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Bettina Maria König
Es lebe der Homo Kavalierus!
Short Story

Von allen Männersorten ist mir der Homo Kavalierus der liebste. Zu Deutsch: der Gentleman. Denn – hey, Mädels: Wenn gleichberechtigt sein bedeutet, dass man sich nicht in den Mantel helfen, die Tür aufhalten und die Rechnung des vollkommen überteuerten Restaurants bezahlen lassen darf, das eh er ausgesucht hat, dann zum Teufel mit der Gleichberechtigung! Irgendwie muss man doch auch die Vorzüge des Frauseins genießen dürfen oder? Denke ich halt und dachte ich vor allem, als ich von meinem ersten Date mit Ben zurückkam. Denn der Kaffee hatte sich im Laufe eines sehr langen und sehr amüsanten Telefongesprächs noch am Abend nach meiner Rückkehr aus Bozen in ein Abendessen verwandelt – und das gehört nun definitiv zur Kategorie Date. Das natürlich eine ganz andere Vorbereitungsarbeit voraussetzt als ein Kaffee, zumal für eine Frau, wie meine weiblichen Leser sicher bestätigen werden.

Ich widmete einen ganzen Nachmittag der Auswahl der passenden Kleidung, wobei ich immer darauf bedacht sein musste, von Bea nicht ertappt zu werden. Nie und nimmer sollte sie mitbekommen, was ich vor mir selbst energisch verneint hätte, würde ich mich denn danach gefragt haben (was ich tunlichst vermied): dass mir dieser große, sportliche und charmante Ben irgendwie doch ein bisschen mehr gefiel als mir lieb war. Anschließend hielt ich das Bad zwei Stunden lang besetzt, was nun doch Beas Argwohn auf den Plan rief: „Ich dachte, der Typ soll nur eine Ablenkung sein? Ich hoffe, du hast nicht deine Meinung geändert“, meinte sie schnippisch, als sie kurz den Kopf zur Tür reinsteckte. „Aber geh“, antwortete ich betont lässig und mit einer wegwerfenden Handbewegung, die die Lässigkeit noch unterstreichen sollte, „der ist doch viel zu alt für mich. Was soll ich denn mit dem? Ich will nur mal wieder ausgehen. Und man weiß ja nie, wen man da so trifft“.

Das stimmte ja auch: Schon Coco Chanel hat geraten, sich jeden Tag so anzuziehen, als könne man seiner großen Liebe begegnen. Vielleicht lief ich heute Abend gar Julian über den Weg? Zufrieden über diesen sehr logischen und argumentativ unschlagbaren Gedankengang, dem nicht einmal Bea etwas entgegenzusetzen hatte, widmete ich mich weiter meinem schwarzen Lidstrich, den ich damals bis zur Perfektion beherrschte. Marilyn Monroe wäre bei meinem Anblick vor Neid erblasst. Schließlich zog ich noch die Heizwickler aus dem Haar – ich setzte zu diesem Anlass selbstverständlich alle technischen Finessen ein, die mir zur damaligen Zeit zur Verfügung standen – und schlüpfte in mein sorgfältig ausgewähltes Kleid.

Ben war natürlich pünktlich – ein Kavalier lässt eine Frau niemals warten! Punkt halb acht klingelte er an der Tür, und als ich öffnete, hielt er mir einen Strauß Rosen unter die Nase. Sie waren rosa – nicht rot, also ganz, wie es sich gehörte. Nachdem er sie mir mit einem Handkuss überreicht hatte, half er mir in die Jacke und die Stiege hinunter. Unten wartete sein schwarzer BMW. Was ich schon wusste, denn ich hatte nicht umhin gekonnt, seine Ankunft heimlich vom Fenster aus zu beobachten und den eleganten Schwung zu bewundern, mit dem er in die enge Parklücke vor meinem Haus geparkt hatte. Ben öffnete die Beifahrertür und wartete, bis ich mich gesetzt hatte. Ich fühlte mich wie eine Prinzessin. Und das royale Feeling verstärkte sich noch weiter, als wir nach 15 Minuten Fahrt vor einem Lokal hielten, das ich nicht kannte. Ein kurzer Blick auf den Eingangsbereich stellte sofort klar, warum ich hier noch nie gewesen sein konnte: Das Restaurant war offenbar eines der Michelin- und Gault&Millau-Kaste und von meinem Studentenbudget ungefähr so weit entfernt wie mein Charakter von Beas.

