Alois Schöpf
Wenn die Gerichte Politik machen,
indem sie Recht sprechen.
Essay

Als Herbert Kickl im Jänner 2019 den Satz von sich gab Ich glaube, das Recht hat der Politik zu folgen und nicht die Politik dem Recht, bewirkte er beim linksliberalen Österreich und den KolumnistenInnen der Mainstreammedien gutmenschliche Schnappatmung. Dem damaligen Innenminister wurde unterstellt, er wolle das Recht gleichsam seinem täglichen Bedarf anpassen und eines der Fundamente der auf Gewaltenteilung aufbauenden Demokratie untergraben. Und er habe mit seinem Statement gleichsam unfreiwillig die wahren Absichten der FPÖ im Hinblick auf den Umbau des Staates in eine illiberale Demokratie offengelegt.

Ungeachtet der Tatsache, ob diese Unterstellung zutrifft, liegt es für jeden auch nur oberflächlich Gebildeten auf der Hand, dass es vom athenischen Solon über Thomas Hobbes, John Locke und die Französische Revolution bis hin zum Parlamentarismus der Gegenwart immer die Politik war, die das Recht auf Basis zuerst theologischer und sodann philosophischer Grundsätze entwickelte, beschloss und den Gerichten lediglich die Aufgabe zuwies, darauf zu achten, dass das Beschlossene auch eingehalten wird. Dort stehen wir heute.

Denn mehr als fünf Jahre nach Kickls Aussage zeigen die Zeitläufte überdeutlich, was geschieht, wenn das Recht die Politik bestimmt und die Politik ihrerseits zu feig und zu unfähig ist, das Recht rechtzeitig so zu verändern, dass Schaden von der Gesellschaft abgewendet wird. Diese Tatsache veranlasst zugleich all jene, die nicht die geringste Chance hätten, ihre Agenden politisch durchzusetzen, dazu, ihr Heil bei den Gerichten bis hin zum obersten Gerichtshof zu suchen.

Dass sie dort fallweise sehr erfolgreich sind, bewirkt in einigen Fällen fundamentale gesellschaftliche Fortschritte, welche eigentlich die Politik initiieren hätte sollen, was sie jedoch verabsäumte, zugleich aber auch jahrelange Verzögerungen dringend benötigter Projekte und zuletzt eine geradezu flagrante Überforderung der Toleranz einer ganzen Gesellschaft und ihrer öffentlichen Haushalte.


1.Fundamentale Fortschritte

Statt sich mit der seit Jahrzehnten anbahnenden Herausbildung einer polysexuellen Spätmoderne (Reckwitz) auseinanderzusetzen und das antiquierte, auf Heterosexualität und Monogamie ausgerichtete Eherecht der Lebenspraxis vor allem urbaner Schichten anzupassen, ordnete man sich feig einer von katholisch-dogmatischem Unsinn formatierten Konservativität unter, bis aufgrund der Möglichkeit der Individualklage der Oberste Gerichtshof dem Spuk ein Ende bereitete und die Ehe für alle als Menschenrecht reklamierte.

Nicht anders verhielt es sich in Sachen Liberalisierung der Sterbehilfe, die zwar von der Bevölkerung herbei gewünscht wurde, jedoch durch den Konsens einer katholisch sozialisierten und reflexionsfaulen Elite als ungustiöse, geschäftsstörende und lästige Problematik so lange ignoriert wurde, bis wiederum der Oberste Gerichtshof ein neues Gesetz erzwang, dessen rigide Überbürokratisierung inzwischen erneut Anlass zu einer Individualklage notwendig macht. Das diesbezügliche Ergebnis steht noch aus!

Ein 120 Seiten dickes, umfassend argumentierendes Urteil des Bundesgerichtshofs in Deutschland erzwang auch dort eine Liberalisierung der Sterbehilfe, die der katholisch-schwule Gesundheitsminister der CDU Jens Spahn zu unterlaufen versuchte, indem er die Ausfolge des todbringenden Mittels Natrium-Pentobarbital per Erlass verhinderte.


2. Papier ist Papier

Besonders in den Reihen der ÖVP, deren Spezialität das kameradschaftliche Mauscheln im Hinterzimmer bei gleichzeitig ausgiebiger Einnahme der im jeweiligen Landstrich gerade gebräuchlichen Droge ist, schien man lange Zeit das geschriebene Wort, wenn es nicht gerade ein Bibeltext war, nicht sonderlich ernst zu nehmen. Eine Folge davon war, dass man Vertragswerke wie etwa die sogenannte Alpenkonvention, mittels derer ein grüner Glassturz über die Alpenländer gestülpt werden sollte, bedenkenlos unterschrieb, um mit dem Hintergedanken, sich ohnehin nie daran halten zu müssen, ein paar bürgerliche, alpinistisch gesinnte Wähler davon abzuhalten, die Grünen zu wählen.

Die Folge dieser Nachlässigkeit ist heute, dass Verträge eben doch gelten und daher die Erweiterung eines Skigebiets etwa an der Fotografie eines dort angeblich lebenden Alpenschneehuhns scheitern kann bzw. eine Bewilligung sich über Jahre hinzieht, bis endlich alle Instanzen durchlaufen sind. Wesentlich gravierender ist die Tatsache, dass etwa die Bewilligung eines Pumpwasserkraftwerks, das für die Energiewende in den Alpen von höchster Dringlichkeit wäre, um den in PV-Anlagen produzierten Strom speichern zu können, durch das Einspruchsrecht von NGOs im Durchschnitt zwölf Jahre lang dauert, wenn sie überhaupt je erteilt wird.

