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Bettina Maria König
Immer noch Serge
Short Story

Serge hatte Rippchen im Gepäck. Er hatte sie natürlich aus dem „Filou“ mitgenommen, die Rippchen dort waren Kult – wer etwas auf sich hielt, aß keine anderen. Wir wärmten sie im Ofen auf, und ich mixte uns in der Zwischenzeit einen Aperitif. Aperitif-Mixen war eine meiner Lieblingsbeschäftigungen zu der Zeit. Bea und ich hatten uns einen Cocktailmixer angeschafft – natürlich vor ihrer Schwangerschaft – und dazu eine Auswahl von knallbunten Getränken, die wir wichtigtuerisch in kleine, metallene Maßbecherchen abfüllten und pseudo-kompetent miteinander mischten.

Ich glaube, die meisten dieser Gesöffe sind inzwischen von der Lebensmittelpolizei verboten worden. Heute wird mir schlecht, wenn ich an die Farbkombinationen denke, die aus unserem Gemixe entstanden: von Kotzgrün bis Uringelb. Damals fand ich das cool. Serge offensichtlich weniger, denn er schaute zunächst etwas entsetzt, als ich ihm ein Glas mit strahlend türkisblauem Inhalt entgegenhielt. Aber er nahm es tapfer entgegen und stieß mit mir an. „Ex oder nie mehr Sex!“ war sein Trinkspruch, der nun mich wiederum etwas irritierte. Dann spülte er den Drink mit einem einzigen Schluck hinunter. Wahrscheinlich hätte er es anders nicht geschafft, das Zeug runterzubekommen.

Wir aßen im Wohnzimmer – alleine, denn Bea war wohl wieder bei Paul – und hörten danach Musik. Im Radio lief Trio, und Serge flippte fast aus. Das sei seine Lieblingsband, erklärte er mir, von einem Ohr zum anderen grinsend (was er übrigens dauernd tat). Ich konnte dem Lied, das die Band grad zum Besten gab, eher weniger abgewinnen; „Dadada – ich lieb dich nicht, du liebst mich nicht“ hielt ich jetzt nicht grad für den genialsten aller Songtexte. Aber vielleicht war das nur ein Vorurteil, und ich sollte meinen Horizont etwas erweitern, überlegte ich dann. Serge plauderte ungeniert über dies und das, er sprang von einem Thema zum anderen und lachte dabei immer wieder herzlich drauflos, wenn ich etwas sagte, was er für witzig hielt, auch wenn es gar nicht witzig gemeint war. Seine Fröhlichkeit steckte mich an, und – was das Wichtigste war – sie verhinderte, dass ich in das riesengroße, schwarze Loch fiel, vor dessen Abgrund ich vor wenigen Stunden noch gestanden hatte. In Bens und meinem Stammcafè.

Ich ließ Serge also bereitwillig in mein Leben und somit eine Leere füllen, die sich mit dem Abgang von Ben aufgetan hatte. Denn der hatte mich nicht nur seiner Gesellschaft beraubt, sondern es verstand sich von selbst, dass auch meine vielversprechende Volleyball-Karriere nach der alles beendenden Aussprache ein jähes Ende gefunden hatte. Ich hätte es niemals ertragen, ihn beim Training wiederzusehen. Das hieß im Klartext: Ich hatte wieder viele freie Abende zur Verfügung. Die verbrachte ich nun zu einem Teil damit, die tragische Liebesgeschichte von Ben und Alma in eine Geschichte zu gießen, was mich sehr mit Genugtuung erfüllte: Einerseits schrieb ich mir so meinen Kummer von der Seele, andererseits nahm ich meine kreative Tätigkeit wieder auf, die während der Beziehung mit Ben aus vielerlei Gründen geruht hatte. Auch Bea forderte Zeitkontingent von mir ein, weil jetzt der Tag X unmittelbar bevorstand – der Tag ihrer Hochzeit, für den immer wieder noch das eine oder andere zu tun war – natürlich von mir. Den größten Teil meiner neu gewonnenen Freizeit aber widmete ich Serge.

Meist saßen wir daheim, bei einem Drink, an dessen Farben sich Serge mittlerweile gewöhnt hatte, und plauderten über Gott und die Welt. Oft kochten wir gemeinsam, und ich wurde dabei per Crashkurs in die belgische Küche eingeführt. Wobei ich mich noch heute wundere, dass die nicht mehr zu bieten hat als belgische Fritten aus dem Tiefkühlfach. Serge sorgte sogar dafür, dass ich auch beim Sport Ersatz fand – obwohl Sport hier vielleicht ein zu großes Wort ist: Er führte mich in seine Kegelmannschaft ein, eine Bande von allesamt sehr trinkfesten, sprücheklopfenden Landsleuten, die sich unter dem Namen „Tout les neuf“ (obwohl es eigentlich deutlich mehr als neun Kegler waren) jeden Mittwoch in einem Lokal in der Innenstadt trafen, um zu „trainieren“. Wobei das Training neben dem Kegeln auch im Bierkrüge-Stemmen bestand. Ersteres gefiel mir sehr gut, bei Letzterem konnte ich leider nicht so gut mithalten – Bier war nicht mein Ding. Ich behalf mir aber recht erfolgreich mit Weiß sauer. Deshalb kam ich immer sehr beschwingt von diesen Abenden zurück, an denen sehr viel gelacht wurde – genau das, was ich jetzt brauchte.