Beim Eintritt stürmte sofort ein pinguinartiger Kellner mit erfreutem Grinsen auf Ben zu und schnarrte los: „Herrrr Schneiderrrrr, wie schön, Sie zu sehen! Selberrrr Tisch wie immerrrr?“. Ich fügte im Geiste hinzu: „Aberrrr nicht selbe Frau wie immerrrr…“. Der Pinguin platzierte uns an einem ganz entzückenden Fenstertisch mit einer noch entzückenderen Aussicht über das Inntal und fragte nach unseren Getränkewünschen. „Champagner?“, fragte Ben in meine Richtung, und mir wuchs ein imaginäres Krönchen auf der frisch ondulierten Lockenpracht. Ich blickte schnell nach unten, damit mein Begleiter meine großen Augen nicht registrierte, und antwortete dann so beiläufig, wie es mir in diesem Zustand noch möglich war: „Gerne. Ich liebe Champagner!“

In Wirklichkeit wusste ich das gar nicht so genau, denn die zwei Gläser, an denen ich zuhause an runden Geburtstagen hatte nippen dürfen, hatten noch nicht definitiv zu meiner Meinungsbildung über das prickelnde Gesöff beitragen können. Das änderte sich an diesem Abend aber definitiv, denn Ben bestellte eine ganze Flasche und schenkte mir mit vollendeter Galanterie immer sofort nach, sobald ich mein Glas geleert hatte. Was er sehr oft tun musste, denn ich war irgendwie sehr nervös. Ein solches Lokal, ein solches Getränk, ein solcher Mann – das hatte ich noch nie erlebt. Aber es gefiel mir. Alles gefiel mir. Vor allem Ben gefiel mir.

Ich hatte noch nie einen so aufmerksamen und bemühten Gesprächspartner erlebt. Die jungen Männer, mit denen ich bisher zu tun gehabt hatte, waren vorwiegend damit beschäftigt, mir von sich selbst und ihrer Sicht auf das Leben zu erzählen. Mich hatten die meisten dabei ganz vergessen. Nicht so Ben: Nachdem er mir bei der Bewältigung der Aufgabe geholfen hatte, ohne Peinlichkeiten etwas von der sehr exklusiven Speisekarte zu ordern, stellte er interessiert Fragen nach meinem Leben im Allgemeinen und nach meinem amourösen Leben im Besonderen. Und er merkte sich sogar meine Antworten, was sich im Fortschreiten der Konversation zeigte, wenn er Zusammenhänge herstellte und Anspielungen machte. Zwischendurch machte er mir immer wieder auf sehr angenehme und diskrete Weise Komplimente über mein Äußeres, wobei er seinen Blick jedes Mal einen kurzen Moment länger auf mir ruhen ließ als hinlänglich erlaubt. Und in den wenigen Pausen zwischen seinen Fragen und meinen Antworten erzählte er äußerst unterhaltsam aus seinem Leben. Er stammte aus einer alt eingesessenen Familie mit gutem Namen und war Anwalt, und zwar ganz offensichtlich ein erfolgreicher. Ich war hingerissen. So weiblich und wertgeschätzt hatte ich mich noch nie gefühlt. Ben und ich aßen uns durch Appetizer, Vorspeise und eine Hauptspeise, deren Namen ich nie zuvor gehört hatte. Alles schmeckte vorzüglich. Dazu tranken wir einen Rotwein (Ben hatte selbstverständlich wieder eine Flasche bestellt), der an Süffigkeit kaum zu übertreffen war.

Das perfekte Ambiente machte mich ganz schwindlig – vielleicht waren es aber auch der Champagner, den ich fast im Alleingang geleert hatte, und die etlichen Gläser Wein, mit dem ich ihn danach runtergespült hatte. Und so kam es, dass ich nach dem Mousse au Chocolat zum Nachtisch und dem Zahlen der Rechnung, das Ben ganz selbstverständlich übernommen hatte, beim Aufstehen über das Tischbein stolperte und geradewegs in Bens Armen landete. Was für Arme! Sie waren stark und geschmeidig, und man konnte sich darin richtig geborgen fühlen. Als er mich wieder sanft auf die Beine stellte, regte sich in meinem Bauch eine Stelle, die normalerweise nur für Julian reserviert war. Was sich dort bemerkbar machte, hätte ich auf die Schnelle nicht sagen können. Schmetterlinge waren es eher nicht, aber vielleicht Vorformen derselben: eine Raupe? Die Frage beschäftigte mich auf dem Heimweg, weshalb ich recht schweigsam war. Das fiel aber nicht weiter auf, denn auch Ben hielt sich plötzlich auffällig zurück.

