Alois Schöpf
Im Blutrausch des Machismo
Überlegungen zur konzertanten Aufführung von
“Il Trovatore” bei den Tiroler Festspielen Erl
Essay
Zwei Vorbemerkungen: Als ich vor einigen Jahren bei den Salzburger Festspielen die konzertante Aufführung der Oper Die ägyptische Helena von Richard Strauss besuchte, war zwei Tage später in der Tageszeitung Der Standard die Bemerkung zu lesen, dass der Rezensent das Werk unter der musikalischen Leitung von Kent Nagano deshalb so genossen habe, weil ihm die auch in diesem Fall garantiert blödsinnigen Einfälle der Regie erspart geblieben seien.
Die zweite Vorbemerkung bezieht sich auf eine scherzhafte Wette, die der längst verstorbene, aber immer noch nicht vergessene Opernführer Marcel Prawy dereinst dem Publikum angeboten hatte: Nämlich jedem, der die Handlung von Il Trovatore nacherzählen kann, ein Plastiksackerl mit Schallplatten zu schenken.
Die beiden Begebenheiten führen zur Aufführung eines Werkes, dessen Libretto man bei Nachsicht aller Taxen und geschult an der Dramaturgie Hollywoods nur als grottenschlecht bezeichnen kann. Die gültigste Beschreibung findet sich daher auch im heiteren Opernführer von Wolfgang Körner, der die Handlung der Oper folgendermaßen beurteilt:
4 Akte, 8 Bilder und 3 Stunden Musik von Giuseppe Verdi. Das Libretto nach einem spanischen Drama von Antonio Garcia Gutiérrez wurde von Salvatore Cammarano und Leone Emanuele Bardare geschrieben, die Übersetzung ins Deutsche besorgten Johann Christoph Grünbaum, Heinrich Proch und Georg Winkler. Da nach ihren Bemühungen noch immer eine Handlung erkennbar war, wurde das Werk einer weiteren Bearbeitung unterzogen, die gelang. Seither können selbst Kriminalbeamte, ja sogar die in Deutschland fähigeren Beamten der Steuerfahndung nicht mehr herausfinden, um was es in dieser Oper eigentlich geht. (Wolfgang Körner. Der einzig wahre Opernführer. Rowohlt Taschenbücher 1999)
Dieser Ansicht schließt sich im Übrigen, wenngleich vornehmer formuliert, das Programmheft der Tiroler Festspiele Erl an, wenn es darin heißt: Die Figuren machen keine Entwicklung durch, sondern sind Allegorien von Gefühls-Konglomeraten, Liebe, Hass, Zorn, Eifersucht, Rache und Verzweiflung.
All diese despektierlichen Vorbemerkungen vergessen allerdings einen entscheidenden Umstand: Sowohl der Autor des spanischen Dramas, auf dem die Oper fußt, als auch die Librettisten, vor allem aber der in Opernangelegenheiten erfahrene und erfolgreiche Giuseppe Verdi, der von sich aus am Stoff des spanischen Autors Interesse zeigte, gingen bei der Planung ihres neuen Werks mitnichten davon aus, einen dramaturgischen Pfusch auf die Bühne zu hieven, sondern sie scheinen sich mit dem Text zumindest insoweit angefreundet zu haben, als ihn Verdi zum Anlass nahm, einige unvergessliche und für die meisten Opernfreunde aus dem Gedächtnis abrufbare Welthits zu komponieren, die ihm bereits bei der Uraufführung 1853 einen triumphalen Erfolg bescherten.
Wir als heutiges Publikum stehen also vor einem Libretto, das wir als lächerlich empfinden, das aber jene, die es geschaffen haben, bei allen möglichen Einwänden im Großen und Ganzen als inhaltlich und im Sinne des kommerziellen Erfolgs als brauchbar eingestuft haben müssen.
Vor dem Hintergrund dieser Verrückung in der Beurteilung des Werks ist die dramaturgische Konstellation der Oper nüchtern aus heutiger Sicht wie folgt zu beschreiben: Zwei Machos, die als Politiker um die Macht und um dieselbe Geliebte kämpfen, in Wirklichkeit jedoch Brüder sind und die Opfer einer bösen Hexe werden, die sich ihrerseits für den Tod ihres verwechselten Kindes rächt, geraten wie wütende Gockel aneinander, mit dem Ergebnis, dass ihre potentielle Geliebte sich vergiftet, der in der Schlacht unterlegene Bruder hingerichtet wird und die böse Zigeunerin zufrieden über all das lacht, weil ihre Rachepläne aufgegangen sind.
