Alois Schöpf
Der schräge Traum vom wahren Leben
Über die TV-Sendungen
"Landleben" und "Heimatleuchten"
in der Nachfolge von Sepp Forchers
"Klingendes Österreich"
Essay

Dass der große Erfolg Sepp Forchers und seiner Sendereihe Klingendes Österreich, die nach 200 Folgen eingestellt wurde, irgendwann zu Nachfolgeprodukten führen würde, war zu erwarten. Denn zu schön sind unsere Landschaften, die in ihrer jahrhundertealten Mischung aus Kultur und Natur nicht nur alljährlich Millionen von Gästen anziehen, sondern auch uns Einheimischen eine Lebensqualität ermöglichen, die weltweit einmalig ist, wenn man es nur nicht aus dummer Gewohnheit immer wieder vergessen würde.

Als Bewohner des Speckgürtels rund um die Landeshauptstadt Innsbruck zum Beispiel benötigt man zu Fuß lediglich zehn Minuten, um mitten in der Waldeinsamkeit zu stehen, dort seine gesundheitsfördernde Höhenrunde zu drehen und zuletzt in einer Alm oder in einem Gasthaus einzukehren, wo das Essen oft besser und billiger ist als im Tal und man sich, wenn auch nur wenige Leute in der Stube sitzen, mit diesen ohne die Gefahr von Belästigungsvorwürfen in tiefgründige Gespräche einlassen kann.

Fehlt dann nur noch, dass in der Kirche nebenan die Glocken zur Wandlung läuten und sich bald danach die Stube, angeführt von einem fröhlich lachenden Pfarrer in weißer Kutte, mit Christenmenschen füllt. Da vermeint sich selbst der verstockteste Atheist jäh ins Tableau jener bäuerlichen Idylle versetzt, mit der Jeremias Gotthelf seine berühmte Erzählung Die schwarze Spinne beginnen lässt, und er kehrt, eine Herde durchquerend und Kuhsele Kuhsele rufend mit gereinigter Seele, an die er nicht glaubt, nach Hause bzw. an den Arbeitsplatz zurück.

Das Leben in den Alpen ist neben seiner wie in den Städten längst dominanten spätmodernen Hektik und zeitgeistigen Komplexität also immer wieder durchsetzt von heilsamen Inseln gestriger Welten, die man unter keinen Umständen missen möchte, obgleich ihnen jegliche Autorität fehlt, über das Museale hinaus ernst genommen zu werden.

Denn wer könnte bei wachem Verstand die Armut, den Schmutz und das kurze Leben vergangener Zeiten vergessen,  Kindersterblichkeit, Militarismus, dumpfe Gläubigkeit gepaart mit Obrigkeitshörigkeit, die Stellung der Frau, die von oben bewusst gehegte Unbildung, die unsinnigen Kriege mit hunderttausendfachen qualvollen Toden junger Männer: man studiere nur die am heimischen Heldenberg Bergisel oberhalb Innsbrucks aufbewahrten Sterbezettelchen der im Ersten Weltkrieg gefallenen Soldaten, um eine Ahnung von all dem unsäglichen Elend zu bekommen.

Dieses Wissen um eine Welt, in die man immer wieder zu Erholungszwecken einkehrt, erfordert eine geistige Disziplin, die man von vielen Durchschnittsbürgern und vor allem von Medienleuten auf der Suche nach Honoraren und Sendeplätzen nicht erwarten kann. Das Ergebnis ihrer unkontrollierten Träume sind dann so erfolgreiche und zugleich anzweifelbare Dokumentationen wie Landleben (ORF) oder Heimatleuchten (Servus TV), in denen ungeniert das Zurückgebliebene und Alte als das Bessere, Authentischere und Wahrere dargestellt wird.

Wenn ein Sepp Forcher noch schweren Schritts von einem Museum ins andere, von einer Kirche in die andere stapfte und sich dazwischen von singenden Wirtinnen, fidelen Inntalern und marschierenden Musikkapellen begleiten ließ, war es, neben opulenten Schwenks über die Landschaft, immer ein Gang durch ein Museum, geführt von einem trotz ländlicher Gewandung bildungsbürgerlich orientierten Zeitgenossen. Niemals wurde der Eindruck vermittelt, dass hier Heutiges dargestellt würde, stets war es eine Rückkehr ins festlich geschmückte Gestrige, wie es eben ein Museumsbesuch durch all die Zimmer voll von restaurierten Exponaten ist. Am Schluss wird er mit einem Gasthausbesuch belohnt, wobei Forchers Einkehrschwung gelüpften Huts und mit gutmütigem Abschiedsgruß zum kabarettistisch kommentierten Markenzeichen des beliebtesten Fremdenführers der Nation aufstieg.

Ganz anders heute: Wieder sind Sendungen wie Heimatleuchten und Landleben getragen von den durch Drohnenaufnahmen qualitativ noch raffinierteren Schwenks über magische Landschaften und eine in diese harmonisch eingebettete bäuerliche Architektur. Neu ist hingegen, dass niemand mehr da ist, der da durch alles führt und den Blick aus dem Heute in das Gestern definiert. Festschreibt. Es werden vielmehr Menschen gezeigt, die in breitestem Dialekt und voll von plattem Selbstbewusstsein davon berichten, weshalb sie so sind, wie sie sind, und weshalb es so richtig ist, wie sie sind, weil es in ihrer Welt schon immer so war, schon immer so sein musste und auch in Zukunft so sein wird.

