Alois Schöpf
Wie die EU
sich selbst ins Knie schießt und damit
ihre Fortentwicklung behindert.
Notizen

So abstrakt die Grundsätze auch sind, so heftig wird um ihre politischen Auslegungen gerungen. Denn es geht um Budget, Macht, Einfluss, aber auch um Würde und Identität.

Die Frage lautet: Betrachten sich die Völker bzw. Regionen eines staatlichen Gebildes als Konföderation, als Staatenbund also? Dieser kennzeichnet sich durch den Zusammenschluss selbständiger Staaten, die auf der Grundlage eines völkerrechtlichen Vertrags bestimmte gemeinsame Aufgaben wie etwa Verteidigung, Außenpolitik oder Handel an eine Zentrale delegieren. Dabei können Entscheidungen nur einstimmig getroffen werden.

Beispiele für solche Konföderationen waren in der Vergangenheit die Schweizerische Eidgenossenschaft bis 1849, die inzwischen de facto zu einem Bundesstaat mutiert ist, sich jedoch immer noch stolz Confederatio Helvetica (CH) nennt. Oder die Amerikanische Konföderation von 1776 bis 1779. In der Gegenwart ist auch die EU in vielen Bereichen eher als Konföderation zu definieren. 

Oder betrachten sich die Völker bzw. Regionen eines staatlichen Gebildes als Föderation, als Bundesstaat also, bei dem die Souveränität der einzelnen Staaten und Länder mittels einer Verfassung einem Zentralstaat übertragen wird. Beispiele für Bundesstaaten sind Deutschland, die USA, Australien, aber auch Österreich, das aus neun Bundesländern mit je neun Landesregierungen und neun Landesparlamenten besteht.

Zwischen diesen beiden Polen maximaler Souveränität von Einzelstaaten und maximaler Souveränität des Zentralstaates spielen sich, ob ein Staat sich nun als Bundesstaat oder Staatenbund definiert, ununterbrochen Auseinandersetzungen ab. Besonders diffizil ist diese Spannung zwischen Konföderation und Föderation im Rahmen der EU  und ihren Institutionen ausgestaltet. So gibt es hier eindeutige Befürworter einer Föderation, dazu gehören Deutschland, Belgien, zum Teil auch Frankreich, Italien und Spanien. Zugleich gibt es jedoch ausgewiesene Skeptiker und damit Anhänger einer Konföderation, darunter Ungarn, Polen, die Niederlande oder die Slowakei. Ihr Motto lautet: Europa der Vaterländer. Für sie sind die Nationalstaaten weiterhin Basis des Zusammenschlusses.

Den Beweis, dass die EU tatsächlich nur eine instabile und hybride Mischung aus viel Konföderation und wenig Förderation ist, erbrachten übrigens die Briten, die aufgrund einer aus parteitaktischem Kalkül vom Zaun gebrochenen Volksabstimmung mit einer Mehrheit der Brexit-Befürworter von 1,9 % aus der EU ausscheiden konnten. Aber auch auf Tirol bezogen erweist sich die EU als maximal hybrid bzw. lösungsinkompetent, insofern zwar ein Brennerbasistunnel mit Milliarden mitfinanziert wird, der Unwillen Deutschlands bzw. Bayerns bzw. der untergeordneten Regionen Kiefersfelden und Rosenheim trotz unterschriebener Verträge jedoch stark genug zu sein scheint, um die dringend notwendigen Zulaufstrecken jahrelang zu verzögern, wenn nicht überhaupt zu verhindern.

Um die derzeit wichtigsten Aufgaben zu bewältigen, etwa einen effektiven Schutz der Außengrenzen zu garantieren, gegenüber einem imperialistischen aggressiven Russland eine eigenständige, d.h. von der NATO unabhängige Verteidigung aufzubauen und für eine weltweit konkurrenzfähige Wirtschaft zu sorgen, müsste die Europäische Union über mehr Kompetenzen verfügen, um Entscheidungen nicht jeweils zu einem demoralisierenden Kampf um den kleinstmöglichen gemeinsamen Nenner zwischen Staaten ausarten zu lassen, von denen ein einziger alles blockieren kann.

Die EU wäre also darauf angewiesen, im Hinblick auf eine effiziente Lösung der oben aufgelisteten Aufgaben im komplexen Spannungsfeld zwischen Konföderation und Föderation behutsam den Weg in Richtung Verlagerung von Kompetenzen und Macht nach Brüssel weiterzugehen. Dazu jedoch ist die entscheidende Voraussetzung eine starke und positive Einstellung der von einer solchen Zentralisierung betroffenen Bürger der jeweiligen Teilstaaten.

Wer auch nur die geringste Ahnung von einem erfolgreichen Marketing bzw. von gelungenen Public Relations hat muss derzeit jedoch feststellen, dass die Union mit Bravour alles tut, um ihren Bürgern einen heiligen Schrecken vor einer weiteren Übertragung von Entscheidungsbefugnissen nach Brüssel einzujagen. Denn ganz im Gegensatz zum Vorurteil, wonach in den europäischen Zentralen nur faule und mit hohen Gehältern gesegnete Beamte tätig seien, sind diese, um ihre Existenz zu rechtfertigen, offenbar derart fleißig, dass im Abstand von Monaten Verordnungen erlassen werden, die sich in ihrer abgehobenen Idiotie oftmals schädigend auf die inneren Angelegenheiten der Länder der Union und ihrer Wirtschaft  auswirken.

