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Bettina Maria König
Was ist schon ein Mann gegen Schokoloade mit Nussfüllung?
Fortsetzungsroman

Nach meiner ersten, hingebungsvoll gescheiterten Liebe zu Viktor hatte ich eine Zeitlang genug von Männern. Oder sagen wir mal, auf jeden Fall von Männern mit einer Wohnung, die geputzt und gewartet werden musste. Meine beste Freundin Bea fing zunächst meinen heftigen Liebeskummer auf und flößte mir kontinuierlich Batida de Coco ein, bis ich ihn nicht mehr riechen konnte. Dabei betonte sie ständig, dass sie mir doch immer schon geraten habe, die Finger von diesem Kerl zu lassen. „Der war mir von Anfang an nicht geheuer!“, sagte sie, „und du weißt, dass ich eine sehr gute Menschenkenntnis habe!“. Als ich aber mit dem Trauern nicht aufhörte, wurde sie ungeduldig: „Nimm dir ein Beispiel an den Künstlern! Wenn die Liebeskummer hatten, malten sie oder schrieben große Werke! Dank noch mal an Dante, der war auch unglücklich verliebt, aber dann hat er wenigstens die ‚Göttliche Komödie‘ geschrieben. Und was machst du? Du sitzt nur herum und heulst mir die Ohren voll!“.

Naja, meine schriftstellerischen Ambitionen hielten sich zwar abgesehen von ein paar überschwänglichen Kurzgeschichten für die „Bravo“ damals noch sehr in Grenzen, aber irgendwie hatte sie recht. So besann ich mich wieder auf den eigentlichen Sinn meines Hierseins in der großen Stadt und stürzte mich auf die Arbeit. Allein schon deshalb, um jene Regionen meines Hirns ruhigzustellen, die für die Erinnerung zuständig sind. Mein Studium kam mir bei diesem Ansinnen, eine männerfreie Pause einzulegen, zu Hilfe, lief ich doch bei meinen Vorlesungen kaum Gefahr, männlichen Wesen zu begegnen. Wer einmal eine Lektion in der Abteilung für Dolmetscher & Übersetzer besucht hat, weiß, wovon ich spreche… Die wenigen Exemplare, die sich in die heiligen Hallen auf der anderen Seite des Flusses wagten, waren dafür praktisch Freiwild – sofern sie nicht selbst Jungens bevorzugten. Und für den direkten Konkurrenzkampf war ich eindeutig zu schüchtern und mein Selbstbewusstsein zu angeknackst. So dümpelte mein Leben also ein paar Monate dahin, ohne große Höhepunkte, jedoch auch ohne schlimme Abstürze.

Aber irgendwie fand ich bald, dass es mit mittlerweile knapp 18 einfach zu früh war, um den Verlockungen des (Liebes-)Lebens zu entsagen. Das meinte auch Bea. Und so nahm ich denn auf ihren Rat hin die Einladung eines Kommilitonen an, zum Spaghetti-Essen in seine Männer-WG zu kommen. Nicht, dass mich dieser Studienkollege interessiert hätte; er war eher der Kumpeltyp, von dem man sich eine Vorlesungsmitschrift leihen und mit dem man über den Professor und vor allem über die Mitstudentinnen lästern konnte. Ich denke auch nicht, dass von seiner Seite her jemals irgendein Interesse bestand. Ehrlich gesagt hatte ich immer den leisen Verdacht, dass sich Tommy mehr für Männer als für Frauen interessierte, aber dafür gab es nie einen wirklichen Beweis außer meinem Bauchgefühl. Wenn ich gewusst hätte, dass diese Einladung mein Leben für immer veränderte, hätte ich sie wohl lieber nicht angenommen. Obwohl – seinem Schicksal entrinnt man nicht. Dann hätte es mich halt auf anderen Wegen erreicht. Oder besser: ER hätte mich erreicht.

