Alois Schöpf
Gegen Migration ohne Migranten?
Apropos

Die Analyse der Wahlergebnisse der Nationalratswahl hat ein interessantes Ergebnis erzielt: ausgerechnet in ländlichen Gebieten, wohin sich kaum ein Migrant verirrt, stand das Thema Migration an zentraler Stelle und veranlasste viele, die FPÖ mit ihrer „Festung Österreich“ zu wählen.

Die Demokratie basiert auf der Überzeugung, dass allen Staatsbürgern, was auch immer sie gewählt haben, Denkfähigkeit zugebilligt wird. Daher wäre es zu einfach, das Wahlverhalten derer vom Land einfach als abstrus abzutun. 

Vielmehr sollte man die Frage stellen: Was verbirgt sich hinter der Angst vor einer Migration, die aus der Ferne von realen Problemen etwa in den Schulen großer Städte, von Bandenkriegen und sexuellen Übergriffen befeuert wird, in der konkreten Lebensrealität jedoch kaum eine Rolle spielt?

Die übliche Antwort lautet: Am konservativen Land werden eben die Menschen mit den Veränderungen der Gegenwart nicht fertig. Ob es die Globalisierung oder der Klimawandel mit schmerzhaften Eingriffen in das Gewohnte ist, ob es die neuen Geschlechterrollen sind, die Revolution in der Erziehung, die Verpflichtung, fließend Englisch sprechen zu können, die Einstellung zur Religion und Sexualität : Man will von all dem nichts wissen, knallt die Türen und Fensterläden zu und verschanzt sich hinter der trachtenbewehrten Selbstversicherung landesüblicher Empfänge.

Gerade letzteres würde jedoch eine weitere Dominanz der ÖVP nahelegen. Davon kann aber gerade in Tirol mit einem herben Verlust der ÖVP von 14 %, die ungebremst an die FPÖ übergingen, nicht die Rede sein.

Die Antwort lautet eher: Immer mehr Wähler trauen den klassischen konservativen Parteien nicht mehr die Lösungskompetenz zu, eine konservative Politik zu machen, die auf der Höhe der Zeit ist und dennoch das Althergebrachte schützt. Statt schwarzem Wischiwaschi bevorzugt man den blauen Traum einer Festung.

Erschienen in der Tiroler Tageszeitung am 05.10.2024

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor, Journalist, Veranstalter, geb. 1950, lebt bei Innsbruck, schreibt seit 41 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 34 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Nach seiner Tätigkeit als ORF-Fernsehredakteur für Fernsehspiel und Unterhaltung verfasste Schöpf Romane, Erzählungen, Märchenbücher und in den letzten Jahren vor allem Essays zu relevanten gesellschaftlichen Themen. Daneben schrieb er Theaterstücke und vier Opernlibretti. Schöpf war auch als Blasmusikdirigent tätig und ist Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte, die er 25 Jahre lang bis 2019 leitete. Zuletzt gründete er 2020 das Online-Magazin schoepfblog, an dem 40 renommierte Autorinnen und Autoren mitarbeiten.

Dieser Beitrag hat 8 Kommentare

  1. Fridolin Schranz

    Sehr geehrter Herr Schöpf!
    Als eifriger Leser Ihrer Kolumne in der TT ersuche ich Sie einmal über Ihre Berufskollegen zu schreiben.
    Aus meiner Sicht stellt ein unabhängiger Journalismus einen der wichtigsten Eckpfeiler einer Demokratie dar, indem auch unangenehme Themen Platz haben müssen, angesprochen und publik gemacht werden sollten.
    In unseren öffentlich-rechtlichen Medien werden täglich Informationen nur teilweise wieder gegeben, bzw. Teile davon unterdrückt.
    Tägliche kommentierte kriminelle Handlungen werden von „Österreichern“ durchgeführt, wobei die Mehrzahl dieser Delikte von Migranten durchgeführt werden, welche zwar in Österreich und von Österreichern leben, jedoch keine solchen sind.
    Noch faserweicher berichten die Staatsmedien in Deutschland über dessen „Kalifatsgründer“ in Hamburg, beschwichtigen und unterdrücken grosse Teile der Wahrheit.
    Wenn es stimmt, dass unsere Fr. Zadic mehr als 70 Interventionen in laufende Verfahren durchgeführt hat und davon nicht weiter berichtet wird, dann stellt sich die Frage, ob unser Journalismus Angst vor unseren Regierenden hat, oder schon zu abhängig von deren Zuwendungen an die jeweiligen Zeitungen ist.
    Ich schreibe in dieser Sache Ihnen, da ich in Anbetracht Ihrer bisherigen Zeitungskolumnen davon ausgegangen bin, dass Sie nicht zu der Spezies der käuflichen und eingeschüchterten Journalisten zählen.