Der Wagen hielt vor meiner Haustüre, Ben stellte den Motor ab und drehte sich zu mir hin. Wieder ein Moment Stille, dann nahm er meine Hand in die seine (die Raupen vermehrten sich abrupt von selbst). Dann sah er mir tief in die Augen und sagte mit plötzlich heiserer Stimme: „Weißt du, Alma, du gefällst mir echt total gut. Du bist intelligent, witzig, unterhaltsam. Ich habe selten so eine interessante Frau getroffen wie dich. Und dabei bist du auch noch so hübsch! Ich kann mich gar nicht entscheiden, was schöner ist: deine Augen oder dein Mund.“ Beim Wort „Mund“ beugte er sich über mich und küsste mich. Ich schloss die Augen und überließ mich ganz diesem wunderbaren Gefühl. Und ja: Es fühlte sich wahnsinnig gut an. Er roch so gut, er sagte wunderschöne Dinge – und er küsste exzellent. Genauso wie Julian… JULIAN!!! Mit einem Ruck setzte ich mich auf und schob Ben von mir. Wie konnte ich nur? Wie hatte ich nur Julian vergessen können? Und die Tatsache, dass dieser Mann hier neben mir ein Charmeur und Casanova war und seine Freundin daheimsaß, während er mich hier küsste?!

„Nein, lassen wir das“, brachte ich heraus, „das ist keine gute Idee! Du hast eine Freundin, und ich…“ Dass ich auch einen Freund hatte, konnte ich nicht gut sagen, überlegte ich blitzschnell und fügte dann hinzu: „Ich kann das nicht!“. Im Nu hatte ich die Autotür geöffnet und war herausgesprungen. „Alma!“ – schon stand er vor mir, mein Kopf reichte gerade mal an sein Kinn. „Ich meine es ernst! Ich habe mich gleich am ersten Tag in dich verliebt, als ich dich gesehen habe! Von einer Frau wie dir habe ich immer geträumt!“. Und wieder waren seine Lippen ganz nah an meinen. Ich schmolz dahin wie alle Frauen, denen ein Mann seine Liebe gesteht (es sei denn, es war nicht einer wie Franz). Denn soviel glaubte ich mit meinem mittlerweile gar nicht so geringen Erfahrungsschatz zu verstehen: Der Mann meinte das offenbar ernst. Die Raupen tanzten Polka.

Wahrscheinlich hätte ich ihn sofort wieder geküsst, wäre nicht zufällig mein Blick nach oben gewandert. Und da stand Bea am Fenster ihres Zimmers und schaute grimmig nach unten. „Ich muss gehen!“, sagte ich rasch und hastete zur Haustür. Dabei vermied ich es, zurückzusehen. Ich wäre sonst wieder umgekehrt, obwohl Bea an ihrem Fenster jetzt die Halsabschneidergeste vollführte. „Darf ich dich morgen anrufen?“, hörte ich von hinten. Ich nickte wortlos und verschwand durch die Tür. Drinnen vollführte ich erst mal einen kurzen Freudentanz, was mir die erstaunten Blicke des Hausbesorgers einbrachte, der in diesem Moment mit einem Müllsack bewaffnet aus der Tür trat. Aber das war mir egal. Mir war sogar egal, dass mich einen Stock höher ein Bea’sches Donnerwetter erwartete. Denn jemand hatte sich in mich verliebt. Und nicht irgendwer, sondern Ben! Der obercoole, fesche, charmante Ben! Und in meinem Bauch waren gerade die ersten Schmetterlinge geschlüpft.

Bettina Maria König

Bettina König wuchs als Tochter eines tüchtigen Apothekers im sehr fernen Außerfern auf, wo es ihr aber bald zu kalt und provinziell wurde. Sie flüchtete nach Innsbruck und mutierte via Studium zum Dr. phil., um postwendend in die Riege der „Tirol Werber“ aufgenommen zu werden. Als das Bedürfnis nach Wärme noch größer wurde, nahm sie eine Stelle als Presseverantwortliche in Bozen an – nicht ahnend, dass es dort mit der Provinzialität noch schlimmer bestellt ist als im heimatlichen Reutte. Dem Berufsbild des professionellen Schreiberlings treu bleibend, durchlief sie in Südtirol mehrere Positionen und war zwischendurch auch freiberuflich als PR-Fachkraft, Journalistin und Texterin tätig. Das Bedürfnis nach kreativem Schreiben befriedigte sie unter anderem durch die Herausgabe eines Kinderbuchs („Die Euro-Detektive“) für eine Südtiroler Bank. Derzeit zeichnet sie für die Unternehmens-Pressearbeit von IDM Südtirol verantwortlich, hat die kreative Schreiblust aber immer noch nicht gebändigt. Zwei erwachsene Kinder.

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