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Bettina Maria König
Veramente Perfetta
Short Story

Tatsächlich hatte Bea Erfolg mit ihren Bemühungen, Franz‘ Gefühle mir gegenüber anzustacheln. Denn zu meinem Leidwesen tat Franz auch, was er bei meiner Verabschiedung am Bahnsteig so dramatisch angekündigt hatte. Anfangs war es ja noch recht tröstlich, täglich einen Brief im Postkasten zu finden. Aber je mehr ich mich einlebte, umso mehr störten mich diese Liebesbotschaften. Denn er forderte natürlich Antworten ein. Und die kamen – wie ich zugeben muss – immer spärlicher.

War es denn meine Schuld, wenn im Haus gegenüber ein überaus ansehnlicher italienischer Student wohnte, der mich jeden Morgen, wenn ich zur Sprachenschule ging, mit glühenden Augen musterte? Franz sei Dank verwunderte es mich nun gar nicht mehr so sehr, dass mich jemand offensichtlich attraktiv fand, und ich genoss dieses Gefühl. Auch wenn ich noch etwas ungeübt darin war, meine weiblichen Reize bewusst auszuspielen. Aber es zu lernen, war ungeheuer interessant und – hey! – wo hat eine Frau dafür ein besseres Übungsfeld als in Italien?!

Wie das so Sitte ist im Land, wo die Zitronen blühen, dauerte es nur wenige Tage, bis mich mein Verehrer ansprach. “Endlich!!”, dachte ich und klatschte innerlich in die Hände, als er mich „Bella!“ nannte, mich unverblümt nach meinem Namen und meiner Nationalität fragte und ob ich einen “ragazzo” daheim hätte. Ich verneinte, und das schlechte Gewissen darüber hielt sich sehr in Grenzen. Ich war jetzt eben einfach wieder Single, dachte ich bei mir, nur dass ich halt noch nicht Gelegenheit gehabt hatte, das auch Franz mitzuteilen. „Allora du jetzt sein MEINE ragazza – Freundin!“, meinte mein neuer, glutäugiger Freund. Das sah ich zwar nicht wirklich so, aber offensichtlich gehörte das zum Spiel. Wie das genau lief, war mir zwar noch nicht ganz klar, aber ich lernte in Windeseile.

Die folgenden Wochen vergingen wie im Flug. Tagsüber saß ich brav in meiner Sprachenschule und paukte, und abends versuchte ich, das Gelernte am geeigneten Objekt anzuwenden. Dieses Objekt hieß Luca, war ein waschechter Florentiner und studierte Kunst. Er wusste alles über Florenz und seine Schätze. Das beeindruckte mich zwar sehr, aber noch viel cooler fand ich das Motorrad, mit dem er durch die Stadt bretterte – mit mir hintendrauf selbstverständlich. Müßig zu sagen, dass wir keinen Helm trugen, was den Geruch nach Abenteuer noch intensivierte. So lernte ich Florenz mehr oder weniger vom Motorradsattel aus kennen. Noch heute erinnere ich mich an alle (damaligen) Einbahnstraßen und Fahrverbotsschilder besser als an die Sehenswürdigkeiten – noch mehr allerdings daran, dass Luca diese nur als vage Einladung ansah und nach Gutdünken beachtete oder eben nicht. Für mich als gelernte Österreicherin erhöhte das den Reiz der Ausflüge beträchtlich.

Luca war es auch, der den Grundstein zu einem völlig neuen Leben legte. Denn ein neuer Look bedeutet für eine Frau tatsächlich ein neues Leben. Gleich in den ersten Tagen musterte er mich von oben bis unten, schüttelte missbilligend den Kopf und schnalzte mit der Zunge. „Sei proprio bellisima! Du sein wunderscheen, una bella ragazza… Ma… Deine Look – no!!! Zu tedesco! Scusami, ma così non va…So gehtte nickte!“, meinte er wenig diplomatisch. „Vieni con me!“. Ich war eingeschnappt, aber er schleppte mich ungerührt in die Boutique einer „amica“, die mich begrüßte, als seien wir Kindheitsfreundinnen und ich gerade von einem jahrelangen Aufenthalt in Nordkorea zurückgekehrt, den ich nur mit Mühe überlebt hatte. Sie riss in wenigen Minuten die Hälfte der feilgebotenen Kleider vom Bügel und lotste mich damit in die Umkleidekabine. Als ich den Laden verließ, war ich zwar trotz „prezzi superspeciali“ – „ganzze spezielle Preise solo per te!“ – die Hälfte meines Budgets für den Auslandsmonat los, aber auch meine Aura als Landpomeranze. Ab sofort war ich eine Stilikone nach italian art und blieb es auch. Mein Sinn für und meine Lust an Mode waren geweckt und sollten nie wieder vergehen.

