du wurdest nach Südkorea als Juror für einen Blasmusikwettbewerb eingeladen, wie kam es dazu?

Foto Portrait: Amir Kaufmann Bernhard Schlögl, Intendant der Innsbrucker Promenadenkonzerte
Foto Portrait: Amir Kaufmann
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Du kannst dich vielleicht noch an Prof. Bu-Whan Cho erinnern. Er studierte Klarinette an den Musikhochschulen Essen und Wuppertal und verfasste eine Doktorarbeit über die internationale Blasmusikszene und damit auch über die Innsbrucker Promenadenkonzerte, über die du mit ihm ausführlich gesprochen hast und zu der du ihm die Unterlagen nach Südkorea geschickt hast. Er lehrt heute an der Universität Gangnam in Seoul als Klarinettenprofessor und ist Gründer mehrerer Ensembles und Dirigent des Hanmaeum-Klarinetten-Ensembles. Über ihn wiederum gelang es uns, das Korean Wind Orchestra unter dem Dirigenten Lee Cheol-Woong nach Innsbruck einzuladen, wo ein ausgesprochen charmantes und gemütvolles Konzert mit europäischer, aber auch typisch koreanischer Musik präsentiert wurde.

Bei dieser Konzertreise war auch der Vorsitzende des Jeju International Wind Ensemble Festivals Lee Sang-Cheol in Innsbruck und äußerte sich begeistert über unsere Konzertreihe. Von ihm wurde ich eingeladen. Ich möchte dem hinzufügen, dass Jeju-do, wo das Festival stattfindet, eine südkoreanische Insel in der Koreastraße ist. Sie heißt heute auch „Hochzeitsinsel“, weil dort viele Paare hinfahren, um sich in einer wunderschönen Landschaft trauen zu lassen. Da diese kleine koreanische Provinz in etwa gleich viele Einwohner hat wie Tirol, wären nicht nur die Organisatoren des Orchesterwettbewerbs, sondern auch staatliche Stellen sehr daran interessiert, mit Innsbruck bzw. Tirol eine Kooperation einzugehen. In der Vergangenheit war Jeju-do allerdings eine Sträflingsinsel, auf die man unliebsame Landsleute abschob und zu Tausenden ermordete, eine Geschichte, die im Bewusstsein der Koreaner durchaus noch präsent ist.

Schöpf: Wie kam das ferne Korea eigentlich zur Blasmusik, die ja eine westliche Orchesterform ist?

Schlögl: Wie in vielen anderen Ländern dieser Zeit gab es auch in Südkorea nach dem Zweiten Weltkrieg eine Verschiebung von Macht, Politik und Prioritäten. Der westliche Einfluss auf dieses Land reicht jedoch weiter zurück als der Krieg und fand den Weg über die Besatzungsmacht Japan, das sich schon im 19. Jahrhundert der westlichen Kultur öffnete. Auf Veranlassung der japanischen Marine wurde Frank Eckert, ein deutscher Dirigent, Komponist und Verleger als ausländischer Berater ins Kaiserreich Japan eingeladen, um eine Militärkapelle nach deutschem Vorbild zu formieren und auszubilden. Im Jahr 1884 nahm wiederum ein koreanischer Diplomat an der Krönung des russischen Zaren Nikolaus II. teil und kehrte mit dem Wunsch zurück, nachdem er dort eine Militärkapelle gehört hatte, eine eigene koreanische Militärmusik aufzubauen. Dafür wurden Bundesmittel für den Kauf westlicher Instrumente verwendet und nach einem geeigneten Ausbilder gesucht. Der mit der Leitung dieser Aufgabe betraute Dirigent war wiederum Frank Eckert, der am 19. Februar 1901 in Seoul eintraf. Seine Aufgaben in Korea ähnelten denen, die er zuvor in Japan wahrgenommen hatte.