Ebenso ersparten sich die Unterzeichner des EU-Beitrittsvertrages die Mühe, das sechshundertseitige Vertragswerk genau durchzulesen, was zur Folge hat, dass die alpine Almwirtschaft, vor allem jedoch der für Länder wie Tirol so wichtige Tourismus bedroht ist.

Es sind nämlich zwei Eigenschaften einer Destination, die über den Erfolg entscheiden, über die zugleich jedoch niemand spricht, weil sie als selbstverständlich angesehen werden: Sauberkeit und Sicherheit. Letztere ist dann massiv gefährdet, wenn auf Basis der EU-Verträge, die niemand gelesen hat, und der darin festgeschriebenen Habitats-Verordnungen Wölfe und Bären, aber auch allfällige Hirtenhunde durch Gebiete streifen, die bislang als Kulturlandschaften den Sicherheitsbedürfnissen der Menschen angepasst waren, nun jedoch von den Wimmelbuch-Ideologen der EU auch unter weiterer Zuhilfenahme von Gerichten zur Naturidylle erklärt wurden, innerhalb derer der Mensch als Belästigung empfunden wird. Die tödlichen Begegnungen von Mensch und Bär im Trentino oder in der Slowakei sprechen eine eindeutige Sprache.


3. Die Menschenrechte

Als endgültig wahnwitzig erweist sich eine durch die Gerichte gesteuerte Politik in Sachen Migration, wenn plötzlich die an religiöse Hymnen erinnernde und ähnlich verblasene Erklärung der Menschenrechte, die als moralischer Selbsterrettungsversuch der Völkergemeinschaft in Reaktion auf das Desaster des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust einzuordnen ist, ein dreiviertel Jahrhundert später auf eine Welt angewendet wird, in der Europa über das Handy als ein fernes Paradies aufscheint, das unter entsprechenden Gefahren und mit erheblichen Kosten bei professionellen Schleppern gebucht werden kann und das sich selbst, wenn es einmal erreicht ist, die Wahrung seiner eigenen Interessen und seines gesellschaftlichen Zusammenhalts per Gericht verwehrt.

Die Guten, die sich als moralisch überlegen empfinden und meist in ökonomisch und lagemäßig sicheren Verhältnissen leben, kämpfen vor Gericht gegen jene, die gefragt werden wollen, bevor sie zur multikulturellen Knetmasse eines angeblichen Fortschritts degradiert werden. Und die Politik und die mit ihr durch Millioneninserate verbandelten Medien, deren Personal sich fast zu hundert Prozent aus der Elite der Guten rekrutiert, errichtet Brandmauern, die zwar für die Migration, aber nicht für eine wie auch immer geartete Lösung der Migrationsprobleme durchlässig sind.

So ist nach dem Urteil des Europäischen Menschenrechtgerichtshofs allen afghanischen Frauen der Asylstatus zuzuerkennen, weil ihre machistischen, islamischen Männer sie zuhause unterdrücken. Ebenso sind Homosexuelle aus Afrika aufzunehmen, da sie in ihren Heimatländern aufgrund ihrer sexuellen Orientierung ihres Lebens nicht sicher sind. Das mit der Sicherheit gilt übrigens auch für blutige Diktaturen wie in Syrien und in vielen anderen Staaten, wodurch für viele Migranten, wenn sie nur auf die richtigen Katholiken treffen, die reelle Chance besteht, nach einem Marsch durch alle Instanzen nicht einmal dann ausgewiesen zu werden, wenn sie schwere Gesetzesübertretungen begangen haben.

An dieser Stelle darf auch nicht unerwähnt bleiben, dass es italienische Gerichte sind, die es Frau Meloni verbieten, Migranten nach Albanien auszulagern, und die Herren Salvini vor Gericht zitieren, weil er ein Schiff mit Flüchtlingen, zu denen man so nicht mehr sagen sollte, nicht anlegen ließ. Und zuletzt darf eine mit Millionen Euro finanzierte Einrichtung wie Frontex nicht vergessen werden. Ihre Aufgabe wäre es, die europäischen Außengrenzen zu schützen. Ihre Bediensteten werden jedoch regelmäßig zum Rapport oder gleich vor Gericht zitiert, wenn sie dabei erwischt werden, dass sie es tatsächlich tun.

Das vernünftige Begehren jener wenigen heimischen Politiker, die mutig genug sind, auch einmal über die heiligen Texte der Menschenrechte bibelkritisch nachzudenken und dafür von den Medien heftig kritisiert werden, hat noch nicht die geringste politische Wirksamkeit entwickelt, sodass man zusammenfassend sagen kann, dass unsere europäischen Gesellschaften neben einigen positiven Nebeneffekten nicht von der Politik, die inkompetent zuschaut, sondern von den Richterinnen und Richtern, die sich über ihre veralteten Bücher beugen, in einen selbstzerstörerischen Niedergang geführt werden.

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

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