Auch Tommy lebte – wie Viktor – etwas über der Stadt in einem flotten Appartement. Das war aber auch schon ihre einzige Gemeinsamkeit. Er und seine vier Mitbewohner empfingen mich wohlwollend, wenn auch drei davon ziemlich desinteressiert: Carl, ein etwas versnobter Jusstudent aus alter Adelsfamilie, der sich nach dem Essen betulich eine Pfeife ansteckte; Peter, ein unglaublich durchtrainierter Sportstudent, der ausschließlich von seinen letzten und künftigen Sporterfolgen sprach; und ER. ER – das war Julian, ein überaus attraktiver Student der Architektur. Wie er da saß, mit seinem jungenhaften dunklen Haarschopf, seinen dunklen Augen und seinem etwas blasierten Blick – einfach göttlich. Ja, okay, ich gebe es zu: Mein Beuteschema wird dem aufmerksamen Leser inzwischen bekannt vorkommen. Aber dieses Mal war es wirklich Liebe auf den ersten Blick – und leider wieder einmal nur bei mir. Denn Julian nahm kaum Notiz von mir. Als ich ihm vorgestellt wurde, blickte er nur kurz auf – um sich dann wieder umso eifriger der Lektüre des “Spiegel” zu widmen, mit der er gerade beschäftigt war.

Einzig und allein den vierten Mitbewohner schien mein Erscheinen über die Maßen zu erfreuen. Pepe studierte Wirtschaft und war Italiener. Zu seinem Unglück erfüllte er aber leider nicht die Klischees, die frau von Italienern hat – er war keineswegs hübsch, etwas rundlich, nur leidlich gut gekleidet und alles andere als feurig. Aber romantisch, das war er schon! Und mit all der Romantik, zu der er fähig war, wandte er sich mir zu, dem Objekt seiner Liebe. Da mich die Zeit mit Viktor nun aber nicht wesentlich erfahrener gemacht hatte, dauerte es eine gute Weile, bis ich das mitbekam. Obwohl ich schon den Verdacht hätte hegen müssen, denn Pepe ließ mich den ganzen Abend nicht aus seinen wässrig-blauen Augen und lachte über jeden meiner Witze. Ich meinerseits war allerdings so sehr damit beschäftigt, Julian in meinen Bann zu ziehen und ihm ab und zu einen abwesenden Blick aus seinen merkwürdig schräg geschnittenen Augen oder eine hingeworfene Bemerkung zu entlocken, dass ich das schlicht nicht bemerkte. Zwei Stunden lang ließ ich allen Charme spielen, zu dem ich fähig war, war witzig und geistreich, gebildet und unterhaltsam. Pepe war außer sich, aber außer ihm schien meine Größe keiner zu bemerken. Am allerwenigsten ER. Als ich gerade meinen Lieblings-Blondinen-Witz zum Besten gab – Selbstironie kommt ja bekanntlich immer gut an und zeigt, wie locker man ist -, schaute er irritiert von seinem Artikel auf, musterte mich kurz und meinte trocken: „Würde ich an deiner Stelle lieber nicht erzählen…“. Ich schwieg erschrocken. Als ich mich schließlich verabschiedete, fragte Pepe als einziger nach meiner Telefonnummer. Ich gab sie ihm – man konnte ja nicht wissen, ob ihn Julian nicht irgendwann einmal danach fragen würde.

In den folgenden Wochen lud mich Pepe: zum Spaziergang, in die Mensa, zum Teetrinken, zum Aperitif, zum Pizzaessen – und ins Kino ein. In dieser Reihenfolge. Ich sah in ihm nur einen lieben Freund und nahm seine Einladungen an, zugegebenermaßen immer in der vagen Hoffnung, dass er mich danach oder davor noch auf einen Sprung in seine Wohnung mitnehmen würde. Wo ich eventuell IHN sehen würde. Allein der Gedanke daran ließ mein Herz bis zum Halse schlagen. Ich heulte Bea wochenlang die Ohren voll über diesen Mann, den ich bis an mein Lebensende lieben würde, wie ich unumstößlich sicher war, obwohl ich ihn grad mal zwei Stunden gesehen hatte. Solange, bis ihr der Geduldsfaden riss. “Papperlapapp”, sagte Bea. “Nun schlag dir diesen Lackaffen aus dem Kopf und such‘ dir einen anderen. Nimm doch diesen Pepe, du musst zugreifen, wenn sich schon mal jemand für dich interessiert!“ Wobei sie kurz erschrocken innehielt, denn selbst ihr kam dieser Satz ein wenig bekannt vor.

