Andreas Braun
Ideologen!
Wir brauchen Euch (nicht)!
Zu den Überlegungen von
Klaus Schredelseker und Reinhold Knoll
Essay

Die obgenannte Forderung – ohne Klammer – erhebt Klaus Schredelseker in seinem jüngsten Essay: Politiker sollten nicht wie die Fähnlein im Wind täglicher Meinungsumfragen agieren, sondern charismatisch mit ihren eigenständigen Ideologien das bonum commune über Wahltage hinaus fördern und mehren.

Mit dieser Forderung werden sich alle solange einverstanden erklären, als man sich nicht bequemt, den Begriff eigenständige Ideologie kritisch zu hinterfragen.

Ein augenscheinliches Exempel der Fragwürdigkeit ideologischer Prämissen liefert der jüngste Beitrag von Reinhold Knoll im schoepfblog, indem er zutreffend begründet, weshalb sich die Hayek‘schen Paradigmen (als leere Signifikanten) von liberaler Demokratie, Kapitalismus und Menschenrechten mittlerweile ad absurdum geführt haben.

Übersetzt auf den frommen Wunsch von Klaus Schredelseker, dass Politiker über den Tellerrand hinaus denkfähig sein sollten, würde wohl ein solches Desideratum jeden noch so ambitionierten politischen Ideologen hoffnungslos überfordern und ihn, sollte er sich gar an utopische Szenarien heranwagen, auch umgehend diskreditieren. Denn unsere modernen, nicht nur westlichen ökonomisch/politischen Systeme mit ihrem säkularen Heilsversprechen des ständigen wissenschaftlich/technischen Fortschritts und der Wohlstandsvermehrung scheinen – allem Unbehagen zum Trotz – alternativlos.

Dass sich inzwischen unsere Wirtschaft hin zu einer Mischung aus Monopol- und Planwirtschaft, in welcher die Internet Kraken von Tech-Firmen und kollaborierenden Social Media Plattformen nationale politische Souveränitäten aushebeln, entwickelt hat, scheint ebenso wenig wie die manipulative Allmacht von KI-Technologien mit all ihren politischen Konsequenzen von unserer Politik erkannt und beherzigt zu werden.

Nicht einmal die rituellen Fußküsse der Herren Zuckerberg, Musk, Bezos und Gates für Papst Donald, das heißt für die korrupte Kollusion von monetärer und politischer Macht, haben jemanden wachgerüttelt.

Mehr denn je überschlagen sich die politischen Programme in zukunftsvergessenen More of the Same-Platitüden und wagen keine substantiell alternativen Ansätze.

So fragt etwa der Tiroler Physiker und Ökonom Stefan Thurner, Leiter des Complexity Science Hub Vienna, mit Recht, warum sich nicht die Wachgebliebenen aller Länder vereinigen. Als Ziele einer solchen kollektiven Ermächtigung werden die Zerschlagung einer marktverzerrenden und den idiotischen Konsumenten-Kapitalismus fördernden Monopol-Tech-Planwirtschaft sowie die Etablierung einer neuen auf Daten basierenden, menschenfreundlichen und transparenten Wirtschaftsrechnung, welche das Gemeinwohl optimiert, in den Zukunftsraum gestellt.

Sollte besagter Herr Thurner allerdings bei einer politischen Partei anklopfen, würde er umgehend als exotisches Wesen, das den miefigen, ideologischen Stallgeruch systemimmanenten Mittelmaßes konterkariert, erkannt und a limine wieder heimgeschickt werden.

Seine Karriere als mutiger Ideologe Schredelseker‘schen Formats fände somit ein abruptes Ende.

Diese Erkenntnis führt mich zur prinzipiellen und global äußerst aktuellen Frage, inwieweit die uns vertraute Ideologie der Selbstbefreiung des Menschen durch Aufklärung – das Kant‘sche aude sapere – ihre Verheißungen erfüllen kann. Wohl nur partiell, zäh und mit großen Rückschlägen, da – wie die Menschheitsgeschichte zeigt – anthropologische Urinstinkte sich den Idealen menschlicher Vernunft und Gerechtigkeit dialektisch entgegenstemmen.

Das Bedürfnis nach Sicherheit und nach Entlastung von der Kontingenz des Lebens hat seit jeher die Schäflein in die Arme von Heil versprechenden, religiös/politischen Hirten getrieben. Diese Hirten waren und sind in der Regel nicht von aufklärerischen Zweifeln angekränkelt, sondern wissen genau, wo Gott wohnt, von Hitler bis Putin, von Stalin bis zum Papst Pius XII.

Gerade letzterer trug als konservativer, antisemitischer Autokrat maßgeblich zum Aufstieg des österreichischen Katholiken Adolf Hitler, der diese Kirche hasste, verachtete, bewunderte und nachahmte, bei. Nachzulesen in den beiden monumentalen Werken des Friedrich Heer: Gottes erste Liebe und Der Glaube des Adolf Hitler…Anatomie einer politischen Religiosität.

Der oftmalige Rekurs von Papst Donald auf den ihn leitenden und schützenden Gott in seiner historischen Antrittsrede unterstreicht den aktuellen Fortbestand solch politischer Religiosität. Es hat ja schon Friedrich Nietzsche seine säkulare Klage, dass Gott tot sei, relativiert: noch Jahrtausende lang werde es Höhlen geben, in denen man Gottes Schatten zeigt, daher müssten wir auch noch diese Schatten besiegen (Die fröhliche Wissenschaft ).

