Christoph Themessl
Zum Tod Egon A. Prantls
Ergänzung zu Helmuth Schönauers
„Verschollene Dichter“
Ich wusste gar nicht, ehe es in einem Text meines Blog-Kollegen Helmuth Schönauer erwähnt wurde, dass der Schriftsteller Egon Prantl schon im vorigen Jahr verstorben ist. Ein paar Erinnerungsfetzen sind mir geblieben.
Ich hatte Egon A. Prantl Anfang der Neunziger an der Bar des ehemaligen Stadtcafés (neben dem Landestheater) kennengelernt. Er galt zu dieser Zeit als Hoffnungsträger der Tiroler Literatur-Szene, insofern er internationale Literatur mit so etwas wie Tiroler Literatur zu verbinden schien. 1982 hatte er bereits den Förderungspreis des Landes Tirol und im selben Jahr auch den Österreichischen Staatspreis für Kulturpublizistik erhalten.
Ich bewunderte an dem älteren Schriftsteller-Kollegen vor allem drei Dinge: die Freiheit seines Lebensstils, die Tatsache, dass er irgendwann in den Siebzigern in Amerika u.a. mit Charles Bukowski zu tun gehabt hatte und nicht zuletzt die Fähigkeit, trotz einer an sich unschönen Warze in seinem Gesicht stets die hübschesten Wesen an seine Seite zu ziehen. Letzteres wäre, um es ganz bieder zu formulieren, nicht nötig gewesen, da er ohnehin mit einer hübschen Frau verheiratet war.
Ich will nicht behaupten, den teils stark futuristisch anmutenden Texten (Skripten) und den mitunter mit Bild- und Tonmaterial unterstützten literarischen Darbietungen (Buchpräsentationen) des Egon A. Prantl immer folgen gekonnt zu haben. Doch in einem waren wir uns von der ersten Minute an einig, nämlich, dass wir uns beide zumindest imaginär als Nachfolger der Linie Hemingway – Bukowski (der damals noch lebte) verstanden oder empfanden.
Für Egons Entwicklung als Schreiber, für Sprache und Stil, spielten der deutsche Schriftsteller Arno Schmidt sowie James Joyce die größte Rolle. Schon Schmidt hatte von einer deutschen Version von Finnegans Wake geträumt, und Prantl bearbeitete den Stoff des irischen Vorbildes Anfang der Neunziger für eine Wiener Bühne unter dem Titel Radiotelegraphic Joyce.
Die Monsterproduktion mit über hundert Studiostunden, uraufgeführt 1992 im Künstlerhaus Wien unter der Regie von Reinhard Handl, sollte Prantl, wie es hieß, als Versuch einer Beweisführung der kreisförmigen Struktur von Finnegans Wake dienen – und, wie man ausführen könnte, die immerwährende Wiederkehr sich in großen Kreisen wandelnder Worte und ihrer Bedeutung demonstrieren. Am Ende steht in der kreisförmigen Struktur wieder der Anfang und beide sind x-beliebig, zu jeder Zeit und an jedem Ort. Wir können irgendwo anfangen und stehen zugleich am Ende. Etymologischer Buddhismus für Poeten.
Egon insistierte darauf, dass ich den Ulysses von James Joyce lesen musste und hierbei mein Augenmerk insbesondere auf die (Unter)Bewusstseins-Ströme der Penelope, die ihren Odysseus zurückerwartet, werfen sollte. Auch Arno Schmidt hatte sich ausgiebig mit Sigmund Freud sowie der Frage des in (fragmentarischer) Sprache verschlüsselten Unterbewusstseins beschäftigt. Im Kopf der Penelope des Joyce, die ein paar Jahrtausende nach ihrem früheren Seelenleben als namensgleiche Gattin des Odysseus nachts in ihrem ärmlichen Zimmerchen in Dublin keinen Schlaf findet, geht es zu wie auf der Couch in der Psychoanalyse – wenn der Kunde einmal so freundlich ist, loszulassen und ungehemmt zu assoziieren. Words are flowing out like endless rain into a paper cup, they slither wildly as they slip away across the universe… hieß es bei den Beatles einmal so schön.
