Print Friendly, PDF & Email

Bettina Maria König
Nie wieder allein!
Short Story

Die folgenden Wochen zermarterte ich mir den Kopf: Wie konnte ich es bewerkstelligen, neue Leute und vor allem einen neuen Mann in mein Leben zu bekommen – und hoffentlich endlich mal den richtigen? Die Wahl fiel auf Sport, wie so oft! Tennis kam ja nach der Episode mit Franz nicht mehr in Frage, ich hatte ehrlich gesagt gegen diese Sportart mittlerweile eine gelinde Abneigung entwickelt. Aber mein Onkel, der sich Zeit seines Lebens immer sehr jugendlich fühlte, hatte an der Sportuniversität einen Gymnastikkurs für Studentinnen und Studenten belegt, von dem er lang und ausgiebig schwärmte. Und so ließ ich mich hinreißen und schrieb mich dort ein. Selbstredend kleidete ich mich vorher auch wieder entsprechend ein – wenn, dann muss man in jeder Lebenslage stylish sein, diese Grundregel hatte ich bei meinem sommerlichen Aufenthalt in Florenz zur Genüge gelernt. „Bella figura“ nennt sich das.

Mein Onkel nahm mich im Auto mit, und ich bereute diese Fahrgelegenheit in dem Moment, als er aus der Umkleidekabine in die Sporthalle trat – mit nichts als einer kurzen Sporthose und einem weißen, ärmellosen Unterhemd bekleidet, barfuß. Vielleicht muss ich erwähnen, dass er damals schon über vierzig war – für mich als Fast-Noch-Teenager ein kaum vorstellbar hohes Alter, in dem meiner Anschauung nach eine derartige Entblößung absolut nicht mehr schicklich war. Tja, heute weiß ich es besser. Aber damals war ich in dringender Versuchung, hier und jetzt meine familiären Wurzeln zu verleugnen. Der Rest der Truppe bestand aus Studentinnen und weiblichen Wesen jeden Alters, gewandet in bunten T-Shirts mit lustigen Sprüchen und praktischen Jogginghosen. Ich sah ratlos an meinen schicken Sportshorts hinab. Während ich also etwas halbherzig die Übungen des Vorturners nachzuahmen versuchte, der dabei von „Aquarius“ aus „Hair“ begleitet wurde, schielte ich aus purer Langeweile durch einen Spalt der Hallenabtrennung hinüber in die zweite Hallenhälfte. Ich schaute genauer. Und mir blieb fast das Herz stehen!

Dort drüben wurde Volleyball gespielt. Zwei Teams, bestehend aus jungen Frauen und Männern, standen sich am Netz gegenüber, droschen auf den Ball ein und amüsierten sich dabei sichtlich. Und auf einem der beiden Felder stand – ER!!! Mein Traummann Julian!!! Ich starrte so fasziniert hinüber, dass ich gar nicht bemerkte, dass die Bodenturnphase beendet war und man nun rund um die Halle im Kreis lief, sodass ich fast von der in Bewegung geratenen Meute überrannt worden wäre. Aber ich fühlte keinen Schmerz und keine Angst. Ich hatte nur IHN im Auge und im Kopf. Die Bedeutung dieser Begegnung ging mir schlagartig auf: Das war Schicksal! Ich musste sofort diese blödsinnige Turnstunde lassen und mich in den Volleyballkurs einschreiben. Gesagt, getan. Ich sagte noch auf der Rückfahrt in die Stadt meinem Onkel ade für diesen Kurs, und gleich am nächsten Tag marschierte ich zur Inskriptionsstelle der Universität für sportliche Aktivitäten. Zu meinem Glück waren noch Plätze frei, und ich schrieb mich ein.

Wieder war neue Sportkleidung notwendig, und dieses Mal wählte ich besonders sorgfältig aus. Bea begleitete mich beim Shoppen, wobei sie unablässig auf mich einredete. Das sei herausgeworfenes Geld, meinte sie, und ich solle diesen Idioten doch bleiben lassen; wenn er mich bis jetzt nicht registriert habe, dann werde das sowieso nichts mehr. Aber ich konnte und wollte dieses Mal nicht auf sie hören. Mein Bauchgefühl und vor allem auch mein Herz verbaten es mir, ihren Ratschlag ernst zu nehmen. Schließlich besänftigte Bea der Gedanke, dass an dem Kurs ja noch andere männliche Wesen teilnahmen; „Man weiß ja nie! Vielleicht fällst du einem von ihnen auf! So hässlich bist du doch nicht“, bemerkte sie gönnerhaft und winkte unauffällig mit ihrer rechten Hand, um ihren Verlobungsring zur Geltung zu bringen, der sich mittlerweile daran befand.