Ich ging also mit Pepe ins Kino. Er war ganz Kavalier, zahlte die Karten, besorgte Popcorn und Getränke. Der Film war herzergreifend traurig, ich heulte wie ein Schlosshund, weil ich mich an mein Pech mit der Männerwelt im Allgemeinen und mit Viktor im Besonderen erinnert fühlte. Aber das konnte ich Pepe ja nicht gut erklären. Er legte tröstend und beschützend seinen Arm um mich – wie das gute Freunde in Ausnahmesituationen halt so tun. So dachte ich jedenfalls. Auf der Heimfahrt versorgte er mich zuvorkommend mit Taschentüchern, immer noch fest den Arm um mich, und als er sich vor meiner Haustür verabschiedete, zog er eine riesige Schachtel mit Baci-Pralinen aus dem Fond des Autos, die er mir überreichte. “So erklärt man bei uns daheim seiner Angebeteten die Liebe”, kommentierte er. Da ging mir endlich ein Licht auf, und so behutsam ich konnte, versuchte ich ihm beizubringen, dass diese seine Liebe leider nicht auf Gegenseitigkeit beruhte. „Weißt du“, versuchte ich zu argumentieren, wo es nichts zu argumentieren gab, „wir sind doch so tolle Freunde, das sollten wir nicht zerstören!“. Das machte es nur noch schlimmer; es war das erste Mal, dass ich einen Mann weinen sah. Dabei wurde ich das Gefühl nicht los, es war mehr seines verletzten Stolzes denn seines gebrochenen Herzens wegen.

Wie dem auch sei, Pepe ging wortlos nach Hause und ich fortan wieder allein ins Kino – ohne beschützenden Arm. Weshalb ich für eine Zeitlang traurige Filme mied. Überflüssig zu sagen, dass mit dem Rückzug von Pepe auch ER wieder aus meinem Leben verschwand. Zum Glück hatte Pepe beim überstürzten Aufbruch seine Pralinenschachtel liegenlassen. Sie half mir über die erste Zeit hinweg, zumal ich um Batida de Coco nunmehr einen großen Bogen machte. Was ist schon ein Mann gegen Schokolade mit Nussfüllung?


Bettina Maria König

Bettina König wuchs als Tochter eines tüchtigen Apothekers im sehr fernen Außerfern auf, wo es ihr aber bald zu kalt und provinziell wurde. Sie flüchtete nach Innsbruck und mutierte via Studium zum Dr. phil., um postwendend in die Riege der „Tirol Werber“ aufgenommen zu werden. Als das Bedürfnis nach Wärme noch größer wurde, nahm sie eine Stelle als Presseverantwortliche in Bozen an – nicht ahnend, dass es dort mit der Provinzialität noch schlimmer bestellt ist als im heimatlichen Reutte. Dem Berufsbild des professionellen Schreiberlings treu bleibend, durchlief sie in Südtirol mehrere Positionen und war zwischendurch auch freiberuflich als PR-Fachkraft, Journalistin und Texterin tätig. Das Bedürfnis nach kreativem Schreiben befriedigte sie unter anderem durch die Herausgabe eines Kinderbuchs („Die Euro-Detektive“) für eine Südtiroler Bank. Derzeit zeichnet sie für die Unternehmens-Pressearbeit von IDM Südtirol verantwortlich, hat die kreative Schreiblust aber immer noch nicht gebändigt. Zwei erwachsene Kinder.

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