Bei alledem war Egon kein Esoteriker oder Spiritist, sondern ein äußerst sozialkritischer Denker, der sich selbst in der Rolle des Revolutionärs oder Rebellen gefiel. Nicht umsonst war eine rockige, schwarze Lederjacke sein Markenzeichen. Krieg, Gewalt und soziales Unrecht spielten in seinen Texten eine große Rolle, und nicht immer machte er sich mit politischen Statements nur Freunde.
Als ich zur damaligen Zeit mit einem recht deftigen Theaterstück hausieren ging, in welchem in Schiller´scher Räubermanier die Europabrücke gesprengt werden sollte, war Egon von dem Stoff sogleich angetan. Obwohl das Stück in künstlerischer Hinsicht bestimmt nicht viel zu bieten hatte (ich war ja auch kein Theaterautor), sprach es sofort seinen sozialen Instinkt und Gerechtigkeitssinn an. Aber in den Tagen, als Alois Mock sein Nervensystem dafür ruinierte, um Österreich in die EU zu bringen, war es selbstverständlich aussichtslos, für den Brückenkracher eine Bühne zu finden. Samt Egons Hilfe.
Ende der Achtziger erwachte Österreich allmählich aus dem sozialistischen Schlummer der goldenen Kreisky Ära und wurde in den nächsten Jahren in das verstrickt, was später als Neoliberalismus bezeichnet wurde, vom österreichisch/US-Amerikanischen Nationalökonomen und Nobelpreisträger Friedrich August Hayek in Thesen gefasst und von Politikern und Politikerinnen wie Margaret Thatcher, Ronald Reagan, Augusto Pinochet oder Helmuth Kohl verwirklicht wurde. Heute versuchen wir mancherorts die Kollateralschäden dieses Wirtschaftskonzepts wiedergutzumachen, damals aber hatte, zumal in dem gottbehüteten Innsbruck, kaum jemand einen Blick für die drohenden Gefahren. Ich hatte einen guten Freund, der bis in die Achtziger in London gelebt hatte und mich in unzähligen Gesprächen – in den (damals noch) biederen Kaffee- und Gasthäusern Innsbrucks – auf die Gefahren dieser kaltblütigen Moneykratie des modernen Managerwesens aufmerksam machte. Ich konnte ihm kaum glauben und hielt ihn bisweilen für verrückt. Auch Egon, vielleicht Dank seiner Erfahrungen in Amerika, hatte einen Blick für diese Abgründe der Zukunft.
Egon war, ohne viel Worte zu machen, ein inspirierter und inspirierender Denker; auch ohne jene Tabletten, die er zu seinen Drinks bisweilen einzunehmen pflegte. Ein guter Text hängt von der Perspektive ab, nicht von den Worten, sagte ich gerne – gewissermaßen der Gipfel meiner damaligen literarischen Erkenntnis. Woraufhin der Egon mit seinen aufleuchtenden Augen ergänzte: Pass nur auf dabei, dass du dir nicht einbildest, Dinge gesagt zu haben, die du gar nicht gesagt hast, aber sagen wolltest…
Diese Gefahr der indirekten Ausdrucksweise oder der Insider-Sprache, die gewünschte Aussage versehentlich hinweg zu abstrahieren, mochte wohl noch weit mehr bei Egons kryptischen, avantgardistischen Texten und der Art und Weise wie sie bisweilen im Raum installiert wurden, bestehen. Einmal begleitete ich ihn zu einer seiner Buchpräsentationen(in der Kellerbar des ehemaligen Utopia). Ein Video lief, mit Musik beschallt war der gut besuchte und schlecht beleuchtete Veranstaltungsraum auch. Egon und ich standen an der Bar. Wann geht denn die Sache los? fragte ich ihn. Der Großgewachsene warf mir mit seinem Drink in der Hand einen langen Blick zu: Die Sache läuft schon…, antwortete er. Wir hatten im Vorfeld der Veranstaltung in der Bar um die Ecke, in Mickeys Pub-Cafe, schon einiges konsumiert und so war mir der Text, der offenbar irgendwo zwischen Film und Musik steckte, entgangen.