Solcherart gestärkt und getröstet wartete ich auf den nächsten Montag. Die Tage zogen sich bleiern dahin, und am Wochenende war meine Ungeduld so unerträglich, dass mir Bea schließlich das Verbot erteilte, J.‘s Namen noch einmal zu erwähnen. Sie bekäme davon mittlerweile Kopfschmerzen und Tinnitus, beklagte sie sich. Aber Gott hatte ein Einsehen, endlich wurde es Montag und ich stand in der Halle, mit schlotternden Knien. Die anderen Spieler trudelten in Grüppchen ein, aber von IHM war keine Spur zu sehen. Der Volleyballtrainer nahm mich unter seine Fittiche und ins Visier. Nach fünf Minuten Test aller Grundspielarten entschied er wohl, dass bei mir Hopfen und Malz verloren sei, denn es war das erste und auch das letzte Mal, dass er sich mit mir beschäftigte. Mir war das einerlei, denn gerade eben kam durch die Hallentür: Julian! Ganz in Schwarz gekleidet und mit einem unheimlich entrückt-intellektuellen Blick. Eine Sekunde lang schaute er mich an, aber ich hatte das Gefühl, als sähe er durch mich hindurch. Jedenfalls huschte kein Zeichen des Wiedererkennens über sein Gesicht. Ich winkte schüchtern, aber es half nichts: Wieder ignorierte ER mich.

Der Trainer schritt nun zur Mannschaftseinteilung, wobei er geflissentlich vergaß, mich zuzuordnen. Erst als nur mehr ich einsam und alleine am Spielfeldrand dastand, wurde sein Versäumnis offensichtlich, und er kommandierte mich mit einer wirschen Handbewegung in Julians Mannschaft. Ich wäre fast in Ohnmacht gefallen, aber dazu hatte ich keine Zeit, denn schon schrie einer „Ball!!“, und ein weiß-rot-grünes Geschoß kam von der anderen Seite des Netzes in unsere Richtung – knapp an mir vorbei, genau in Richtung Julian, der hinter mir stand. Irgendwie musste auch ihn dieser plötzliche Start des Spiels überrascht haben; später spann ich sogar den gewagten Gedanken, dass er sich gerade intensivst überlegt habe, woher er diese hübsche und sympathische junge Dame in der Position vor ihm denn kenne. Oder vielleicht sogar, dass mein Hintern eigentlich echt knackig sei. Wie auch immer – der Ball erwischte Julian am falschen Fuß, und so erwischte wiederum Julian den Ball komplett falsch, was zur Folge hatte, dass letzterer mich mit voller Wucht im Gesicht traf, denn ich hatte mich genau in diesem unseligen Moment kurz nach IHM umgedreht.

Als ich wieder zu mir kam, waren sechs Gesichter über mich gebeugt – jene meiner fünf Mannschaftskollegen und das des Trainers. Aber ich sah nur eines – nämlich SEINES. Und wähnte mich im Paradies, obwohl meine Nase fürchterlich schmerzte und eine rote Flüssigkeit erstaunlich schnell aus beiden Nasenlöchern tropfte. „Oh, das tut mir so leid“, stammelte ER, und für mich war es, als sagte er: „Ich liebe dich!“ Sagte er aber nicht. Er schaute nur etwas blöde und blies unentwegt auf meine Nase, so als könne der Schmerz dadurch vergehen, so wie das meine Mama früher als Kind bei mir getan hatte. Der Trainer begann ob dieser unerwünschten Unterbrechung seiner Sporteinheit etwas ungeduldig zu werden und sagte streng: „Na los, alles in Ordnung, von dem bisschen Nasenbluten wollen wir uns nicht stören lassen. Auf mit dir!“. Ich versuchte mich mühsam aufzurappeln, um dem Befehl des Trainers nachzukommen, aber das war zu viel: Die Halle begann sich vor meinen Augen zu drehen und plötzlich umfing mich wieder Dunkelheit. Ganz undeutlich und von sehr weit weg vernahm ich die nun doch etwas aufgeregte Stimme des Trainers, der nach einem Krankenwagen verlangte.