In einer polytheistischen Welt tausender Werte und Waren dürfte ein solcher Schattenkampf sich eher erfolglos gestalten. Karl Marx schrieb in seinem Hauptwerk Das Kapital hellsichtig über den Fetischcharakter der Ware. Abgesehen von ihrem Tausch- und Gebrauchswert sei sie ein übersinnlich-sinnliches, vertracktes Ding, voll metaphysischer Spitzfindigkeiten und theologischer Mucken.

Die gesamte uns alle durchdringende Werbebranche, in welcher ich jahrzehntelang mein Unwesen treiben durfte, lebt von diesen metaphysisch/theologischen Schlupfwinkeln. Die Erfindung unsterblicher Fiktionen, unvergänglicher Illusionen und nicht widerlegbarer Märchen gehören in diesen alltäglichen Werkzeugkasten des wirtschaftlichen und politischen Marketings.

Wenn Du ein wirklich erfolgreiches business betreiben willst, dann musst Du eine Religion begründen, meinte der Erfinder von Scientology, L.Ron Hubbard. Die Prognosen des Max Weber über Die protestantische Ethik und den Geist des Kapitalismus scheinen sich täglich zu bewahrheiten.

Vor diesem Hintergrund erleben wir heute eine Zurückweisung der Hegemonie des westlichen Modells der Vergötterung von Demokratie, Freiheit des Individuums und materiellen Wohlstands als größte Sünde durch die islamistischen Fundamentalisten.

Wir erleben ein neu aufgewühltes religiöses Jahrhundert, in welchem etwa ständig neue evangelikale Freikirchen, inzwischen über 200 Millionen Gläubige, entstehen. Wir erleben einen Gestaltwandel des Religiösen in unserer Alltagskultur, von den vielen esoterischen Selbstfindungen bis zur Kunst des Ayurveda.

Wir erleben eine Pluralität von Lebensentwürfen bzw. Ideologien und müssen wohl endgültig unsere koloniale Hybris von der überlegenen Einzigartigkeit unserer westlichen Kultur begraben. Kurzum: Wir erleben die Niederlage von optimistischen Perspektiven einer fortschreitenden Säkularisierung angesichts der Wiederkehr von Göttern, Mythen und sonstigen religiös/politischen Narrativen.

Sehr abstrakt stimme ich, wie oben ausgeführt, mit Klaus Schredelseker überein: Wir bräuchten dringend visionäre politische Ideologen neuer dezentraler Wohlfahrtsökonomien, neuer humanistischer Digitalisierung, neuer Modelle von Verteilungsgerechtigkeit und neuer Säkularisierungsinitiativen.

Dieser idealistischen Zustimmung folgt allerdings eine konkrete, realistische Ernüchterung: Im Rückblick auf unsere globalen Kriege und Krisen schrillen in meinem Kopf beim Begriff Ideologen immer noch alle Alarmglocken, gleich wie mir die Warnung des Mephisto an den sich für das Studium der Theologie interessierenden Schüler es ist so schwer, den falschen Weg zu meiden, es liegt in ihr so viel verborgenes Gift, und von der Arzenei ist‘s kaum zu unterscheiden eher schaurig ins Bewusstsein dringt.

In dieser Stimmung fügte ich daher dem Ruf nach Ideologen das nicht in Klammer hinzu……omnis determinatio est negatio (Jede Bestimmung ist Verneinung), meinte einst Baruch de Spinoza, der als Freigeist von seiner ideologisch eifernden Glaubensgemeinde verbannt, verflucht, verwünscht und verstoßen wurde.


Der Artikel von Klaus Schredelseker:
https://schoepfblog.at/klaus-schredelseker-keine-angst-vor-ideologen/

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Andreas Braun

Dr. Andreas Braun, geb.12.4.1946 in Kitzbühel. Von 1969 bis 1982 als Verwaltungs- und Verfassungsjurist im öffentlichen Dienst tätig. Ab 1982 Leiter der Tirol Werbung; in dieser Funktion setzte Braun eine Reihe innovatorischer Akzente, von der Bildsprache bis zur digitalen touristischen Vernetzung (Gründung der TIS Ges.m.b.H). Anfang 1995 wechselte Braun als Kommunikationsmanager zur Swarovski-Gruppe. Als erste Initiative gelang es ihm, die "Swarovski Kristallwelten" als neues Pilotprojekt einer Verschmelzung von Industrie, Tourismus und Kultur erfolgreich kommerziell und kommunikativ zu positionieren sowie eine neue Unternehmensidentität für einen traditionellen Industriebetrieb zu formen. Die Swarovski Kristallwelten sind das erfolgreichste Modell eines sogenannten „third place“ in Europa und rangieren nach Schönbrunn als eine der bestbesuchten Attraktionen Österreichs. Braun ist bis Ende 2011 Geschäftsführer der d. swarovski tourism services gmbh, die neben den Swarovski Kristallwelten und Swarovski Innsbruck auch Swarovski Wien betreibt. Von Anfang 2012 bis Ende 2015 ist Braun Geschäftsführer der Destination Wattens Regionalentwicklung Gmbh (u.a. Konzeption der „Werkstätte Wattens“). Vielseitige internationale Vortragstätigkeit und essayistische Beiträge zu Kultur, Wirtschaft und Tourismus in diversen Medien.

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