Alois Schöpf
„Ich begrüße zuerst die Hohe Geistlichkeit!“
Die Tiroler Identität
basiert auf der geschichtsvergessenen Verherrlichung
von Fundamentalismus und Inhumanität.
Inkludiert eigentlich die religiöse Toleranz auch die Rücksichtnahme auf Nichtreligiöse? Das sind in Tirol inzwischen immerhin 30 % der Bevölkerung. Aber auch nur dann, wenn man in der Statistik alle Besitzer eines Taufscheins als Katholiken bezeichnet und nicht nur jene, die aufgrund ihres regelmäßigen Kirchenbesuchs tatsächlich solche sind. Vor diesem Hintergrund wäre nämlich nur noch ein Anteil von 13% der Bevölkerung als katholisch zu bezeichnen. Der große Rest entfiele auf die Sektionen Volkskultur oder religiöses Brauchtum im ansonsten säkularen Leben.
Diesem Brauchtum wird dann besonders gern gehuldigt, wenn man bei der Begrüßung vor Konzerten die sogenannte Hohe Geistlichkeit vor den gewählten Repräsentanten der Republik beklatschen lässt, eine schweißtreibende Peinlichkeit, über die im Sinne der Identitätspflege gewöhnlich genauso hinweg gesehen wird, wie das Publikum aufsteht, wenn die Original Tiroler Kaiserjägermusik die Kaiserhymne der Donaumonarchie anstimmt.
Außen vor bleibt dabei natürlich, dass der Erste Weltkrieg ein absolutes Desaster war, der zuletzt nach einer chaotischen und planlosen Kapitulation durch einen inkompetenten Generalstab speziell den Tirolern die Teilung des Landes, unzählige, meist jugendliche Opfer oder zumindest traumatisierte Überlebende fast in jeder Familie hinterließ. Bei Ouvertüren und Märschen, gekleidet in eine hässliche Uniform, wird so getan, als sei das Habsburgerreich eine einzige multiethnische Wohltat gewesen und als hätten, wenn es nach ihnen gegangen wäre, zumindest die Kaiserjäger den Krieg gewonnen. Davon ist an solchen Abenden auszugehen.
Auf abstrakterer philosophischer Ebene spielt sich Ähnliches ab, wenn die kirchlichen Würdenträger zu Beginn eines Konzertes begrüßt werden und jeder, der dies als eine Beleidigung seines wachen und gebildeten Geistes empfindet und dagegen protestiert, abgekanzelt wird, weil dies in Tirol zur Tradition gehört, die, verdammt „no amol“, gepflegt werden muss. Zumindest so lang, bei meiner Ehr, solange ich etwas zu sagen hab! So oder so ähnlich einer jener Obmänner, unter denen ich das Vergnügen hatte oder immer noch habe, meine Klarinette zu traktieren.
Ganz schlimm wird es natürlich dann, wenn eine Intendantin des Tiroler Landestheaters, das man, um bei der Tradition zu bleiben, wohl nur als ein Institut der Europäischen Aufklärung bezeichnen kann, vor lauter Angst, doch noch hinausgeschmissen zu werden, beim Neujahrskonzert des Tiroler Symphonieorchesters Innsbruck ebenfalls zuerst die Hohe Geistlichkeit begrüßt, um gegenüber den vollzählig anwesenden meist ruralen Volksvertretern trotz aller feministischer Entgleisungen den Eindruck zu vermitteln, eine von ihnen zu sein. Hier wird somit an einem Ort, an dem man im Gegensatz zu einem x-beliebigen Blasmusikkonzert am Dorf doch etwas mehr Bildung und Intellektualität erwarten dürfte, der Gipfelpunkt der Anbiederungskunst erreicht.
Ich habe inzwischen die Hoffnung längst aufgegeben, durch noch so unzweideutige oder satirische Einlassungen eine Veränderung zu bewirken. In einem geistig so versumpften ÖVP-Land wie Tirol geht es bestenfalls nur noch darum, wie ich bereits vor Jahren in meinem Essay Vom Sinn des Mittelmaßes festgehalten habe, weniger gegenüber der Gegenwart als vielmehr gegenüber der Zukunft zu Protokoll zu geben, dass ich zwar nichts bewirkt, aber doch einiges durchschaut habe.