Ich schlug die Augen wieder auf und lag nun merkwürdigerweise in einem weiß bezogenen Bett in einem karg eingerichteten Zimmer. Die Wände waren strahlend weiß getüncht, und die Vorhänge gaben den Blick auf eine Häuserreihe frei. In meinem Kopf hämmerte ein Presslufthammer, und meine Nase zog und pochte und fühlte sich ungewohnt groß an. Als ich mit den Fingern danach tasten wollte, griff sanft eine Hand danach und zog sie zurück. Erst jetzt merkte ich, dass ich nicht alleine war. Neben mir auf einem Stuhl saß – Julian. „Nicht hingreifen!“, mahnte er ernst und zog ein besorgtes Gesicht. „Was…wo…wer…“, fing ich an, da fiel mir wieder ein, was passiert war. Oh Gott, was für eine blöde Figur musste ich abgegeben haben. Aber andererseits – jetzt lag ich da, und er saß neben mir… „Wie fühlst du dich?“, fragte er, und sein Unbehagen war zum Greifen. „Es tut mir sooo leid, entschuldige bitte“, stammelte er. „Ist schon gut…“, brachte ich heraus. Leider nicht mehr. Meine Eloquenz war schon so nicht die beste, wenn ich aufgeregt war, geschweige denn mit einem Brummschädel und einer geschwollenen Nase.

„Du bist Alma, richtig?“, fragte er weiter. „Wir kennen uns doch von Pepe…“ Ich konnte nur schwach nicken, aber innerlich jubelte ich: Er erkannte mich wieder! Er erinnerte sich an mich! „Was ist…?“ deutete ich mit dem Finger auf meinen Kopf. „Oh!“, brachte er heraus und senkte beschämt den Kopf. „Deine Nase ist gebrochen und wurde reponiert. Und du hast eine Gehirnerschütterung.“ Oh Gott, schoss es mir sofort durch den Kopf. Was bot ich wohl für einen Anblick? Wenn meine Nase so schlimm aussah, wie sie sich anfühlte, dann sollte ich am besten hier und jetzt versinken… Ich überlegte mir gerade, wie ich das bewerkstelligen konnte, da flog die Tür mit Schwung auf und herein kam Bea, mit Paul im Schlepptau. Und das meine ich wörtlich, denn sie zog ihn am Ärmel hinter sich her. „Schätzchen, was machst du für Sachen? Dich kann man ja keine Minute lang alleine lassen! Deine Eltern haben mich angerufen, sie sagen, ich soll mal schauen, was zum Henker du…“, legte sie los. Dann verstummte sie plötzlich, weil sie merkte, dass da noch jemand im Raum war. Sie musterte Julian kurz und sichtlich überrascht und blickte von ihm zu mir und wieder zurück, dann streckte sie ihm die Hand hin: „Hi! Ich bin Bea, Almas beste Freundin. Das da ist Paul“ – sie deutete lässig mit dem Daumen hinter sich – „und wer bist du?“.

Julian war bei Beas Eintritt ruckartig aus dem Sessel geschossen, sichtlich unangenehm berührt, und blickte jetzt unentschlossen auf ihre ausgestreckte Hand. „Das ist Julian“, unterbrach ich die unangenehme Stille, und in Beas Augen zuckte es gleich auf; sie zog die Hand sofort wieder zurück. „Er hat… naja er hat mir aus Versehen den Ball…“, stotterte ich weiter. Das war definitiv zu viel für Julian. Er wartete Beas Reaktion erst gar nicht ab, hob verlegen die Hand zum Gruß, schenkte mir ein schräges Lächeln, brachte noch ein „Also dann – bis die Tage!“ heraus – und weg war er. Sein Abgang dauerte keine drei Sekunden nach Beas Erscheinen.