  2. Hartlieb Wild

    Sehr geehrter Herr Schöpf,
    neuerliches Danke für Ihre Glosse von heute, zu dem ich noch etwas „Senf“ dazugeben möchte.
    Zu: „in ländlichen Gebieten, also just dort, wohin sich kaum je ein Migrant verirrt, stand das Thema Migration an zentraler Stelle“
    Das erinnert an das Phänomen „Antisemitismus ohne Juden“ [Paul Lendvai, Wien 1972; siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Antisemitismus_ohne_Juden ].
    Und, das Perverse an der „Festung Österreich“ ist, dass die Wirtschaft händeringend Mitarbeiter sucht, während eine rückschrittliche Politik be– und verhindert, dass Migranten rasch arbeiten dürfen (was auch Integration fördern würde!), wenn sie sie nicht hinauswirft, „re-migriert“.
    Und, weil manche meinen, gegen Arbeitsfaule, Sozialschmarotzer, Messerstecher usw. geifern zu müssen, ein kleiner Hinweis: In jeder Gesellschaft gibt es einen kleinen Bodensatz solcher Leute, also auch in der österreichischen, oder? Ein übler Fall wird aufgeblasen, damit man hämisch die große Mehrheit der Anständigen und Ehrlichen anpatzen kann.
    Dass Viele den klassischen konservativen Parteien nicht mehr Lösungskompetenz zutrauen, haben sie sich aus zwei Gründen selber zuzuschreiben:
    1. Es hat sich schon mehrfach gezeigt: Läuft eine Partei dem Geschrei konkurrierender Populisten nach, gewinnt sie keine Stimmen, sondern verliert eher. Dafür verstärkt sie vielmehr das Geschwurbel der Negativpropagandisten.
    2. Konservativ sein heißt: Das Bewährte bewahren, aber das Unpassende erneuern. Erfordert halt kritisches und selbstkritisches Denken. Was wir aber derzeit von führenden Konservativen erleben, ist ein Klammern an der liebgewonnenen Macht, ein Konservieren des Gestrigen ohne positive Perspektiven für die Zukunft…
    Also, wieder zurück in dunkle Zeiten wie in den 1930-er Jahren? Videant civites!
    Ich schließe mich Paul Lendvai an: Mein Österreich … muss vor dem Schicksal einer verschleierten „Orbánisierung“ gerettet werden. (Standard, 30.9.2024)

    1. Robert Muskat

      Lieber Herr Wild, dazu nur ein Gespräch an der Kasse meines Ladens, am Lande natürlich, vom letzten Samstag: der Bauer hinter mir: „s‘ isch scho guat wann dar Kickl gwinnt, weil da weama die Ausländer los! Ich dazu: Als Billigarbeitskräfte sind’s euch gut genug und willkommen, aber wenn sie Hilfe brauchen dann weg damit! Er: Aha, a Greana ! Ich: Sicher nicht, bin aber weder braun noch beim Bauernbund! Schweigen von links!

    2. Otto Riedling

      „Remigrieren“ sollte man auch HK, nämlich nach Radenthein, dort soll er GR sein.

  3. Judith Bodner

    Sehr geehrter Herr Schöpf,
    es gibt noch einen weiteren Grund, die FPÖ zu wählen. Sie war während Corona neben einigen Kleinparteien die einzige Partei im Parlament, die gegen die Impfpflicht gestimmt hat.
    Ich habe mir damals gedacht, das vergesse ich nicht… und ich weiß von etlichen in meinem Bekanntenkreis, dass sie aus diesem Grund die FPÖ gewählt haben. Und auf dem Land gibt es nun mal auch viele Menschen, die selbstbestimmt leben wollen.
    Dies als Ergänzung zu Ihrer Kolumne von meiner Seite.
    Mit den besten Grüßen

    1. Robert Muskat

      Aja, daher also kommt Kickls Idee, der Impfpflicht mit Pferde-Entwurmungsmitteln ein Schnippchen zu schlagen. Vergessen Sie dabei aber nicht, dass dadurch auch Menschen den Tod gefunden haben!
      Außerdem glaube ich, dass so viele die FPÖ gewählt haben, weil Kickl voll den Proleten heraushängen ließ, und der „Pöbel“ lässt sich halt gern bei ein paar Bierchen überreden.

  4. Bettina Kempf

    Sehr geehrter Herr Schöpf!
    Nach Lektüre Ihrer jüngsten Kolumne fühle ich mich gezwungen, Ihnen zu schreiben. Ihre Analyse der ländlichen Bevölkerung und deren Wahlverhalten verkennt die Realität völlig und scheint sich ausschließlich auf Ihre eigene Sichtweise zu stützen. Ich möchte Ihnen klar sagen: Wir, die auf dem Land leben, sind weder hinterwäldlerisch noch dumm, wie Sie es unterschwellig suggerieren.
    Viele von uns pendeln regelmäßig in die Stadt, um notwendige Dinge wie Arztbesuche, Einkäufe oder den Schulweg unserer Kinder zu erledigen. Unsere Kinder gehen abends aus und bewegen sich selbstverständlich auch in urbanen Umgebungen. Die Probleme, die Sie als „fern“ darstellen, sind für uns sehr real – sei es Kriminalität, Gewalt oder die Sorge um die Sicherheit unserer Kinder. Diese Ängste als irrational abzutun, ist nicht nur kurzsichtig, sondern auch uninformiert.
    Ich möchte Ihnen nahelegen, mehr mit den Menschen zu sprechen, über die Sie schreiben, anstatt Ihre eigenen Überzeugungen zur Grundlage einer Pauschalverurteilung zu machen. Journalist zu sein, bedeutet, Fragen zu stellen und die Realität abzubilden – und nicht, eine einseitige Hirnwäsche zu betreiben.
    Ich würde mir von Ihnen eine differenziertere und vor allem fairere Betrachtung wünschen, die auch die Perspektive der Menschen auf dem Land ernst nimmt.
    Mit freundlichen Grüßen

    1. Otto Riedling

      Von „dumm“ und „hinterwäldlerisch“ hat niemand etwas gesagt. Aber sehen sie sich die Wahlergebnisse an.
      Speziell Grenzgemeinden (Spiss, Reingers, etc.) haben einen hohen F-Wähler-Anteil.

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