Andreas Braun bespricht:
Franz Fischler
Die Kraft der Mitte
Die politische Lebensgeschichte
eines Tirolers und Europäers

In der öffentlichen Wahrnehmung weht dem politischen Personal zur Zeit eine steife Brise ins Gesicht. Die Politikverdrossenheit hat einen historisch höchsten Pegelstand erreicht. Vor diesem Hintergrund publiziert Franz Fischler eine politisch/biografische Rück- und Vorschau mit dem provokant gewählten Titel Die Kraft der Mitte

Langweiliger und ausgeglühter könnte dieser Slogan von einer diffusen Energie, die erfahrungsgemäß meist mit Stillstand und faulen Minimalkompromissen konnotiert wird, gar nicht gewählt werden: Öffentliche Phrasen der mit Misstrauen beäugten Kaste privilegierter Politiker, inhaltsleere schöne Worte, empty signifier, wie Ingolfur Blühdorn es in seinem heuer bei Suhrkamp erschienen Buch Unhaltbarkeit, auf dem Weg in eine andere Moderne bezeichnet…so und ähnlich könnten die links und rechts der sogenannten Mitte angesiedelten frustriert/protestierenden Leser diesen Titel empfinden, misstrauen sie doch in ihrer populistischen Illusion einfacher Lösungen zutiefst dem mühsamen Bohren harter Bretter oder wie Franz Fischler es metaphorisch beschreibt: dem sorgfältigen Ausbalancieren der Gravitation auf einem Melkschemel…..wer diese Kunst der Ausgewogenheit von Kräften nicht beherrscht, fällt in den Mist.

Es sei vorweg genommen, dass es dem Autor überzeugend gelingt, den konservativ anmutenden Titel durch seine höchst aktuell/progressiven Analysen und Vorschläge zu konterkarieren. Seine Visionen umfassen etwa eine künftige Landwirtschaft, die sinnvoll die Gentechnik nutzt, natürliche Rohstoffe den Pflanzen entlockt, wie etwa den Himmelschlüsseln, die neben anderen Kräutern im Phytopharmakon Sinupret verarbeitet werden. Der EU stellt er etwa dramatisch die Rute ins Fenster: Neue Entscheidungsstruktur, neues Narrativ, neue Aufgabenverteilung und neue Finanzbasis seien insbesondere vor dem Szenario von Erweiterungen unerlässliche Prämissen.


Weitere Aspekte

Über diese nur exemplarisch angedeuteten Impulse hinaus finde ich Franz Fischlers Buch unter folgenden Aspekten lesenswert: Zunächst lernen wir die Biografie eines unermüdlich wachen und neugierigen Geistes kennen, der von seiner frühesten Jugend an andere Länder und Menschen – von Persien bis Schweden – erkundete und immer die Probleme der Welt synoptisch als regional/globale Herausforderungen verstand sowie kreativ zu lösen versuchte. 

Als untypischer Quereinsteiger in die Politik brachte Fischler sodann äußerst erfolgreich sein enormes Sachwissen zunächst als Minister in einen österreichischen und sodann als Kommissar in den europäischen und globalen Kontext der Agrarwirtschaft ein. Die im Buch geschilderten Einblicke in die hohe Komplexität der Beitrittsverhandlungen Österreichs zur EU, die Fischler maßgeblich steuerte, bis zu den Vorbereitungen des EU Beitritts der Ostländer geben ein spannendes und beredtes Zeugnis von der ungeheuren Zähigkeit und Kompetenz unseres österreichischen Kommissars in Brüssel.


Qualifikationen

Zwei Qualifikationen machen für uns heutige Zeitgenossen die politische Persönlichkeit Fischler als Vorbild für heutige und künftige Politiker insbesondere interessant und attraktiv.

Rational und intuitiv orientierte er sich am Bild früherer Herrscher, zu deren Seite jeweils ein Astrologe, der damals als Wissenschaftler firmierte, und ein Narr saßen. Franz Fischler pflegte von seinen Anfängen als Tiroler Kammeramtsdirektor an eine science and culture based politics, also ökologisch-ökonomisch-soziokulturell ausgewogene Politik, gespeist von den innovatorischen Impulsen aus Wissenschaft und Kunst, auch als Gegengewicht zu den systemerhaltenden Strukturen in den jeweiligen Institutionen. 