Ich schaute sie so vorwurfsvoll an, soweit das mein geschwollenes Gesicht zuließ. Aber sie war ungerührt. „Julian? Etwa DER Julian?“, fragte sie mit verächtlicher Mine. Ich nickte. Paul schaute verständnislos von einer zur anderen und meinte dann: „Ich geh dir mal einen Kaffee holen“. Was ich um diese Tageszeit mit einem Kaffee sollte, war mir nicht klar, aber jetzt konnte ich zumindest Bea hemmungslos anzischen: „Ja, und du hast ihn vertrieben!! Vielleicht kommt er jetzt nie wieder!!“. Aber Bea ließ sich nicht so leicht beeindrucken. „Das wäre wohl kein großer Verlust! Erst ignoriert er dich monatelang, und jetzt bricht er dir die Nase!?“, empörte sie sich. Dann sah sie mir direkt in die Augen, musste lachen und fragte, ob ich eigentlich schon mal in den Spiegel geschaut hätte. Sie half mir auf, und ich schlurfte mühsam ins Bad. Der Anblick war furchterregend, und ich war Bea und Paul auf einmal sehr dankbar für ihren Auftritt. „Ich glaube, jetzt wirst du erst mal wieder gesund, und dann siehst du weiter“, meinte Bea gütlich. Sie hatte recht. Das sollte ich tun.

Die Nacht war schlimm, denn durch die Tampons in meinen Nasenlöchern konnte ich nicht atmen, und mein ganzer Kopf tat höllisch weh. Ich machte kaum ein Auge zu und war eigentlich froh, als die Schwester um fünf Uhr mit unangebrachter Fröhlichkeit und fast unerträglichem Schwung in mein Zimmer platzte, das Licht andrehte und die Vorhänge aufzog. „Fiebermessen, junges Fräulein, und dann nehmen wir noch unsere Medikamente!“ krähte sie in höchster Lautstärke. Bevor ich antworten konnte, hatte ich ein Thermometer im Mund. Der Vormittag zog sich bleiern dahin, nur unterbrochen von der Visite des Oberarztes, der einen ganzen Schwall von Studenten im Schlepptau hatte. Normalerweise wäre ich ja deshalb total aufgeregt gewesen, aber angesichts meines ästhetisch bedenklichen Zustands zog ich es vor, möglichst wenig aufzufallen und beschränkte meine Konversation mit dem Arzt auf Nicken und Kopfschütteln. Ich müsse schon ein paar Tage hierbleiben, um mich auszukurieren, meinte er jovial und klopfte mir aufmunternd auf die Schulter, bevor er mit seinem Tross wieder abzog. Meine Nase musste fürchterlich wirken, denn keiner der jungen Herren hatte mich eines vertiefenden Blickes gewürdigt.

Aber das war jetzt auch schon egal. Bei der Aussicht auf die kommenden Nächte in einem Spitalsbett mit Tampons in der Nase schossen mir die Tränen in die Augen und rollten neben meiner zugestopften Nase über die Wangen. Verzweifelt suchte ich in meinem Nachtkästchen nach einem Taschentuch, da hörte ich, dass die Tür wieder geöffnet wurde. Noch mal der Arzt? Hatte er etwas vergessen? Ich drehte mich mit meinem verheulten Gesicht Richtung Tür, und da – stand Julian. Er drehte verlegen einen Blumenstrauß in seinen Händen. „Hallo Alma“, sagte er leise und kam auf mich zu. Die folgende Stunde verging wie im Flug und war wohl die glücklichste meines bisherigen zugegebenermaßen erst kurzen Lebens. Julian gab Anekdoten aus seinem Studium zum Besten und erzählte mir die Inhaltsangaben der letzten Filme und Bücher, die er sich zu Gemüte geführt hatte. Und er tat das so unterhaltsam und witzig, dass ich meine Tränen sofort vergaß und herzhaft lachen musste – was ich sofort büßte, was jeder nachvollziehen kann, der mal versucht hat, mit einer gebrochenen Nase loszuprusten. Schließlich kam die Schwester herein, musterte Julian streng und meinte: „Die Besuchszeit ist vorbei, junger Mann!“. Ich sah die Schwester flehend an, aber sie kannte keine Gnade und schüttelte nur den Kopf. So zog Julian ab und ich eine beleidigte Schnute.

