Alois Schöpf
Es gibt nur eine Wahrheit.
Nur kennen wir sie oft nicht.
Notizen

Hans Rauscher, der berühmte Kolumnisten-Kollege des Der Standard hat unlängst einen Ausdruck geprägt, für den ich ihm mit tiefst empfundener Dankbarkeit sämtliche nur verfügbaren Komplimente gen Osten sende. Er sprach vom Beide Seiten Quatsch, womit er die Gepflogenheit vieler Medien, aber auch der Politik beschrieb, zum Gaudium jenes Teils des Publikums bzw. der Wählerschaft, der aus Prinzip immer dagegen ist, auch wenn es evidenterweise die reine Wahrheit ist, eine Gegenmeinung zu präsentieren und das dann als liberal und demokratisch zu verkaufen, obgleich es nur prostitutiv ist.

Um zu verdeutlichen, was ich meine, erinnere ich an den Privatsender ServusTV, der während der Corona-Pandemie zwecks Anbiederung an geistig nicht gefestigte Verschwörungstheoretiker den übelsten Obskuranten die Bühne öffnete, um kostengünstig Spannung statt aufwändig Information zu bieten. Schlecht ist aber auch nicht oe24 TV, wo Leute wie ein Herr Westenthaler oder ein Herr Grosz jede Menge Sendezeit bekommen, um die Enzyklopädie ihrer dümmsten Vorurteile auszubreiten.

Neben so offensichtlichen Fällen haben wir uns, und daran hat wahrscheinlich nicht einmal Biedermann Rauscher gedacht, im katholischen Österreich schon längst daran gewöhnt, dass wir zwar über Impfgegner mit ihren Aluhüten und ihrer Angst vor Kondensstreifen am Himmel lachen, aber beim unfassbaren Unsinnn, den die Tausendschaften unserer Priester welcher Religion auch immer wöchentlich vom Stapel lassen, mit vollstem Verständnis weghören. Oder dass es auch die hochgelahrte Professorenschaft der Universitäten bis heute zwar opportunistisch gendernd, aber ebenso opportunistisch schweigend duldet, den schwulstigen Aberglauben der Theologie als Wissenschaft anzuerkennen.

Der Beide Seiten Quatsch hat nicht nur den Vorteil, hinter dem Anschein von Toleranz Geldgier, Unbildung, Denkfaulheit, Dummheit und Feigheit zu verbergen, er treibt leider auch die Gesellschaft auseinander. Dieses allseits beklagte Phänomen wird üblicherweise den neuen sozialen Medien des Internet zur Last gelegt, was jedoch als die Selbstbeschwichtigung der klassischen Medien und der sie subventionierenden Politiker einzustufen ist, welche hier bewusst die Folgen einer Katastrophe, die in sich geschlossenen Blasen, mit deren Ursache, dem Abschied von der einen Wahrheit, verwechseln.

Sogenannte in sich geschlossene Blasen können sich nämlich nur dort bilden, wo die uraufklärerische Selbstbeauftragung, nach der Wahrheit zu streben, aufgegeben und das Prinzip des Rauscher’schen Beide Seiten Quatsches inthronisiert wurde. Nur dort, wo es denkmöglich ist, dass verschiedene unumstößliche Wahrheiten nebeneinander existieren können, zerbrechen die sozialen Allianzen, gemeinsam nach der einen Wahrheit zu suchen und sich ihr, die sich nur manchmal enthüllt, im Austausch der Argumente gemeinschaftlich anzunähern. 

Eine deliberative Demokratie kann eben nur funktionieren, wenn alle daran Beteiligten überzeugt sind, dass jeglicher Erkenntnisweg ganz im Sinne der klassischen christlichen Scholastik in Gott oder, säkular gesprochen, in einem Ergebnis endet.

Wenn sich die Suchenden hingegen mit dem Reckwitz’schen Verdikt im Kopf, originell und individuell sein zu müssen, auf unendlich viele Grüppchen verteilen, die sich alle für sich selbst am Feuer dessen zu wärmen versuchen, was ihnen als zentrale Erkenntnis den Zugang zur Welt bestimmt, erweist die Gesellschaft sich zuletzt als ein Lichtermeer einzelner Verrückter und verwunschener Seelen, die als flackernde und stets vom Verlöschen bedrohte Flammen für ihre kleinen Hausaltäre brennen, wie es für die Epoche der alternativen Fakten kennzeichnend ist.

Vor diesem Hintergrund ist Aufklärung, bevor noch Kants Definition überhaupt relevant wird, zuerst der Ausgang aus der selbstverschuldeten Abkehr von der einen Wahrheit. Auf gut österreichisch gesagt: der Abkehr vom Beide Seiten Quatsch!

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor, Journalist, Veranstalter, geb. 1950, lebt bei Innsbruck, schreibt seit 41 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 34 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Nach seiner Tätigkeit als ORF-Fernsehredakteur für Fernsehspiel und Unterhaltung verfasste Schöpf Romane, Erzählungen, Märchenbücher und in den letzten Jahren vor allem Essays zu relevanten gesellschaftlichen Themen. Daneben schrieb er Theaterstücke und vier Opernlibretti. Schöpf war auch als Blasmusikdirigent tätig und ist Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte, die er 25 Jahre lang bis 2019 leitete. Zuletzt gründete er 2020 das Online-Magazin schoepfblog, an dem 40 renommierte Autorinnen und Autoren mitarbeiten.

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