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Bettina Maria König
Geplatzte Liebe oder Ben geht.
Short Story

Als ich aufwachte, war es fast schon Mittag. Bea war weg, und ich hatte bereits zwei Vorlesungen versäumt. Der Anrufbeantworter blinkte hektisch, und ich stellte fest, dass zehn Nachrichten aufs Anhören warteten. Ich drückte auf den Knopf und wurde von diversen Audio-Botschaften von Serge überschwemmt, der mich in verschiedenen Varianten fragte, ob ich noch einmal eine Ohrfeige brauche, um endlich abzuheben.

Die erste Version war noch recht sanft, die letzte schon reichlich frech, wobei es ihm gelang, trotzdem noch so witzig zu bleiben, dass man ihm unmöglich böse sein konnte. Ich hielt bei der neunten abgehörten Message und wollte die zehnte schon ungehört löschen, weil ich auf eine weitere Steigerung nun wirklich nicht neugierig war. Aber aus irgendeinem Grund ließ ich das Tonband weiterlaufen. Die letzte Botschaft war jedoch nicht von meinem neuen belgischen Verehrer. Sie war von Julian.

„Hi!“ – seine Stimme klang dabei ziemlich unsicher – „ich denke grad an dich und wollte nur mal hören, wie es dir geht…“. Aus. Das war’s. Ich drückte auf die Wiederholungstaste und hörte die Nachricht noch einmal an. Und wieder. Und wieder.

Dann saß ich wohl eine halbe Stunde einfach so da und ließ die Nachricht auf mich einwirken. Schließlich löschte ich alles – Serges Ergüsse gleich mit -, ging in die Küche und kochte mir einen starken Kaffee. Dazu frühstückte ich ein Aspirin, das mir dann auf den Magen schlug. Aber vielleicht war es auch Julians Nachricht, die mir sauer aufstieß. Was zum Henker sollte das denn jetzt?

Ich runzelte unwillkürlich die Stirn, was ich sofort unterließ, als ich es bemerkte – davon bekam man Falten, hatte ich gelesen. Aber – zum Teufel! Man konnte doch nicht monatelang spur- und kommentarlos verschwinden und dann auf einmal wieder auftauchen und so tun, als wäre nichts passiert? Als wäre man nur mal kurz übers Wochenende weggefahren? Idiot! Feigling! Heuchler! Da blieb einem echt nichts Anderes übrig als die Stirn zu runzeln, Falten hin oder her! Zum Teufel mit Julian!

Beim Stichwort „spurlos verschwinden“ hatte sich ganz hinten in meinem noch immer sehr benebelten Gehirn ein Gedanke geregt. „Ben!“, schoss es mir plötzlich schmerzhaft durch den Kopf, denn mir fiel wieder das gestrige Telefongespräch mit ihm ein. Und wie distanziert Ben geklungen hatte. An der Grenze zum Unfreundlichen. Jedenfalls ganz und gar nicht wie der Charmeur, als den ich ihn kennengelernt hatte. Zurückgerufen hatte er auch nicht, und obwohl die Versuchung groß war, traute ich mich auch nicht, mich selbst noch einmal bei ihm zu melden. Ich war also zum Warten verdammt – bis heute nicht gerade eine meiner Stärken.

Es sollte einige Tage dauern, bevor ich wieder etwas von Ben hörte. Er rief am frühen Abend an – noch aus der Kanzlei – und hielt sich ungewohnt kurz. Er wolle sich morgen mit mir treffen, meinte er sachlich, er habe mir etwas zu sagen. Auf meine Versuche, ihn in ein längeres Gespräch zu verwickeln und ihm ein paar zärtliche Worte zu entlocken, ging er erst gar nicht erst ein. Und nachdem Uhrzeit und Treffpunkt ausgemacht waren, beendete er das Telefonat sofort. Mir formte sich augenblicklich ein Kloß im Hals, der mir sagte, dass hier etwas hochgradig nicht stimmte und ich mich lieber rüsten sollte für den nächsten Tag. Ich wollte mich schon zum Heulen in mein Zimmer zurückziehen, da schrillte das Telefon erneut. Mit einem Satz war ich dort und hauchte ein erwartungsvolles „Hey!“ in den Hörer. Aber anstatt der erwarteten rauchigen Stimme von Ben schrillte mir munteres Gequatsche mit einem putzigen, französisch angehauchten Akzent ins Ohr. Serge!