Aber er kam wieder. Am nächsten Tag, am übernächsten Tag und an dem darauf. Wir quatschten, diskutierten, erzählten, lachten, waren ernst, schwiegen zusammen. Er hatte immer ein Buch dabei, und wenn ich müde wurde und mein Kopf wehtat, las er mir vor und ich lauschte weniger seinen Worten – das ließ mein Kopfschmerz meist nicht mehr zu – als vielmehr dem Ton seiner Stimme. Ich liebte seine Stimme! Ich liebte seine Begeisterung, mit der er die Geschichten vortrug, die er mochte, auch wenn sie mir manchmal viel zu schräg waren. Und ich liebte den heiligen Ernst, den er dabei an den Tag legte. Aber eigentlich liebte ich einfach alles an ihm. Am sechsten Tag meines Aufenthaltes im Krankenhaus – dem Tag, bevor ich wieder entlassen werden sollte -, kam er mit einer Liebesgeschichte. „Jack und Jenny“ hieß das Buch, erinnere ich mich noch genau. Es handelte von einem Paar, das Schwierigkeiten hatte, zusammenzukommen, weil sich Jack einfach nicht definitiv für Jenny entscheiden konnte. Er las mir wie immer vor, und da meine Kopfschmerzen mittlerweile verschwunden waren, konnte ich ihm aufmerksam folgen.

Diese Jenny erinnerte mich verflixt an mich selbst: ein unsicheres kleines Ding vom Lande, das in die große Stadt zog und dort die Liebe ihres Lebens kennenlernte: Jack. Als Julian an eine Stelle kam, an der Jenny zu Jack sagte: „Lass mich nicht wieder allein! Ich hasse es, allein zu sein. Ich bin nicht dafür gemacht!“, schossen mir die Tränen in die Augen – so sehr fühlte ich mit. Julian klappte das Buch zu, trocknete mir mit einem Taschentuch sanft die Wangen und sagte leise: „Es wäre schon schön, dich jetzt zu küssen“. Sagte es und machte weiter keinerlei Anstalten, seinen Wunsch in die Tat umzusetzen. Ich wartete eine Weile auf mehr, aber da kam nichts. Konnte es sein, dass da jemand noch schüchterner war als ich? Und diesen einmaligen Moment verstreichen lassen würde? Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen, setzte ich mich auf, nahm sein Gesicht in beide Hände und drückte meine Lippen auf seine. Er erwiderte den Kuss. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Es war wunderschön – gerade richtig, nicht zu fest, nicht zu sanft, nicht zu feucht.

Nach einer langen, langen Weile lösten sich unsere Münder wieder voneinander. Julian öffnete langsam die Augen und sah mich ein paar Minuten lang einfach nur an. „Ich liebe dich“, sagt er, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, und streichelte mir liebevoll mit einem Finger über die Stirn. „Ich hole dich morgen ab, ja? Und fahre dich nach Hause. Du bist jetzt nicht mehr alleine. Nie wieder!“ Ich nickte atemlos, und er ging. An der Türe drehte er sich noch einmal um und warf mir eine Kusshand zu. Auch in dieser Nacht habe ich nicht viel geschlafen.


Bettina Maria König

Bettina König wuchs als Tochter eines tüchtigen Apothekers im sehr fernen Außerfern auf, wo es ihr aber bald zu kalt und provinziell wurde. Sie flüchtete nach Innsbruck und mutierte via Studium zum Dr. phil., um postwendend in die Riege der „Tirol Werber“ aufgenommen zu werden. Als das Bedürfnis nach Wärme noch größer wurde, nahm sie eine Stelle als Presseverantwortliche in Bozen an – nicht ahnend, dass es dort mit der Provinzialität noch schlimmer bestellt ist als im heimatlichen Reutte. Dem Berufsbild des professionellen Schreiberlings treu bleibend, durchlief sie in Südtirol mehrere Positionen und war zwischendurch auch freiberuflich als PR-Fachkraft, Journalistin und Texterin tätig. Das Bedürfnis nach kreativem Schreiben befriedigte sie unter anderem durch die Herausgabe eines Kinderbuchs („Die Euro-Detektive“) für eine Südtiroler Bank. Derzeit zeichnet sie für die Unternehmens-Pressearbeit von IDM Südtirol verantwortlich, hat die kreative Schreiblust aber immer noch nicht gebändigt. Zwei erwachsene Kinder.

Schreibe einen Kommentar