Von Bea und Renate wurde mein neuer Umgang mit besorgtem Kopfschütteln quittiert. „Was willst du denn mit DEN Typen?“, fragte meine BFF unverblümt, „die saufen und rauchen doch nur! Oder nennst du das Sport?? Und dieser Serge! Sorry, aber einer, der dich ohrfeigen muss, um dich kennenzulernen, geht ja gar nicht!“.

Ich zuckte mit den Achseln. Ich fühlte mich in Serges Gegenwart wohl. Er war mir ungeheuer sympathisch, ich konnte mich mit ihm bestens unterhalten, auch über meine Probleme und Ängste, er brachte mich zum Lachen und hatte mir meine Lebensfreude zurückgebracht. Wobei – ein Problem gab es schon: Sein großes Interesse an mir als weiblicher Person. Denn Serge hatte wie gesagt viele Vorzüge. Aber er war nicht Ben. Und ich in meinen Gefühlen nicht frei. Noch nicht. Trotz aller Ablenkung, die mir Serge bot, ertappte ich mich noch viel zu oft dabei, dass meine Gedanken zu Ben wanderten. Und leider auch zu Julian. Das kam daher, dass der Anruf neulich keine Eintagsfliege blieb. Ein paar Tage später, als ich vom Kegeln kam, fand ich wieder eine Nachricht von ihm auf meinem Anrufbeantworter.

„Hi!“, tönte er blechern aus der Maschine, dann Stille. „Wie geht es dir?“. Stille. „Ja… lang her… ruf mich doch mal zurück, wenn du Lust hast…Ich möchte wirklich wissen, wie es dir geht…“ Das „wirklich“ betonte er extra. Und als ich schon dachte, die Nachricht bricht endgültig ab, kam doch noch was nach: „Du fehlst mir!“.
Kleinlaut, sehr leise, sodass ich zuerst dachte, ich hätte mich geirrt. Aber nein, nach zehnmaligem Nachhören war ich sicher: Julian hatte es gesagt. Dass ich ihm fehle. So ein Arschloch!!, dachte ich. Entschuldigen Sie vielmals, werte*r Leser*in, für die Verwendung dieses Ausdrucks, aber manche Situationen erfordern klare Worte.

Die hätte es wohl auch bei Serge gebraucht, denn unsere Freundschaft geriet zusehends in eine merkwürdige Schieflage. Vielleicht, wenn ich ihn zu einem anderen Zeitpunkt getroffen hätte, wäre alles anders gekommen… Habe ich aber nicht! Und so bereitete mir seine zunehmend drängende Zuneigung immer mehr Sorgen. Zumal er es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, mich nach dem Kegeln nach Hause zu begleiten, sei es, weil er tatsächlich gut erzogen war, wie ich zunächst gedacht hatte, sei es – und dieser Grund erschien mir immer plausibler -, weil er sich von diesen nächtlichen Spaziergängen etwas erwartete. Irgendwie hatte ich es bislang aber immer geschafft, peinlichen Situationen aus dem Wege zu gehen, indem ich etwa genau in dem Moment ein Taschentuch aus meiner Handtasche ziehen musste, in dem er nach meiner Hand greifen wollte. Denn, liebe Leser*innen, ich kann ihnen versichern: Nichts zerstört romantische Stimmungen nachhaltiger, als wenn sich der zu Küssende umständlich und geräuschvoll die Nase putzt. Oder ich bückte mich rasch, um mir das Schuhband zuzuschnüren, just in dem Moment, als er den Arm um mich legen wollte. So ging es eine Zeitlang ganz gut, aber unsere Freundschaft wurde zunehmend mühsamer, denn es war ziemlich anstrengend, ständig auf der Hut sein zu müssen vor der nächsten zärtlichen Geste und immer eine nach außen unverfängliche Art und Weise zu finden, sie abzuwehren.

Trotzdem schaffte ich es nicht, das Thema bei Serge anzusprechen. Ich hatte viel zu viel Angst, den neu gewonnenen Freund zu verlieren. Das hätte mir unsäglich leidgetan, denn ich hatte mich so an seine Gesellschaft gewöhnt, dass ich sie nicht missen wollte. Auch nicht auf Beas Hochzeit, und so kündigte ich ihr nicht ohne Bauchschmerzen an, dass ich Serge nächsten Samstag als meinen Begleiter mitnehmen würde. Ihr Blick sprach Bände, und ich erwartete schon ein Donnerwetter. Aber entweder hatte sie die fortschreitende Schwangerschaft milde gestimmt oder sie hatte verstanden, dass mir die Freundschaft mit Serge gut tat – jedenfalls murmelte sie schließlich ein knappes „wenn du meinst“ in meine Richtung. Das war unter diesen Umständen das Höchste der Gefühle, das ich von ihr erwarten konnte. Ich revanchierte mich, indem ich mich ohne Murren und zynische Bemerkungen zur Schneiderin mitschleppen ließ, um das Brautjungfernkleid zu probieren.