In diesem Sinne sei nochmals an jene unsäglichen  Fauna-, Flora-Habitat-Richtlinien erinnert, die etwa in Osttirol aufgrund einer genetischen Variante des Unkrautgewächses Tamariske ganze Regionen unter den Glassturz der Selbstmusealisierung stellen, obgleich es leicht möglich wäre, das Genmaterial der Pflanze zu archivieren bzw. die Pflanze selbst in einem abgegrenzten botanischen Garten vor dem Aussterben zu bewahren.

Oder es sei an den penetrant gouvernantenhaften Aufdruck von ekligen Abbildungen von Krebskrankheiten auf den Zigarettenschachteln erinnert, wobei trotz langer Zeitdistanz noch nie eine Evaluierung erfolgte, ob dieses Bildmaterial tatsächlich den gewünschten Effekt erzielt hat, gleichzeitig jedoch auch noch nie die Idee aufkam, ähnliche Bilder auf jede Weinflasche zu kleben, zumal längst bekannt sein dürfte, dass Alkoholismus nicht nur die unter Drogenmissbrauch leidende Person selbst zerstört, sondern in einem viel größeren Ausmaß wie Nikotin auch ihr soziales Umfeld und die wirtschaftliche Existenz der Betroffenen.

Ebenso sei an den Wahnwitz erinnert, dass Verlage in Zukunft nachweisen sollten, dass sie aus einem ökologisch bewirtschafteten Wald ihr Papier beziehen, wie auch die Vorschrift, dass Firmen den Nachweis erbringen müssen, dass ihre Produkte in globalen Fertigungsstraßen nicht durch ausbeuterische Arbeit und umweltschädliche Produktionsweisen zustande kommen, was auf einen geradezu lähmenden Aufwand an Bürokratie hinausläuft.

Nicht vergessen werden dürfen in diesem Zusammenhang natürlich auch die wahnhaften Vorstellungen der Öko-Ideologen, die von einer paradiesischen Ansiedlung von Wölfen und Bären in Regionen träumen, deren Sicherheit die Grundlage eines erfolgreichen Tourismus und einer grenzrentablen Almwirtschaft ist. Zahlreiche von Bären grässlich zu Tode gekommene Menschen werden als Kollateralschäden in Kauf genommen, was nicht verwundert, da der Mensch aus der Sicht dieser manichäischen Fundamentalisten ohnehin nur als ein Krankheitsbefall des Planeten Erde eingestuft wird.

Jüngster Streich aus der Sudelküche unserer fleißigen EU-Bürokraten ist die Vorschrift, zu einem sogenannten Veggie-Schnitzel nicht mehr Veggie-Schnitzel sagen zu dürfen. Jetzt fehlt nur noch, dass aus Brüssel auch der Ukas kommt, wonach Gender-Sonderzeichen Doppelpunkt, Sternchen oder Schrägstrich zwecks Erlösung der Frauen aus ihrem Elend zur Norm erklärt werden. Sollte dem so sein, werde ich endgültig eine Partei gründen oder einer Partei beitreten, die sich für den sofortigen Austritt Österreichs aus der EU einsetzt. Das Leben unter der Diktatur von ideologisch verkrümmten, in diesem Fall katholischen Menschen habe ich in meiner Jugend genug genossen.

Es ist traurig, dass offenbar in den Blasen der Europäischen Hochbürokratie und ebenso in den Blasen der quer durch den Kontinent fliegenden und dadurch in ihrem Selbstwert enorm geschmeichelten Politikerinnen und Politiker jede Sensibilität dafür fehlt, dass das Vertrauen in eine Institution zerstört wird, wenn diese ununterbrochen gefährlichen Unsinn absondert.

Ausdruck dieser mangelnden Sensibilität ist die Missachtung des ausdrücklich in den EU-Verträgen als verpflichtend niedergeschriebenen Subsidiaritätsprinzips, wonach alles, was im Kleinen geregelt werden kann, auch dort geregelt werden soll. Insofern war es aus heutiger Sicht ein Gewinn, dass Frankreich und die Niederlande sich mehrheitlich gegen eine EU-Verfassung ausgesprochen haben, worauf das Projekt fallen gelassen wurde und in die Lissabon-Verträge mündete, die der EU-Bürokratie und der poetischen Kraft ihrer Legistik weniger Spielraum einräumen.

Statt für das Große zu sorgen, um es nochmals zu wiederholen: um Grenzschutz, Verteidigung und Rahmenbedingungen für eine unabhängige und global konkurrenzfähige Wirtschaft, wird den Einzelstaaten derzeit mittels Gurkenkrümmungsabsurditäten in beleidigender Weise die Fähigkeit zum Vernunftgebrauch in der Politik abgesprochen. Beste Voraussetzung also, um die an sich großartige Idee eines Vereinten Europa nachhaltig zu beschädigen.

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor, Journalist, Veranstalter, geb. 1950, lebt bei Innsbruck, schreibt seit 41 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 34 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Nach seiner Tätigkeit als ORF-Fernsehredakteur für Fernsehspiel und Unterhaltung verfasste Schöpf Romane, Erzählungen, Märchenbücher und in den letzten Jahren vor allem Essays zu relevanten gesellschaftlichen Themen. Daneben schrieb er Theaterstücke und vier Opernlibretti. Schöpf war auch als Blasmusikdirigent tätig und ist Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte, die er 25 Jahre lang bis 2019 leitete. Zuletzt gründete er 2020 das Online-Magazin schoepfblog, an dem 40 renommierte Autorinnen und Autoren mitarbeiten.

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