In diesem Sinne gilt es, inspiriert von den sakralen Litaneien der Hohen Geistlichkeit, einen in diesem Fall unheiligen Gesang anzustimmen, um all jene, welche von der kritisierten Tradition der gottesstaatlichen Begrüßung nicht lassen wollen, aber auch all jene, die diese Weigerung mit Wohlwollen beklatschen, daran zu erinnern, was sie tun und wen sie da eigentlich begrüßen.
Die Litanei
Grüß Gott, die ihr ein Weltbild vertretet, das bei noch so großen theologischen Bockssprüngen nicht mehr mit jenem Kenntnisstand zu vereinbaren ist, den uns die modernen Naturwissenschaften vermitteln.
Grüß Gott, die ihr noch immer der platonistischen Ansicht seid, wonach es eine vom Körper unabhängige Seele gibt, die Gott gehört, und dass der Mensch lediglich Verwalter dieses göttlichen Eigentums ist.
Grüß Gott, die ihr die Gleichheit der Geschlechter, die inzwischen in allen zivilisierten Gesellschaften zu den zentralen Menschenrechten gehört, verhöhnt, indem ihr nur den Männern die priesterlichen Weihen gewährt und den Frauen empfehlt, in der Kirche den Mund zu halten.
Grüß Gott, die ihr euren Gläubigen die Freuden der Sexualität vergällt habt und noch immer zu vergällen versucht, indem ihr alles verbietet, was nicht in den Fesseln des Sakraments der Ehe und nicht im Rahmen einer möglichen Fortpflanzung geschieht.
Grüß Gott, die ihr euch nicht selten trotz dieser Abwertung der Sexualität anderer im Dienste eurer eigenen Lüste an der Jugend, die euch zur Erziehung überantwortet wurde, schadlos haltet und dies, wenn es aufkommt, auch wenn ihr selbst nichts getan habt, bis in die höchsten Kreise zu verheimlichen versucht.
Grüß Gott, die ihr die Geburtenkontrolle ablehnt, auch wenn die Menschheit aufgrund von Überbevölkerung in ihrer Existenz bedroht ist.
Grüß Gott, die ihr jegliche Form der Abtreibung verdammt, auch nach Vergewaltigungen und auch bei zu erwartender schwerster Behinderung des Kindes, weil ihr behauptet, dass Gott schon wisse, wie er seine Menschen prüft.
Grüß Gott, die ihr die Onanie als schwere Sünde einstuft, obgleich sie von den Wissenschaften als Prävention gegen Prostatakarzinome empfohlen wird und obgleich sie junge Menschen mit dem Funktionieren ihrer eigenen Geschlechtlichkeit bekannt macht.
Grüß Gott, die ihr die Homosexualität früher mit dem Tode bestraft habt und heute noch als sündhaft ablehnt, obgleich die Menschenrechte jegliche Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung verbieten.
Grüß Gott, die ihr die künstliche Befruchtung ablehnt und dadurch viele Paare, welche auf andere Weise nicht Kinder bekommen können, eines zentralen Lebensinhalts beraubt.
Grüß Gott, die ihr auch die pränatale Diagnostik ablehnt und damit flagrant, nur um eurer brutalen Ideologie zu genügen, großes menschliches Leid in Kauf nehmt.
Grüß Gott, die ihr aus christlicher Fürsorge kranke Menschen dazu verdammt, gegen ihren Willen bis ans bittere Ende zu leiden, weil ihr die Freiheit, Art und Zeitpunkt des eigenen Todes selbst zu bestimmen, als Eingriff in göttliches Eigentumsrecht betrachtet.
Grüß Gott, die ihr immer dort, wo Kanonen standen, diese segnetet oder hinter euren Schreibtischen hervor kriegshetzerische Reden und Gedichte verfasstet und die Hinrichtung von Menschen mit eurem Kreuz begleitetet.
Grüß Gott, die ihr den Faschismus und Nazismus als Bollwerk gegen den Kommunismus betrachtetet und den Holocaust als Kollatertalschaden dafür in Kauf nahmt.