Den letzten Schliff verpassten mir ein Friseurbesuch, bei dem meine wilden Locken einen unwiderstehlich italienischen Dreh bekamen, und eine „amica“ der „amica“ einer „amica“ von Luca, die zufälligerweise Kosmetikerin war und mir ihre Dienste zur Verfügung stellte – selbstverständlich ebenso zu einem „prezzo speciale“. Luca quittierte meine Veränderung mit Genugtuung und einem lauten Pfiff. „Adesso du sein veramente perfetta – perfekt!“, vermerkte er und legte besitzergreifend den Arm um mich, wenn er mit mir zum „aperitivo“ auf die Piazza della Signoria stolzierte. Was soweit in Ordnung war, solange sein Arm nicht nach unten rutschte. Zum Glück hielt er sich nach einigen Zurechtweisungen klaglos an diese Regel – mein neuer Look hatte mir wohl auch mehr Autorität verpasst. Denn eines wusste ich trotz aller italophilen Abenteuerlust nur allzu genau: Luca gehörte ganz sicher nicht in die Kategorie „Mann meines Lebens“, was ihn für alles mehr als einen harmlosen Flirt gnadenlos disqualifizierte. Mir war in diesem Monat fern der Heimat klargeworden, dass Beas Theorie bei mir nicht funktionierte: Ich wollte einen Mann, den ich genauso liebte wie er mich! Alles andere war nichts für mich. Und unter „alles andere“ fielen eben auch Luca und Franz.

Der Abschied von Florenz, aber auch von Lucas Motorrad und vor allem von der Boutique seiner Freundin fiel mir schwer; ich hatte den Aufenthalt in vollen Zügen genossen. Mein italienischer Freund brachte mich zum Bahnhof, schleppte meine Koffer in mein Abteil und zwinkerte mir noch einmal verschwörerisch zu, als sich der Zug in Bewegung setzte. In diesen Vor-Handy-Zeiten war das auch das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe. Jetzt wartete aber wieder der Ernst des Lebens auf mich. Und vor allem Franz. Diese Aussicht verdüsterte meine Gedanken sehr. Er wollte mich daheim vom Zug abholen, hatte er in Aussicht gestellt. Für mich klang das wie eine Drohung, und die ganze Bahnfahrt lang bastelte ich an der Rede, mit der ich noch am Bahnsteig Schluss mit ihm machen wollte. Der Zug hielt also mit quietschenden Rädern im wohlbekannten Bahnhofsgelände, und ich quälte mich mit meinem neuen schicken Koffer mit meiner neuen schicken Garderobe darin aus meinem Abteil auf den Bahnsteig. Und da stand er auch richtig und spähte mit Argusaugen (oder besser mit einem Argusauge) nach den Menschen, die in Scharen aus dem Zug stiegen und Richtung Ausgang strömten. Ich wollte schon auf ihn zugehen und mit meiner Rede beginnen, da glitt sein Blick einfach über mich hinweg, suchend, weiter in die Ferne. Was zum…? Na klar! Franz hatte mich nicht mehr erkannt!

Ich dankte im Geiste Luca samt allen seinen „amiche“ und vor allem dem Florentiner Friseur, die gemeinsam dieses Kunstwerk zustande gebracht hatten, packte meinen Koffer fester und eilte mit großen Schritten an Franz vorbei. Daheim angekommen, schrieb ich ihm einen Brief, in dem ich ihm liebevoll, aber bestimmt erklärte, dass es zwischen uns leider aus sei, weil ich mich in der Zeit in Florenz zu sehr verändert hätte – was ja in jeder Hinsicht stimmte. Denn mit dem neuen Erscheinungsbild (und natürlich auch dank meinen neuen italienischen Freunden) hatte ich mich vom vermeintlich hässlichen Entlein zu einem hübschen Schwan entwickelt. Dass die Psyche damit allerdings nicht ganz Schritt gehalten hatte und das unsichere Entlein sich noch weiterhin stark störend bemerkbar machen sollte, verdrängte ich. Ein paar Wochen lang traktierte mich Franz noch mit Briefen und Anrufen, aber da ich in meiner Entscheidung unerschütterlich blieb, gab er schließlich auf.

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Bettina Maria König

Bettina König wuchs als Tochter eines tüchtigen Apothekers im sehr fernen Außerfern auf, wo es ihr aber bald zu kalt und provinziell wurde. Sie flüchtete nach Innsbruck und mutierte via Studium zum Dr. phil., um postwendend in die Riege der „Tirol Werber“ aufgenommen zu werden. Als das Bedürfnis nach Wärme noch größer wurde, nahm sie eine Stelle als Presseverantwortliche in Bozen an – nicht ahnend, dass es dort mit der Provinzialität noch schlimmer bestellt ist als im heimatlichen Reutte. Dem Berufsbild des professionellen Schreiberlings treu bleibend, durchlief sie in Südtirol mehrere Positionen und war zwischendurch auch freiberuflich als PR-Fachkraft, Journalistin und Texterin tätig. Das Bedürfnis nach kreativem Schreiben befriedigte sie unter anderem durch die Herausgabe eines Kinderbuchs („Die Euro-Detektive“) für eine Südtiroler Bank. Derzeit zeichnet sie für die Unternehmens-Pressearbeit von IDM Südtirol verantwortlich, hat die kreative Schreiblust aber immer noch nicht gebändigt. Zwei erwachsene Kinder.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Christa Habermann

    find ich auch , sehr vergnüglich , gerne mehr

  2. Armin bernwick

    …habs mit Vergnügen gelesen…..werde in der Tyrolia nach Bettina König fragen…

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