Heute gibt es in Südkorea 40 professionelle Militärorchester und hunderte zivile Blasorchester. Vor allem wird diese Art von Musik besonders in den Schulen gepflegt, was für den asiatischen Raum, aber auch für die USA typisch ist. Im Gegensatz zu Europa, wo der Musikunterricht immer mehr an Bedeutung verliert und Blasmusik nicht einmal in einem Musikstudium Erwähnung findet, was ich ganz persönlich als einen absoluten Skandal empfinde. In Korea wird das gemeinschaftliche Musizieren in der Schule intensiv gepflegt, um auf diese Art die Fähigkeit der Kinder zu unterstützen, in einer Gruppe zusammen zu arbeiten, aufeinander zu hören, sich aneinander anzugleichen und dabei Freude zu empfinden.

Schöpf: Wie vollzieht sich dieser Unterricht konkret?

Schlögl: Es ist für einen Europäer fast unvorstellbar. Die Kinder haben zweimal 4 Monate von Montag bis Samstag jeweils 2 Stunden am Tag eine Orchesterprobe zu absolvieren, dazu kommt 1 Stunde tägliches Üben und der individuelle Instrumentalunterricht. Man kann sich vorstellen, was dabei herauskommt: Wenn man die Augen schließt und nicht sieht, wer auf der Bühne spielt, könnte man, was die technischen Fertigkeiten oder die allgemeine Intonation betrifft, meinen, es handele sich um professionelle Erwachsene. Diese Professionalität wird im Übrigen auch in allen anderen Bereichen hochgehalten. So erscheinen die kleinen Musikerinnen und Musiker in Anzug oder Kleid auf der Bühne, der Dirigent oder die Dirigentin, allesamt im Frack, schütteln der 1. Klarinette die Hand wie bei den Orchestern der Erwachsenen, die Leiter der Orchester haben auch allesamt ein Dirigierstudium in den USA oder Europa absolviert und sind nicht wie oftmals hierzulande einfach geeignet im Umgang mit Kindern und/oder gute Amateurmusiker. Wie überhaupt ein elementarer Unterschied zu unserer Mentalität darin besteht, dass in Korea in allen Bereichen, von den Amateuren bis hin zu den professionellen Musikern das Weltbeste als Maßstab gilt. Niemand würde die Ausrede verwenden: Wir sind ja nur Amateure! Wir sind ja nur eine Dorfkapelle! Für alle, wie gut oder schlecht sie auch spielen, gilt ein und derselbe Qualitätsmaßstab.

U13 Orchester (alle Musikerinnen und Musiker sind nicht älter als 13 Jahre) | Fotos: privat U13 Orchester (alle Musikerinnen und Musiker sind nicht älter als 13 Jahre) | Fotos: privat

Schöpf: Wer hat sich an diesem Wettbewerb beteiligt und wer waren die Juroren?

Schlögl: Beteiligt haben sich in erster Linie Orchester aus Korea, Japan und Taiwan. Neben den Auswahlorchestern, die ich zu beurteilen hatte, haben mich am ersten Tag vor allem die 11 Kinderorchester, die mit dem Begriff U13 eingestuft waren, was bedeutet, dass die Knaben und Mädchen allesamt unter 13 Jahre alt sind, beeindruckt. Unter den Juroren befand sich etwa Oberstleutnant Christian Weiper, Dirigent des Musikkorps der Bundeswehr Deutschland, aber auch eine Persönlichkeit wie der Musikpädagoge und Dirigent Douglas Bostock. Bostock unternahm etwa ausgedehnte Konzertreisen mit dem Tokio Kosei Wind Orchestra, einem der weltbesten Blasorchester überhaupt.

Schöpf: Wie wurde bewertet?

Schlögl: Die U13 Orchester wurden mit einem Punktesystem 1-20 bewertet, wobei vereinbart wurde, dass eine Wertung nicht 10 Punkte unterschreiten sollte, um die Motivation der Jugendlichen nicht zu zerstören. Interessant in diesem Zusammenhang ist aber auch, dass bei der Bekanntgabe der Wertungen bei allen Orchestern Jubel ausbrach und nicht nur bei den besten, wie überhaupt unter den kleinen Musikerinnen und Musikern eine große Verspieltheit und Lockerheit vorherrschte, auf jeden Fall war zumindest aus meiner Sicht kein neidisches oder übertrieben ehrgeiziges Verhalten festzustellen, obgleich die Leistungen, wie schon gesagt, sehr beeindruckten. Bei den Auswahlorchestern wurde nur ein schriftliches Feedback verlangt, das in persönlichen Gesprächen mit den Dirigenten angeregt diskutiert und dankend angenommen wurde.