Das Wunderbare an einer konzertanten Aufführung, wie sie bei den Tiroler Festspielen Erl auf höchstem Niveau erfolgte, ist, dass das Psychogramm einer solchen Handlung, die uns heute als pathologisch bis läppisch erscheint, vor über 150 Jahren offenbar die kollektive Seele der Gesellschaft traf und nunmehr skelettiert vor uns liegt und wir, ganz in Eintracht mit dem Rezensenten der Tageszeitung Der Standard davor bewahrt bleiben, Opfer einer Regie zu werden, der gar nichts anderes übrig bliebe, als diesen Il Trovatore in irgendeiner Weise, und sei es durch die Verlagerung der Handlung in die Zeit des Nationalsozialismus, politisch korrekt zu verdrehen, um ihn im Sinne des Theaters als moralischer Anstalt für ein gegenwärtiges Verständnis zu retten.
So aber, in der konzertanten Aufführung, wird die Galerie elementarer menschlicher Gefühle ungeschminkt zur kostüm- und kulissenfreien gegenseitigen Anpöbelung zweier Verrückter, die unter dem Diktat ihrer Eitelkeit, Arroganz und Hormone stehen. Gefühle, die mehr sind als Hass, Eifersucht, Wut und Drohgebärde, bleiben den beiden Frauenrollen, bezeichnenderweise der Geliebten und der Mutter, vorbehalten, die zum Opfer eines Selbstverständnisses von Männlichkeit werden, das in der Mitte des 19. Jahrhunderts nicht nur aus anderen Opernwerken bekannt ist, sondern auch in der politischen Realität ihren Ausdruck in der Hochblüte eines rücksichtslosen Kolonialismus der europäischen Mächte fand. Ein Selbstverständnis, das sich aber auch in flagrant vom Zaun gebrochenen Kriegen äußerte und etwa durch die Niederlage Österreichs bei Königgrätz 1866 das Ende der Habsburgermonarchie einleitete. Ergänzt durch die Schlacht von Solferino 1859, eine weitere Niederlage Österreichs im Zuge des entstehenden italienischen Nationalstaates, auf deren unsägliche Grausamkeit die Gründung des Roten Kreuzes zurückgeht. Nicht zu vergessen der Krieg zwischen Preußen und Frankreich, der wiederum die Basis für den endgültigen Zusammenbruch der europäischen Überheblichkeiten zwischen 1914 und 1945 legte.
Vor einem solchen Hintergrund verliert denn auch plötzlich das aus heutiger Sicht aberwitzige Libretto seine Fragwürdigkeit und wird berechtigterweise zur gegenseitig ausgetragenen Brüll- und Gewaltorgie abartiger, an sich selbst leidender, um Macht und Liebe raufender Herrn in adeligem Glanz, die über das Entwicklungsstadium ihrer Jugend in der Sandkiste und des Streits um den Besitz des schönsten Schäufelchens niemals hinausgereift sind.
Es bleibt dem Publikum überlassen, bei höchstem musikalischen Genuss in die moralischen Abgründe der eigenen europäischen Vergangenheit und Psychogeschichte zu blicken und sich belehrt, beschämt und angewidert davon abzuwenden. Katharsis also im streng aristotelischen Sinn!
In ihrer konzertanten Fassung wird somit eine Oper am verständlichsten, wenn sich niemand berechtigt fühlt, mit Kulissen und Personenführung daran herum zu interpretieren. Was die Personenführung betrifft, so reichte aus, was die ihren Part auswendig singenden Darsteller an gegenseitiger, sparsamer Schauspielkunst, vor dem Orchester stehend, anboten. Was zuletzt die Kulissen betrifft, stellt sich ja nicht nur bei Il Trovatore die Frage, wie ein Publikum mit welchem Aufwand heute noch zufrieden zu stellen ist, das durch die Mediatisierung der Welt ohnehin die schönsten und beeindruckendsten Bilder aus der gesamten Kunst-, Film- und Theatergeschichte in sich abrufbar hat. Hier enttäuscht das Angebot zu oft. Oder es erschlägt, wenn es nicht enttäuscht, durch zu hohe Kompetenz, die sich nicht mehr in das Gesamtkunstwerk Oper einfügt, die Geschlossenheit einer Aufführung, die dann erneut und in lähmender Wiederholung zum Opfer des sogenannten Regietheaters wird.