Ja, vielleicht drehte sich in der sagen wir Mark Twain – James Joyce – Ernest Hemingway – Arno Schmidt – Charles Bukowski – Linie alles darum: Wir wollten mit immer weniger Worten immer mehr sagen. Bloß kein Satz, der an einen erzählerischen Stil erinnerte! Nur ja kein Wort, das sofort verriet, was es heißen wollte! Das war keine Form von Faulheit. Egon war als Literaturdozent der Uni Innsbruck höchst belesen. Sein Arbeitszimmer, das, fürchte ich, die halbe Wohnung der Prantls in Beschlag nahm, war ein Labyrinth aus Bücherregalen, die bis zur Decke hinauf reichten.
Wegen meines Studiums verlor ich Egon Prantl und die damalige Literaturszene aus den Augen, oder vielleicht sollte ich so sagen, so zufällig, wie wir uns begegnet waren, verloren wir uns auch wieder – gleich Wortbildchen, deren Bahnen sich im Universum kreuzen und nachdem sie ein paar Silben gewechselt haben, vom Licht in leicht veränderter Gestalt weitergetragen werden.
Was ist aber nun aus der genannten Linie hierzulande geworden? Nichts. Oder sagen wir nichts, was uns bekanntermaßen mit der internationalen Literatur verbunden hätte. Aber was heißt wiederum internationale Literatur?
Überall gewinnt man heute mit Psychothrillern und Weltuntergangszenarien bestimmt leichter Aufmerksamkeit als mit Hemingways wortknappem Impressionismus oder Bukowskis existenzialistisch-alkoholischer Lethargie oder Arno Schmidts Joyce-Transformationen. Der Mainstream hat sich für den Kriminalroman entschieden. Oder sollte ich sagen: Die Verleger haben sich für den Mainstream entschieden?
Irgendwann in den Achtzigern, denke ich, ist den meisten Schreibern die Transzendenz verloren gegangen. Oder haben ihnen die Verleger gesagt, sie sollen metaphysische Aspekte in ihren Romanen möglichst beiseitelassen, weil das den Leuten viel zu hoch sei? Übrig bleiben pragmatisch erzählte Liebes- oder Kriminalgeschichten, Koch- Garten- und Tierbücher, die in schier endlosen Ausgaben seit Jahrzehnten den Literaturmarkt fluten, tüchtige Autoren, welchen das tägliche Selbstmanagement nicht zu dumm ist, Kalligraphen, die brav an ihren bildreichen und inhaltsleeren Texten feilen, als gälte es in der Literatur Filmsequenzen zu malen.
Aber uns bleibt ja eine Hoffnung: Wenn sich alles im Kreise dreht und mit dem Kreise die Worte, dann müssten auch Egon A. Prantl und die dazugehörigen anderen Gestalten und ihre individuellen Morpheme eines Tages wieder vor unseren Augen und Ohren aufblitzen oder ertönen. Eine verschollene ist noch keine ausgestorbene Linie.
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ich kenne ihn auch nur aus dieser zeit, und nur, weil ich zwei schreibseminare des turmbundes bei ihm besucht habe. verlor ihn auch aus den augen mehr oder weniger, seit er nichts mehr publiziert hat.
Danke für Ihren Kommentar. Meine Prantl-Kenntnisse erstrecken sich leider nur über einen kurzen Zeitraum etwa Mitte der Neunziger. Danach habe ich den Egon nie wieder gesehen. Ich nehme an, er ist bis zuletzt Egon Prantl geblieben.
danke für diese kenntnisreiche darstellung egon a. prantls. er war ein phänomen in mehrerlei hinsicht, ein künstler und überlebenskünstler auf jeden fall.