Auch wenn das eigentlich zu viel verlangt war. Denn Bea hatte wohl zu viele romantische Komödien gesehen – amerikanische natürlich. Sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, dass Renate und ich sie als Brautjungfern zum Altar begleiten sollten – auch wenn diese Bezeichnung auf keine von uns noch im technischen Sinne zutraf. Natürlich brauchte es dafür das passende Outfit. Beas Hochzeitskleid glich einem sehr ausladenden Sahnebaiser – jede sizilianische Braut hätte dafür getötet. Meine Bedenken gegen das gute Stück, das sie beim Einkaufstripp in Bozen erspäht hatte, zertrümmerte die begeisterte Bea in Sekundenschnelle, und so fuhren wir mit dem sahnigen Kauf im Kofferraum wieder gen Norden. Es hatte allerdings einige Minuten gedauert, diesen zu schließen, da die Spitzen und Rüschen des Brautkleids immer wieder an den verschiedensten Stellen herausgequollen waren.

Ich hatte daher die dunkelsten Vorahnungen, welche Vorstellungen sie wohl von einem Brautjungfernkleid haben würde, und mein Bauchgefühl täuschte mich nicht. Renate, die etwas verspätet zu uns stieß, und ich starrten entgeistert auf die beiden Kleider, die bereits vorsorglich vor die Umkleidekabinen gehängt worden waren. Das Brautkleid von Prinzessin Diana war eine Küchenschürze dagegen, nur dass diese Kleider hier zudem in lebhaftestem Pink leuchteten und ausladende Puffärmel hatten – der damaligen Mode entsprechend mit kräftigen Schulterpolstern unterfüttert. Aber egal, welches Gegenargument Renate und ich vorbrachten – an Bea bissen wir uns die Zähne aus. Schließlich war es ihre Hochzeit. Und so zogen wir schließlich kleinlaut ab – jede mit einem rüschigen, knallpinken Bündel im Arm.

Als ich zuhause den Briefkasten leerte – was ein Kunststück war, weil mir das Bündel dabei dauernd aus dem Arm glitt – fiel mir eine Postkarte ins Auge. Sie zeigte ein Liebespaar in Schwarzweiß, das sich innig umarmte. Ich drehte sie um – sie war an mich adressiert. Zu lesen waren nur vier Worte: Du fehlst mir unsäglich. Keine Unterschrift, aber das war auch nicht nötig. Dafür kannte ich die Handschrift zu gut: Es war jene von Julian.

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Bettina Maria König

Bettina König wuchs als Tochter eines tüchtigen Apothekers im sehr fernen Außerfern auf, wo es ihr aber bald zu kalt und provinziell wurde. Sie flüchtete nach Innsbruck und mutierte via Studium zum Dr. phil., um postwendend in die Riege der „Tirol Werber“ aufgenommen zu werden. Als das Bedürfnis nach Wärme noch größer wurde, nahm sie eine Stelle als Presseverantwortliche in Bozen an – nicht ahnend, dass es dort mit der Provinzialität noch schlimmer bestellt ist als im heimatlichen Reutte. Dem Berufsbild des professionellen Schreiberlings treu bleibend, durchlief sie in Südtirol mehrere Positionen und war zwischendurch auch freiberuflich als PR-Fachkraft, Journalistin und Texterin tätig. Das Bedürfnis nach kreativem Schreiben befriedigte sie unter anderem durch die Herausgabe eines Kinderbuchs („Die Euro-Detektive“) für eine Südtiroler Bank. Derzeit zeichnet sie für die Unternehmens-Pressearbeit von IDM Südtirol verantwortlich, hat die kreative Schreiblust aber immer noch nicht gebändigt. Zwei erwachsene Kinder.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Bettina Maria König

    Liebe Susanne Preglau,
    es freut mich wirklich sehr, dass Ihnen meine „Gebrauchsliteratur“ gefällt, und ich kann Ihnen versichern, dass meine Alma schon noch einige Frösche an die Wand pfeffern muss, bis sie endlich zumindest ein bisschen was von der Liebe und vom Leben versteht.

  2. Susanne Preglau

    Liebe Bettina Maria König!
    Ihre Beiträge im schöpfblog sind so erfrischend und herzerwärmend und auch spannend – ich freu mich immer schon auf die nächste Fortsetzung der Geschichte!
    Vor allem in unseren doch schwierigen Zeiten, in denen man sich so oft mit wenig erfrischenden Themen auseinandersetzen muss.
    Ich freu mich sehr, dass Sie aus Ihrer Sommerpause zurück sind und auf weitere Geschichten von Alma.

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