Der gütige Gott verzeihe euch allen, die ihr das vergesst.
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Darf ich mich zu diesem Thema auch einmischen:
Ich bin überzeugter Atheist und aufgrund meiner intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema „Religionen“ folgender Ansicht: Religionen sind nur weitere Machtfaktoren neben der Staatsmacht. Religionen haben durch die Jahrhunderte nur zum eigenen Vorteil und zur Machtverfestigung Millionen Menschen unterdrückt, ausgebeutet und für dumm verkauft. Religionen waren und sind genauso grausam wie die ach- so- verherrlichten „Adelshäuser“.
Wenn man objektiv betrachtet, was sich Religionen auch aktuell an Missbrauch, Gewalt und Mord erlauben, ist es verwunderlich, dass nicht alle DENKENDEN Menschen schreiend dem Glauben entsagen und dafür sorgen, dass die Religionsführer im Gefängnis landen. Aber die Herrschaften haben ja meistens zum Schutz eine eigene „Gerichtsbarkeit“, um ziviler Verfolgung im Rahmen staatlicher Gesetze zu entgehen. Sie werden schon wissen warum!
Lieber Herr Schöpf, zu dem obigen emotionalen Artikel möchte ich gerne noch etwas hinzufügen: beim Denken, Reden und Schreiben ist ein differenziertes Herangehen sehr hilfreich, pauschalisieren stellt vieles nicht immer richtig dar!
Dass die „Firma“ immer noch viel zu viel bestimmt, ( z.B. alle Feiertage bis auf zwei staatliche in Österreich) sei als Beispiel erwähnt. Habe deinen Artikel gerne gelesen, auch ist es manchmal notwendig, die Missstände krass aufzuzeigen!
Mit An-und Verkauf von Schuldgefühlen hat es diese „Firma“ im Weltgeschehen über die Jahrhunderte ja recht weit gebracht? Eine kontinuierliche Aufklärung sollte allen Religionen ein andauerndes Anliegen, ja eine dringende Notwendigkeit sein.
In der Hoffnung das du für deine Klarinette immer ein paar gute Blätter hast, und wir doch einmal einen gemeinsamen Spaziergang machen…
Niko Walch
Sehr geehrter Herr Schöpf, wenngleich ich viele Ihrer Kolumnen mit Interesse lese, so muss ich zu diesem Beitrag – im Besonderen zur Litanei – widersprechen. Diese von Ihnen verfasste Litanei zeigt nur Ihre – ob zu Recht/Unrecht obliegt Ihnen persönlich – sehr starke Abneigung gegen die Katholische Kirche – wie ist es mit den anderen Religionen? – tendenziös und unreflektiert. Vor einigen Jahrzehnten wären etliche der Vorwürfe angebracht und richtig gewesen, nur haben sich doch im Laufe der Zeit einige – sicher nicht alle – der angeführten Punkte verändert. Und das sollte respektiert und der Richtigkeit halber anerkannt werden, anstelle in der üblichen Katholikenverdammung zu argumentieren. Und dass die Kirche – damit alle Katholikinnen??- den Holocaust als Kollateralschaden akzeptieren würden, finde ich besonders unanständig und falsch gegenüber z.Bsp. in den KZs hingerichteten Priestern! Wollen Sie ehrlich behaupten ein Bischof Reinhold Stecher hätte so gedacht? Pauschale Verurteilungen sind IMMER falsch und Ihrer nicht würdig!
Lieber Alois!
Ich gratuliere herzlich zu deinem Beitrag über die „Hohe Geistlichkeit“ und deren Umfeld.
Viel besser auf den Punkt gebracht, besser die Punkte gebracht, geht fast nicht mehr. Meine Übereinstimmung mit dem Inhalt des Textes beträgt 100%.
Es ist höchste Zeit dafür, dass die Hinwendung zu einer pluralistischen und profanen Öffentlichkeit in Tirol endlich Fahrt aufnimmt. Ich denke, es braucht dazu auch Druck von „unten“ und der fundierten Artikulation, für die du ein hervorragendes Beispiel geliefert hast.
Liebe Grüße
Walter Plasil