Das noch so dumpfe und geistbefreite Dahinleben wird plötzlich über das Medium der markanten Gesichter von durchwegs zumindest eigenwilligen, wenn nicht gar schrägen Zeitgenossen zum meditativen Weg des Wissens um das gute Leben erhoben. Zwar kommen immer noch Landpfarrer mit Gipfelmesse und trivialer Predigt zu Wort, stapfen immer noch Blasmusikanten mit der Tuba am Rücken über Almwiesen, zugleich ist aber auch viel von Ökologie die Rede, wird viel über die Gefährdung der Natur geklagt und über aussterbende Tierarten gesprochen, auch über die Schwierigkeiten, in der heutigen, selbstverständlich kritisch gesehenen Wirtschaftsweise von industrieller Massentierhaltung und Milchproduktion zu überleben.

Mit all diesen modischen Klagen sind Landleben und Heimatleuchten nicht mehr ein Besuch in den Welten von Gestern, sie imaginieren vielmehr, wenn man nur konsequent und charakterstark genug ist, die schwierige, aber realistische Möglichkeit eines Zurück zur Natur und eines gesegneten Ausstiegs aus der Moderne.

Ein Sepp Forcher, der tatsächlich noch auf ein karges Leben als Landmensch zurückblicken konnte und dem es nie eingefallen wäre, dieses Leben als ein in der Gegenwart lebbares, gar attraktives zu betrachten, der sich vielmehr, wie er in seinen Erinnerungen schildert, durch die Lektüre klassischer Literatur, gar altgriechischer Dramen in Reclam-Heftchen zumindest aus den Gefahren der geistigen Armut zu befreien versuchte, hat niemals das Museale als das für die Gegenwart Gültige behauptet. Er war niemals so naiv, eine Welt von Gestern als eine ernstzunehmende Alternative für das Heute anzupreisen.

Das große Buch vom Leben auf dem Land von John Seymour, erschienen im Jahr 1976, mit dem auch im deutschen Sprachraum nach der abklingenden sogenannten 68er-Revolution die neobiedermeierliche Grünbewegung Fahrt aufnahm, vermittelt mit wunderschönen Illustrationen den Eindruck, man könne wieder vom Zusammenzimmern einer Wiege über die Geflügelzucht bis hin zum Weinkeltern und Bierbrauen alles selber machen, als sei die Existenz lediglich eine Gebrauchsanweisung des Möbelhauses Ikea, die gelinge, wenn man sie nur genau genug lese und sich daran halte.

Die im städtischen Ambiente aufgewachsenen und ausgebildeten Kinder dieser ersten neuen Generation Rousseauscher Träumer gestalten heute nun, erwachsen geworden und ahnungslos, was es bedeutet, nach dem Zweiten Weltkrieg ab 1945 am Land aufgewachsen zu sein, Sendungen, die von Leuten bevölkert werden, die das Seymour’sche Paradies entweder nie verlassen haben, was sie zu durchwegs schrägen Vögeln und skurrilen, aber doch liebenswerten Originalen macht, oder die sich entschieden haben, es neu zu betreten, weshalb sie als charakterstarke und geradezu durch ihre Rückkehr in die Vergangenheit innovative Persönlichkeiten gelten dürfen.

Das entscheidende Beweismittel der Authentizität ihres Tuns, sowohl derer, die schon immer im Gestern verblieben sind, als auch derer, die sich für einen Abschied vom Heute entschieden haben, ist neben ländlicher Gewandung, fachkundigem Kneten selbst angebauter Getreideprodukte durch Frauen und dem eleganten Schwingen der Heugabel durch Männer der durch keinerlei Selbstaufforderung, verständlich zu sprechen, getrübte Dialekt, für den ich als Jugendlicher im Internat noch Hohn und Spott einstecken und mich abwertend als Bauer bezeichnen lassen musste. Jetzt ist er längst zur Mandarin-Sprache derer aufgestiegen, die zu leben wissen, indem sie beseelt, nicht selten mit einem Glas Wein oder Bier in der Hand, vor sich hin schwadronieren, wie gut es ihnen geht und wie gut sie es erwischt haben.

Kritischen Zeitgenossen, die sich krankhaft schwertun, an ein solch gelungenes Leben zu glauben und die es für sich selbst bestenfalls in knappen Zeitdistanzen wahrnehmen können, sei als kühle Analyse empfohlen, all dieses Dialektale, das sie da so authentisch und wortmalerisch schier zu erdrücken droht, in die Schriftsprache zu übersetzen. 

Mit wenigen Ausnahmen wird nach einer solchen Untertitel-Therapie der immer gleiche Monolog des immer gleichen, selbstzufriedenen, eitlen und flachköpfigen Spießers übrig bleiben.

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor, Journalist, Veranstalter, geb. 1950, lebt bei Innsbruck, schreibt seit 41 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 34 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Nach seiner Tätigkeit als ORF-Fernsehredakteur für Fernsehspiel und Unterhaltung verfasste Schöpf Romane, Erzählungen, Märchenbücher und in den letzten Jahren vor allem Essays zu relevanten gesellschaftlichen Themen. Daneben schrieb er Theaterstücke und vier Opernlibretti. Schöpf war auch als Blasmusikdirigent tätig und ist Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte, die er 25 Jahre lang bis 2019 leitete. Zuletzt gründete er 2020 das Online-Magazin schoepfblog, an dem 40 renommierte Autorinnen und Autoren mitarbeiten.

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