Schöpf: Wenn diese sogenannten Asiaten schon so gut spielen, weshalb haben sie die Europäer dann nicht schon längst überholt?

Schlögl: Das ist keine einfache Frage, bei der ich mich nur auf persönliche Gespräche und Einschätzungen beziehen möchte. Die südkoreanische Gesellschaft legt traditionell großen Wert auf Disziplin, Perfektionismus und harte Arbeit, was sich auch in der Musikausbildung widerspiegelt. Musikstudierende in Südkorea durchlaufen oft einen strengen, auf Technik fokussierten Unterricht, in dem exakte Ausführung und technische Brillanz im Vordergrund stehen. Es war also nicht wenig überraschend, dass einige der Kinder ihre Stücke auswendig vorgetragen haben und Werke gespielt wurden, die in Österreich der Leistungsstufe C und D entsprechen. Zusätzlich wird die Tatsache, dass die westliche (Blas)Musiktradition in Südkorea noch relativ jung ist, eine Rolle spielen. In Europa haben Blasorchester eine lange Geschichte und verfügen über ein tiefes, etabliertes Repertoire, das über Jahrhunderte gewachsen ist. Hinzu kommt das besondere Interesse für Klangschönheit, für Phrasierung und Agogik, Elemente, die oft eng mit einer langen kulturellen Tradition und einem tiefen Verständnis des musikalischen Repertoires verbunden sind: dies alles hat in Korea vielleicht weniger Gewicht als die technische Beherrschung des Instruments. 

Woher soll aber auch jene Innigkeit und hohe Emotionalität kommen, die für die großen westlichen Musiker über mehrere Jahrhunderte kennzeichnend sind, wenn vorwiegend zeitgenössische copy and paste-Werke gespielt werden, die, überspitzt formuliert, eine solche Emotionalität erst gar nicht zulassen? Darin läge aber auch für die europäische Kultur eine unglaubliche Chance, unsere Musik im asiatischen Raum auch auf dem Gebiet der Blasorchester viel mehr bekannt zu machen. Ich denke hier durchaus auch an die wunderbaren Originalwerke und Transkriptionen aus dem altösterreichischen Werkkanon. Im Jury-Team waren wir uns einig: Wenn der bemerkenswerte Fleiß und die Leistungsbereitschaft der Koreaner, die ich hier verallgemeinere und die ich unserer westlichen Gesellschaft ganz frech ein Stück weit abspreche, ein bisschen mehr Hingabe zur Gestaltung zulassen würden, könnten sich die internationalen Vormachtstellungen in Sachen Blasmusik sehr schnell ändern, sofern wir in der Musik überhaupt von überholen sprechen können und möchten.

Schöpf: Wird das Festival in Korea wahrgenommen oder ist es eher eine musikalische Blase?

Schlögl: Sowohl als auch! Bei der feierlichen Eröffnung des Festivals war der koreanische Kulturminister anwesend, dieses Jahr wurde eines der Konzerte sogar im öffentlichen Fernsehen übertragen, das Festival verfügt im Übrigen über ein Budget von 700.000 € und 15 Mitarbeiter, was mir im Hinblick auf die Innsbrucker Promenadenkonzerte ein verschämtes Lächeln entlockt, wenn ich bedenke – und das hat mich natürlich besonders gefreut
– dass die Innsbrucker Promenadenkonzerte sogar in Korea eine allseits bekannte Größe sind. Eigenartig ist allerdings andererseits, dass bei den Konzerten der Erwachsenenorchester und sogar bei der berühmten Foden`s Band aus England das Publikum in einer geradezu deprimierenden Weise fehlte, bei freiem Eintritt wohlgemerkt. Warum dem so ist, konnten weder ich noch meine Kollegen, mit denen ich darüber sprach, erklären. Ich kann nur froh sein, dass bei allen sonstigen Unterschieden dies in Innsbruck nicht so ist.

Schöpf: Ich danke für das Gespräch

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

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