Alois Schöpf
Schreckensbilder in den Nachrichten
Abschalten erlaubt!
Notizen
Wie abgebrüht und phantasielos muss man eigentlich sein, wenn man bei solchen Bildern nicht abschaltet oder auf einen anderen Sender ausweicht? Statt nämlich über die komplexen Zusammenhänge zu informieren, die in Syrien zu einem Umsturz binnen einer Woche geführt haben, erging sich der ORF- Berichterstatter für Nahost Karim El-Gawhary dieser Tage stolz in der Präsentation des Gefängnisses, in dem seit einem halben Jahrhundert im Fließbandverfahren Hunderttausende gefoltert und ermordet worden waren, und gewährte uns voyeuristische Einblicke in verdreckte Zellen und blutverschmierte Schlachtbänke.
Hab ich es nicht gewusst, was unter der Assad-Diktatur mit Regimegegnern passiert? Natürlich hab es gewusst! Hätte ich dagegen etwas tun können? Nein! Muss ich das ganze Leiden der Welt auf meinen Schultern tragen? Nein! Warum muss ich mir dann diesen auf einen Videoclip eingedampften syrischen Horror zu Gemüte führen?
Noch schlimmer und gleichsam wertfreier trieb es die Nachrichtenredaktion am zweiten Weihnachtsfeiertag in ZIB1. Da musste wieder einmal Afrika mit Bürgerkrieg, Dauerdürre und Klimakatastrophe herhalten. Gezeigt wurde eine Mutter, die neben ihrem vor Hunger sterbenden Kind sitzt. Dies alles natürlich erneut ohne Analyse der politischen, sozialen und ökologischen Hintergründe, wie es ja überhaupt zur Spielart des subtilen Bobo-Rassismus geworden ist, den schwarzen Kontinent in ein Bildarchiv zwecks Dokumentation gescheiterter Gesellschaften umzufunktionieren. Allein und ungeschützt durften Herr und Frau Österreicher sich, gerade noch vom präsidialen Charity-Kitsch „Nachbar in Not” der Gehirnwäsche unterzogen, ohne Trigger-Warnung das Herz vom Leid zweier Unschuldigster zerreißen lassen.
Und wieder: Zu welchem Behuf? Wissen wir es nicht? Wir wissen es längst! Können wir etwas dagegen tun. Nein, das Kind wird sterben und seine Mutter wird um es weinen, wenn sie überhaupt noch Tränen hat. Müssen wir das Leiden der Welt oder auch nur Afrikas auf unseren Schultern tragen? Und das ausgerechnet an einem Tag, der unserer Freude an der eigenen Familie vorbehalten wäre? Nein, müssen wir nicht. Sollten wir nicht. Können wir nicht.
Warum wird das Ganze dann gesendet? Weil es, wie man in der Branche sagt, geile Geschichten sind. Und weil man sich mit geilen Geschichten die Mühen der sachlichen Information und der Analyse ersparen kann. Und weil geile Geschichten das Einzige sind, mit dem man gegen die Sozialen Medien anzukommen glaubt. Weil geile Geschichten Einschaltquoten generieren. Und Einschaltquoten den Platz an der medialen Sonne garantieren.
Hieronymus Bosch: Die Hölle. Ausschnitt
Aber auch: Weil geile Geschichten die zeitgeistige Version der alten Höllenqualen sind, die immer schon spannender als die Paradiesesbilder waren, und von Hieronymus Bosch bis Dante Alighieri die Gläubigen in Schach zu halten hatten, damit sie sich vor der Strafe für ihr untugendsames Leben fürchteten. Vor dem Teufel mit seinen Ölkesseln. Vor Putin mit seinen Atomwaffen. Vor der Invasion schwarzhäutiger Barbaren. Vor dem Untergang der Welt, vor Stürmen, Fluten, ab hier gehen die Bilder der säkularen Spätmoderne in jene des christlichen Mittelalters über und erinnern an ihre idente Funktion: der Kaste der Prediger zu dienen, deren Geschäftsmodell es immer schon war, aus dem schlechten Gewissen der Gläubigen damals bzw. des Fernsehpublikums heute für ihre Institution bzw. für die eigene Karriere Vorteile zu erwirtschaften.
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