Bettina König
Vom Dating-App-Irrsinn
und von Irrsinnigen in Dating-Apps
Eine Realsatire
Irgendwann hatte ich dann keine Ausrede mehr. Das war der Tag, an dem ich mich bei einer Dating-App einschrieb. Zu viele wohlmeinende Menschen um mich herum hatten mir zu oft geraten, mich vertrauensvoll in die Hände einer solchen zu begeben, um endlich den Mangel zu beseitigen, der mich nach Ansicht der Gesellschaft oder jedenfalls meines Umfelds umgab: den Mangel an einem Partner an meiner Seite.
Damals konnte ich noch nicht ahnen, dass ich diesen Schritt bald bitter bereuen würde. Jedem Menschen, der damit liebäugelt, mittels Dating-App eine Partnerin oder einen Partner zu ergattern und seinen Wunsch auch ernst meint, kann ich tatsächlich nur sagen: Finger weg! Du wirst in die Abgründe der menschlichen Seele blicken. Obwohl – andererseits… einen Vorteil aus dieser Geschichte gibt es schon und davon profitiere ich nun erheblich: Mich kann wirklich nichts mehr schocken. Aber jetzt greife ich vor.
An jenem Tag war ich jedenfalls noch voller Neugierde, Enthusiasmus und Optimismus. Schließlich hat angeblich knapp die Hälfte der Deutschen, die Online-Dating schon mal genutzt haben, tatsächlich eine Partnerschaft gefunden. Und 29 Prozent dieser Online-Dating-Fans sind auch immer noch in der Partnerschaft, die so angeleiert wurde. Besagt zumindest eine repräsentative Umfrage unter circa 1.000 Internetnutzerinnen und -nutzern, die im Auftrag des Digitalverbands Bitcom durchgeführt wurde. Warum sollte das nicht auch in Österreich bzw. in Südtirol funktionieren?
Ich füllte also, wie vorgeschrieben, ein Formular mit Daten aus und gab Fakten über mich preis, die nicht mal meine Arbeitskolleg/innen so genau kennen: ob ich rauche, trinke, katholisch oder buddhistisch bin, ob ich mich als Mann oder Frau fühle oder unentschieden bin, und was ich in meiner Freizeit denn so zu tun pflege. Danach entwarf ich in knackigen und – wie ich dachte – sehr ansprechenden Sätzen verbal ein Bild von mir und lud die schönsten Fotos hoch, die mein Archiv so hergab. Drei an der Zahl, denn – so der stets begleitende, ratschlagende Kommentar der App – eine höhere Anzahl an Bildern mache eine höhere Anzahl an Rechts-Wischereien wahrscheinlich. Für Nicht-Dating-App-Affine sei an dieser Stelle erklärt, dass ein Wisch nach rechts bedeutet, dass einem die solcherart behandelte Person gefällt. Nach links gewischt wird hingegen alles, was keine Gnade findet vor dem Auge des oder der Suchenden.
Naiv und motiviert wischte ich also drauflos – vorwiegend nach links, wie ich gestehe. Denn man hat doch irgendwann gewisse Vorstellungen vom Niveau, das man sich von einem zukünftigen Partner erwartet. Und dazu gehören eigentlich keine Zeitgenossen, die sich schon im Profilfoto mit nacktem Oberkörper präsentieren. Ebenso rigoros linksgewischt wurden die hochsportlichen Testosteron-Helden. Das sind die, die auf ihren Bildern ausnahmslos in Ausnahmesituationen dargestellt sind: beim Ironman-Wettbewerb, beim Wellenreiten mit kilometerhohen Wellen im Rücken, beim Besteigen eines Gipfels in aufgrund der Höhenlage äußerst sauerstoffarmer Umgebung oder beim Abfahrtsritt mit Skiern auf einer gerade eben selbst losgetretenen Lawine.
Nachdem ich auch jene per lässiger Fingerbewegung ausgeschlossen hatte, die Biertrinken, Kartenspielen und Komasaufen als Hobby angegeben hatten, jene, die sich als 50jährige ausgaben, laut Profilbild aber die 70 recht wacker bereits überschritten haben mussten, sowie jene, die ihr Profil in kyrillischen oder arabischen Lettern geschrieben hatten, blieb nur mehr ein verschwindendes Häuflein an möglichen Kandidaten übrig, die mir ihr Like verliehen hatten. Denn, zur Erklärung: Nur wenn sich zwei Willige gegenseitig geliked haben, kommt ein Match zustande, was beide dazu autorisiert, sich anzuschreiben und so miteinander in Kontakt zu treten.