Dieser prinzipielle politische Stil basiert wahrscheinlich auf seiner Tätigkeit als Wissenschafter an der Hochschule für Bodenkultur und auf seiner kulturaffinen Sozialisation im Wien der 60- und 70-er Jahre. Naturgemäß nützen die Berater nur insoweit, als der letztlich Entscheidungsbefugte auch entscheidet….. und dies tat Franz Fischler sehr entschlossen, oftmals vielen Widerständen zum Trotz.

Hierbei kommt die zweite Qualifikation ins Spiel, nämlich die Fertigkeit, Inhalte präzise zu durchdenken und sie dann als semantische Essenz derart zu verdichten, dass sie breit, tief und nachhaltig kommuniziert werden können. Mit seinem Slogan Feinkostladen Österreich hat Franz Fischler seine – viele Millionen Wertschöpfung generierende – Meisterleistung politischen Marketings auf die europäische Bühne gezaubert. 

Im gegenständlichen Buch zerbricht er sich bereits pro futuro den Kopf, mit welchem emotionalen Narrativ Europa jenseits von unerotischen Binnenmarkt Argumentationen auf eine neue Ebene überzeugender Identität gehoben werden könnte. Europa, der lebenswerteste Kontinent….der niemanden zurücklässt steht einmal diskursiv im Raum.

Wie in der Landwirtschaft, wo Franz Fischler auf den drei Hektar seiner Familie den Segen größtmöglicher Biodiversität als Bub erfahren durfte, so multikulturell und pragmatisch durchleuchtet er das Bevölkerungswachstum in Afrika und plädiert für die friedliche Koexistenz der verschiedensten Kulturen und Religionen. In seiner ökumenischen Haltung fühlt er sich der Geistigkeit eines Bruno Kreisky und eines Erhard Busek eng verbunden. 

Europa sei heute primär ein Projekt der Aufklärung mit ihrem Menschen(-rechts)-Bild und nicht ideologisch/religiöser Fundamentalismen. Mit rein opportunistisch die Macht erhaltenden konservativen Zeitgenossen hat er wenig am Hut, daher empfiehlt er der ÖVP den Gang in die Opposition, um sich zu sammeln und geistig zu erneuern.

Wie wir alle aus der Erfahrung gelernt haben, bilden wohl die Summe unserer Umwege einen gangbaren Mittelweg mit all seinen Konzessionen und Kompromissen. Franz Fischlers Buch Die Kraft der Mitte oder, wie er selbstironisch paraphrasiert, Die Kraft um die Mitte künden von dieser demütigen Weisheit, die wir sowohl im privaten wie im politischen Leben beherzigen sollten.

Nicht à la hausse, nicht à la baisse, sondern au milieu sollten wir argumentieren, meinte einmal Robert Musil, ein weiterer Kopf jenseits der Mittelmäßigkeit.

Franz Fischler: Die Kraft der Mitte: Die politische Lebensgeschichte eines Tirolers und Europäers. ecoWing 2024. 192 Seiten. 25,70 Euro.


Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.


Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen

Andreas Braun

Dr. Andreas Braun, geb.12.4.1946 in Kitzbühel. Von 1969 bis 1982 als Verwaltungs- und Verfassungsjurist im öffentlichen Dienst tätig. Ab 1982 Leiter der Tirol Werbung; in dieser Funktion setzte Braun eine Reihe innovatorischer Akzente, von der Bildsprache bis zur digitalen touristischen Vernetzung (Gründung der TIS Ges.m.b.H). Anfang 1995 wechselte Braun als Kommunikationsmanager zur Swarovski-Gruppe. Als erste Initiative gelang es ihm, die "Swarovski Kristallwelten" als neues Pilotprojekt einer Verschmelzung von Industrie, Tourismus und Kultur erfolgreich kommerziell und kommunikativ zu positionieren sowie eine neue Unternehmensidentität für einen traditionellen Industriebetrieb zu formen. Die Swarovski Kristallwelten sind das erfolgreichste Modell eines sogenannten „third place“ in Europa und rangieren nach Schönbrunn als eine der bestbesuchten Attraktionen Österreichs. Braun ist bis Ende 2011 Geschäftsführer der d. swarovski tourism services gmbh, die neben den Swarovski Kristallwelten und Swarovski Innsbruck auch Swarovski Wien betreibt. Von Anfang 2012 bis Ende 2015 ist Braun Geschäftsführer der Destination Wattens Regionalentwicklung Gmbh (u.a. Konzeption der „Werkstätte Wattens“). Vielseitige internationale Vortragstätigkeit und essayistische Beiträge zu Kultur, Wirtschaft und Tourismus in diversen Medien.

Schreibe einen Kommentar