Mein erster Impuls war, den Hörer in die Gabel zu schmeißen. DAS konnte ich jetzt echt nicht gebrauchen. Aber es war fast unmöglich, Serge zu widerstehen, wenn er einen mal in der Mangel hatte. Nach fünf Minuten war ich fast froh über seinen Anruf, und nach zehn Minuten hatte sich meine Laune erheblich verbessert.

Serge hatte etwas so Fröhliches an sich, dass er sogar meine momentane Grabesstimmung herumdrehen konnte. Nach fünfzehn Minuten hatte er mir schließlich die Zusage abgerungen, dass er mich in einer Stunde auf ein Bier abholen durfte. Ein belgisches Bier natürlich, denn er hatte gemeinsam mit seinen Kumpanen ein Lokal ausfindig gemacht, wo sie so etwas ausschenkten. Beim Gedanken an Alkohol wurde mir zwar schwindlig, denn ich hatte den Pegel von Beas Junggesellinnen-Abschied noch immer nicht so ganz abgebaut. Aber ich freute mich richtig darauf, mit Serge zu plaudern. Und dabei den bevorstehenden Termin mit Ben geistig für ein paar Stunden zur Seite zu schieben.

Tatsächlich wurde es ein überraschend unterhaltsamer Abend, an dem ich sehr viel gelacht habe. Serge stellte sich als äußerst trinkfest heraus – zumindest in Sachen Bier -, während ich mich aufgrund der letzten Erfahrungen eher zurückhielt. Das tat dem Spaß aber keinen Abbruch. Serges Schilderungen des Komparatistik-Studiums im Allgemeinen und seiner Literatur-Vorlesungen im Besonderen waren Stand-up-Komödie pur. Besondere Beachtung verdiente seine Persiflage eines Professors, der die „Einführung in die altgriechische Lektüre“ am Semester-Programm stehen hatte. „Werä liebtä, dem fehlt eigentlisch nur gonz starkä etwas; desalb suscht er sich ein Obschekt der Begierdä, damit er dieses Fehlen ausgleischen kann. Und das – meine Errschaften – nenntä man donn Liebö, sagt Platon!“, dozierte er. Ich bog mich vor Lachen, und am Ende des Abends hatte ich den Kloß im Hals komplett weggelacht. Dass mir am nächsten Tag ein Treffen bevorstand, vor dem ich mich doch ein wenig fürchtete, fiel mir erst wieder ein, als mich Serge zuhause abgeliefert hatte – entgegen dem ersten Anschein hatte er sehr gute Manieren und war ausgesprochen korrekt und höflich – und ich im Bett lag. Der Gedanke hinderte mich auch eine Weile am Einschlafen, bis ich schließlich in einen tiefen, traumlosen Schlaf fiel.

Wir trafen uns in unserem Café, und erst war es wie immer. Als Ben mich sah, huschte ihm ein Strahlen übers Gesicht, er nahm mich in den Arm und küsste mich. Es war ein sehr intensiver und leidenschaftlicher Kuss. Dann ließ er mich los, sein Blick verdüsterte sich, und er zog mich schnell an einen Nischentisch – nicht ohne sich wie in den Anfangszeiten zuerst nach links und rechts umgesehen zu haben. Er bestellte umständlich einen Kaffee und wartete stumm, bis dieser kam, um dann eine Weile wortlos darin zu rühren. Ich hatte ihn eigentlich schon bei der Begrüßung mit Fragen bombardieren wollen, aber als ich sein merkwürdiges Verhalten registrierte, bekam ich es mit der Angst zu tun. Vielleicht wollte ich doch lieber nicht wissen, was los war. Und nicht hören, was er mir jetzt zu sagen hatte. Aber dazu war es jetzt schon zu spät.