Fall Nummer 1
Frisch ans Werk, dachte ich mir, und schrieb keck einen davon an. Er sei Zauberer, hatte er in seinem Profil angegeben, zudem Akademiker mit umfassender Ausbildung und Inhaber einer sehr attraktiven Stellung. Diese Stellung entpuppte sich zwar nur als kaufmännische Tätigkeit bei einem renommierten Vorarlberger Käseblatt (sprich Anzeigenkeilerei), aber auf den eingestellten Bildern sah der Zauberer doch recht ansehnlich aus, weshalb ich beschloss, ihn nach einigem Hin- und Hergeplänkel zu treffen.
Das Treffen fand in einem Lokal in Innsbruck statt und ging sehr vielversprechend los. Denn der bezaubernde Herr – nennen wir ihn Dieter – sah tatsächlich so aus wie auf seinen Fotos, was mich zunächst in der Meinung bestärkte, bei der Wahl der Online-Dating-App auf ein seriöses Exemplar gestoßen zu sein. Mit Fortschreiten des Abends änderte ich diese Einschätzung aber schlagartig. Das war in dem Moment, als Dieter mir verriet, warum er sich in der App als Zauberer bezeichnete. Er sei, so meinte er, übernatürlich begabt. Er könne nämlich die Aura anderer Menschen nicht nur spüren, sondern auch sehen.
Dabei fixierte er mich mit seinen – zugegeben sehr faszinierenden – grünen Augen eindringlich. Ich überlegte gerade, ob bei ihm die Liebe auf den ersten Blick zugeschlagen habe, da offenbarte er mir, dass ich eine sehr schöne Aura habe, die rund um mich flackere und die er selbstverständlich wahrnehmen könne. Und als er mir sagte, ich hätte eine sehr alte und weise Seele, die bereits durch viele Körper gewandert sei und die er in früheren Leben mehrmals getroffen und dort sehr geliebt habe, weshalb wir auch im gegenwärtigen Leben sozusagen füreinander prädestiniert wären, suchte ich unter einem Vorwand die Toilette auf – und danach fluchtartig das Weite.
Fall Nummer 2
Nach diesem Erlebnis aus einer anderen Welt – im wahrsten Sinne des Wortes – löschte ich mein Profil und wechselte zu einer anderen Online-Dating-Plattform. Andere Plattform, aber selbes Procedere – sehr viel Fantasie setzen diese Plattform-Ersteller jedenfalls nicht ein, muss ich leider sagen. Gewischt wurde auch hier, und es ging mir nicht anders als vorher: das Fähnlein der wenigen Aufrechten war wiederum erschreckend dezimiert.
Dieses Mal wurde ich als erstes angeschrieben, und zwar von – nennen wir ihn mal Gabriel aus dem schönen Gsiberg. Er sei eine sehr entspannte, geduldige Person, meinte er, deshalb mache er gerade einen Kurs in argentinischem Tango. Was das eine mit dem anderen zu tun hat, erschloss sich mir zwar nicht, aber tanzende Männer haben Seltenheitswert, weshalb ich die Konversation fortsetzte. Wenn ich mutig sei, solle ich das mit dem Tango auch versuchen, mit dem richtigen Partner sei es sehr elektrisierend, und er nehme mich gerne auf eine solche Reise mit.
Oha, dachte ich mir, und irgendwo in mir drin begann eine Alarmglocke zu läuten – erst noch recht leise. Dann wurde Gabriel poetisch und meinte, wir würden nackt, schwach und arm geboren und würden diese Welt auch wieder genauso verlassen. Aber wir würden unsere Energie mitnehmen – schöne Erlebnisse, die uns Energie gaben. Und er wolle für mich diese Energie werden. Er wolle eine Liebesbeziehung mit mir und meine roten Lippen küssen. Das alles nach drei Tagen Dialog und ohne dass wir uns jemals persönlich getroffen oder auch nur telefoniert hatten.
Woher ich den Mut nahm, nach diesen Offenbarungen weiterzuschreiben, weiß ich heute nicht mehr. Vielleicht war es nur schiere Neugier oder auch purer Forscherdrang. Die nächste Stufe gab mir dann allerdings den Rest. Derzeit habe er einen ganz banalen Brotberuf, meinte Gabriel, aber er beschäftige sich stark mit Hypnotherapie und wolle diese bald zu seinem Hauptberuf machen. Er fühle sich berufen, Menschen durch einen dunklen Wald zu begleiten, wo nur er ein Nachtsichtgerät besitze und der Klient seiner Stimme folgen müsse, um ans Ziel zu kommen. Lasse der Patient seine Hand los, bleibe das Problem bestehen. Ich ließ darauf Gabriel sich selbst überlassen und verabschiedete mich auch von dieser Dating-App. Das war mir zu viel Esoterik in zu kurzer Zeit.