Ein großes Kompliment an die Tiroler Festspiele in Erl unter der neuen Leitung von Jonas Kaufmann. Ein großes Kompliment an den vollkommen uneitlen und mit dem Orchester ideal harmonierenden Dirigenten Asher Fisch, ein nicht minder großes Kompliment an das sensibel und mit weichem Klang operierende Orchester, das mit einem ausgezeichneten Chor auch große musikalische Ausbrüche bewältigt, und nicht zuletzt ein großes Kompliment an die wunderbaren Sänger Mattia Olivieri als Graf Luna, Pretty Yende als Leonora, Elisabeth DeShong als Azucena, Piero Pretti als Manrico und Alexander Köpeczi als Fernando.
Fotorechte: Scheffold Media
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Lieber Alois,
ich gratuliere dir zu deinem brillant geschriebenen Artikel über Erl. Ich bin natürlich deiner Meinung, weil mir viele Ergüsse von Regisseuren auf die Nerven gehen. Nicht alle, aber sehr viele.
Jonas Kaufmann macht es hervorragend in Erl und er sollte die konzertanten Opern beibehalten. Er könnte ja jedes Jahr drei konzertante Opern bringen. Das ist auch finanziell machbar, keine Bühnenbilder, keine Regie, keine Kostüme etc. – nur die Gagen für die auftretenden Künstler. Da bin ich mir sicher, dass Jonas Kaufmann gute Bedingungen aushandelt. Ich habe ihn in Erl in einem langen Gespräch mit Anna Netrebko gesehen. Vielleicht kommendes Jahr …, Ich sage dir etwas voraus: Ich glaube dass Jonas Kaufmann der kommende Intendant der Salzburger Festspiele wird, wenn Erl so erfolgreich bleibt. Wohnung in Salzburg etc.
Dass es auch möglich ist, szenische Operninszenierungen ohne Regietheater mit zeitgeistigem oder politischem Schnickschnack aufzuführen, kann man an der zurzeit bei den Salzburger Festspielen laufenden Produktion von Gaetano Donizettis „Maria Stuarda“ in der Regie von Ulrich Rasche sehen, die gestern Abend im ORF 2 zeitversetzt übertragen wurde. Eine vor allem auch optisch schön umgesetzte Inszenierung, gute und ausdrucksstarke Solistinnen, eine ohne viel Effekte auskommende Produktion, die nahe am Stoff dran ist: der Kampf zweier Königinnen, zweier Frauen, die Opfer männlicher Herrschaftsstrukturen sind. So kann man es zumindest dieser Operninszenierung entnehmen. Und da dürfte auch was dran gewesen sein an der Historie. Große Empfehlung zum Nachsehen in der TV-Thek!
Als Liebhaber instrumentaler Musik, hauptsächlich Klavier und symphonischer Musik, bleiben mir die Ergüsse der künstlerisch zu kurz Gekommenen im Regietheater ohnehin erspart. Mich ärgert nur, dass ich diesen Mist mit meinem Steuergeld ungefragt unterstützen muss.
Für eine Oper ist die konzertante Aufführung nicht nur kostengünstig, sie konzentriert auch auf das Wesentliche.
Aber das:
Es bleibt dem Publikum überlassen, bei höchstem musikalischen Genuss in die moralischen Abgründe der eigenen europäischen Vergangenheit und Psychogeschichte zu blicken und sich belehrt, beschämt und angewidert davon abzuwenden. Katharsis also im streng aristotelischen Sinn!
Ogottogott, ist das pädagogisch, und streng aristotelisch obendrein.
In den dreißig Jahren unter den Borgias hat es nur Krieg gegeben, Terror, Mord und Blut, aber es gab Michelangelo, Leonardo da Vinci und die Renaissance. In der Schweiz herrschte brüderliche Liebe, fünfhundert Jahre Demokratie und Frieden. Und was haben wir davon? … Die Kuckucksuhr.
Orson Welles hat dieses Zitat erfunden und Mussolini zugeschrieben, im Film ‚Der Dritte Mann‘.
Well done, Orson.
Super texte, die für alle bereiche, kunst, musik, politik tiefer sehen, analysieren und kritisieren, danke