„Alma“, sagte er schließlich und nahm meine Hand, „es geht nicht. Ich kann nicht.“ Ich sah ihn nur mit großen Augen an und brachte kein Wort heraus. „Ich kann Wanda nicht verlassen. Ich habe es wirklich versucht. Bin mit dem gepackten Koffer schon vor der Tür gestanden. Aber dann ist sie zusammengeklappt, und ich musste mich um sie kümmern.“ „Zusammengeklappt?“, wiederholte ich verständnislos. „Ja, sie hatte einen Nervenzusammenbruch. Sagt der Arzt. Jetzt liegt sie im Krankenhaus und erholt sich langsam wieder.“ Der Schlag in die Magengrube war tief, und mir schossen wirre Gedankenfetzen durch den Kopf: „Pass ja auf mit dem!“, hörte ich Beas Stimme echoen, „…seiner Freundin möchte ich nicht in die Quere kommen…“ – „…die ist mit allen Wassern gewaschen…“. Mir wurde heiß und kalt, und ich hörte Ben ganz aus der Ferne noch sagen: „Alma, verliebt bin ich in dich, aber ich muss bei ihr bleiben. Es geht nicht anders. Es tut mir leid.“

Wut und Trauer stiegen in mir hoch, Tränen schossen mir in die Augen. Keine Sekunde konnte ich noch länger hier sitzen, ich musste hier raus. Vor allem sollte er mich nicht weinen sehen. Das war er nicht wert. Nicht mehr. Ich stand auf, drehte mich zu ihm hin und sagte leise, unter Aufbietung aller Kräfte: „Entschuldigst du mich bitte?“. Dann ging ich und ließ ihn einfach hier sitzen. Auf unserer Lieblingsbank in unserem Lieblingscafé, das ich nun nie wieder betreten würde. Ich habe Ben nie wiedergesehen. Soviel ich gehört habe, lebt er immer noch bei seiner Wanda.

Wie in Trance ging ich nach Hause, meine Füße fanden ganz automatisch den Weg, denn mein Kopf war merkwürdig leer. Total leer. Alle Gedanken, die noch im Kaffeehaus quer durcheinandergeschossen waren, waren wie weggeblasen. Und die Gefühle ebenso. Mein Herz fühlte sich kalt an und leblos. Ich bog in meine Straße ein, der Anblick der vertrauten Häuser tat mir gut. Da vorne war mein Haus mit meiner Wohnung, in der vielleicht Bea bereits auf mich wartete. Auf jeden Fall wartete aber jemand anderer auf mich: Serge. Er saß auf den Stufen zu meiner Haustüre und war intensiv in die Lektüre eines Buches über Platon vertieft. Als er mich sah, grinste er breit und sagte nur: „Da bist du ja endlich!“.

Wie schön, dass du da bist, dachte ich.

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Bettina Maria König

Bettina König wuchs als Tochter eines tüchtigen Apothekers im sehr fernen Außerfern auf, wo es ihr aber bald zu kalt und provinziell wurde. Sie flüchtete nach Innsbruck und mutierte via Studium zum Dr. phil., um postwendend in die Riege der „Tirol Werber“ aufgenommen zu werden. Als das Bedürfnis nach Wärme noch größer wurde, nahm sie eine Stelle als Presseverantwortliche in Bozen an – nicht ahnend, dass es dort mit der Provinzialität noch schlimmer bestellt ist als im heimatlichen Reutte. Dem Berufsbild des professionellen Schreiberlings treu bleibend, durchlief sie in Südtirol mehrere Positionen und war zwischendurch auch freiberuflich als PR-Fachkraft, Journalistin und Texterin tätig. Das Bedürfnis nach kreativem Schreiben befriedigte sie unter anderem durch die Herausgabe eines Kinderbuchs („Die Euro-Detektive“) für eine Südtiroler Bank. Derzeit zeichnet sie für die Unternehmens-Pressearbeit von IDM Südtirol verantwortlich, hat die kreative Schreiblust aber immer noch nicht gebändigt. Zwei erwachsene Kinder.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Bettina Maria Königs kleine Storys, aus dem Leben gegriffen, unterhalten. Das Große findet sich vermutlich wirklich auch immer im Kleinen.

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