Fall Nummer 3
Aller guten Dinge sind drei, dachte ich mir, und versuchte es mit einer dritten Plattform – der letzten, schwor ich mir, sollte das auch nicht klappen. Nach der üblichen Aschenputtel-Selektion (die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen) stieß ich auf Thomas D. Der durchaus ansehnliche Recke aus deutschen Landen war persönlicher Referent für einen Abgeordneten im bayrischen Landtag. So schrieb er mir, in gewähltestem Deutsch. – Eine angenehme Abwechslung zu den sonstigen Unterhaltungen, die meist so begannen: Griaßdi! Wie geht’s dir heute? Welche Antwort der Schreibende auf so eine Frage erwartet, wird mir nie klar werden, zumal er mich ja noch nie getroffen hat und deshalb auch nicht wissen kann, wie es mir gestern ging. Und morgen wird er mich bei so einer Fragestellung sicher gar nicht erst sehen.
Thomas D. war aber weit weg von solch banalem Geplänkel, er plauderte (schriftlich) aufs Angenehmste über wichtige Stationen aus seinem Leben, privat wie beruflich, und wir entdeckten bald in beiden Bereichen einige Gemeinsamkeiten, von Studium über Kindersegen bis zur Scheidung. Ich fühlte mich geziemend unterhalten von dieser neuen, vielversprechenden Bekanntschaft und war vorsichtig entzückt – vom Total-Entzückt-Sein hielten mich die letzten Erfahrungen wohlweislich ab. Man lernt ja.
Als ich gerade begann, eine vierstündige Reise in die bayrische Pampa in Erwägung zu ziehen, um den Neuzugang am Horizont von Angesicht zu Angesicht betrachten zu können, passierte Aschaffenburg. Zu meinem großen Bedauern. Natürlich wegen des Vorfalls an sich, der großes Leid mit sich brachte. Aber auch wegen der Auswirkungen auf meine aufkeimende Hoffnung, hier einmal auf ein anständiges Stück Mann getroffen zu sein. Denn auf meine Frage, wie man denn nun als Abgeordneter im bayrischen Landtag reagieren könne auf so eine Tragödie, folgte die nächste Tragödie.
Naiverweise war ich davon ausgegangen, dass Thomas D. einem gemütlichen, urbayrischen, biertrinkenden und weißwurschtessenden Gefolgsmann der CSU zu Diensten war. Weit gefehlt. Er entpuppte sich als brennender AfD-Anhänger, der dozierte, dass er zwischen der Rousseau’schen Ansicht über Anthopologie, die den Menschen als von Natur aus gut einstufe, und der Ansicht von Hobbes (homo homini lupus) eindeutig Letztere bevorzuge. Deshalb sei er auf der Seite der Rechten, die im Anschluss an Hobbes den existenziellen verhaltensstabilisierenden Wert von gesellschaftlichen/staatlichen Institutionen betone, um dem Mängel- oder riskierten Wesen Mensch Halt und Orientierung zu geben.
Hier stieg ich, ich gebe es zu, ein bisschen aus aus dem Diskurs, stolperte aber in der Folge über seine Wortwahl, die ich im nun klaren Kontext als zunehmend ideologisch angehaucht identifizierte. Thomas D. ging nicht ins Fitnessstudio, sondern ins Körperertüchtigungsinstitut. Und er hatte nicht Ethnologie studiert, sondern Volkskunde, denn ersteres sei eine bildungsrevoluzzerische Umbenennung, die aufgrund linker akademischer Bemühungen im deutschsprachigen Raum geschehen sei – ein Angriff auf das spezifisch deutsche Volkskonzept. Und Ausländer – zumal solche wie der Täter von Aschaffenburg – seien Läuse im Pelz des deutschen Staates und gehörten ausgerottet.
Bilanz
An diesem Punkt durchfuhr mich ein kalter Schauer und ich kehrte dem deutschen Volkskonzept des Thomas D. sowie ihm selbst schleunigst den Rücken. Wie im Übrigen auch allen Online-Dating-Plattformen dieser Welt, von denen mich keine jemals wieder zu Gesicht bekommen wird. Da bleibe ich lieber Single.
Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.
Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen
Auch ich habe – vor mittlerweile ca. 15 Jahren – vergeblich versucht, auf diesem Weg einen Partner zu finden und möchte an folgendem Satz des Beitrags anknüpfen:
„Das Treffen fand in einem Lokal in Innsbruck statt und ging sehr vielversprechend los“.
Dann aber erklärte mir mein Gesprächspartner, woran seine Ehe gescheitert sei:
„Ich hab sie doch eh nur dann geschlagen, wenn sie es wirklich verdient hat“.
Ebenso „suchte ich unter einem Vorwand die Toilette auf – und danach fluchtartig das Weite“.
Schön, dass Du wieder schreibst 👍, und schön, dass ich hier noch mehr von Dir entdeckt habe. Ja, die Suche nach einer neuen Beziehung ist immer ein Risiko, aber es lohnt sich. Und es lohnt sich, Deine Short-Stories zu lesen. Chapeau!