Alois Schöpf
Die Regie entscheidet über den Erfolg
selbst des populärsten Stücks.
Nachtrag zur Premiere der Oper
“Der Rosenkavalier”
am Tiroler Landestheater

In der Wochenvorschau zu dieser Woche erlaubte ich mir die Frage, ob die Damenschaft am Tiroler Landestheater, zumindest aus Angst vor ihrem drohenden Hinausschmiss, begriffen habe, dass das Publikum hierzulande gebildet genug ist, um sich nicht von halbgebildeten Regisseurinnen verärgern lassen zu müssen. Dem sollte, gleichsam aus gewerkschaftlicher Sicht, hinzugefügt werden, dass eine solche Verärgerung etwa im Falle eines Rosenkavalier die teilweise ausgezeichneten Leistungen von siebzig im Programm namentlich genannten Mitwirkenden plus Orchester im Orchestergraben und Personen hinter der Bühne inklusive Einlass, Gastronomie und Garderobe entwerten und, wie schon geschehen, vom Besuch einer ausgezeichneten weiteren Produktion, im konkreten Fall “Falstaff” von Giuseppe Verdi, abhalten kann.

Erst wenn das bisherige Desaster am Tiroler Landestheater auf diese Beobachtung zugespitzt wird, ergibt sich daraus der einfache Lösungsvorschlag, im Fall weiterer Unbelehrbarkeit die Intendanz durch einen Kommissar zu ersetzen, dessen alleinige Aufgabe darin bestünde, die richtigen Stücke auszuwählen und sie Regisseuren oder Regisseurinnen anzuvertrauen, bei denen die Garantie besteht, dass sie wissen, worin ihre Rolle besteht: nämlich ausgehend vom respektvollen Umgang mit Komponisten und Autoren allen die jeweiligen Werke realisierenden Kolleginnen und Kollegen so zu dienen, dass ihnen eine optimale Leistung möglich ist.

Die Tatsache, dass die Co-Direktorin des Tiroler Landestheaters Jasmina Hadziahmetovic dies schon einmal getan und damit durch die Oper Die Liebe zu den drei Orangen von Serge Prokofjew der neuen Intendanz ein hoffnungsvolles Entree verschafft hat, fand nun mit ihrer Regie zu Der Rosenkavalier eine Fortsetzung, die meines Erachtens in den lobenden Kritiken meiner Kollegen Thomas Nußbaumer und Markus Schramek trotz allen Lobs etwas zu wenig gewürdigt wurde.

Die in vielen von uns nämlich verfestigte, glatt gestrichene und harmlose, um nicht zusagen auf Zuckerl-Niveau reduzierte Otto Schenk-Inszenierung des Der Rosenkavalier  wurde hier ohne Brechstange durch einen Realismus ersetzt, der dem Humor des bayerischen Kraftlackels Richard Strauss trotz all seiner raffinierten musikalischen Düfte ideal entspricht. Vor allem wenn man bedenkt, dass Der Rosenkavalier eine Komödie ist, ein Genre also, das sich dadurch auszeichnet, dass die handelnden Personen meist Dinge von sich behaupten, die peinlicherweise dann nicht stimmen, worüber das Publikum dann lacht.

Diesen Effekt erzielt Hadziahmetovic zum einen dadurch, dass sie durch ein Bühnenbild mit Kronleuchtern, Spiegeleffekten und hoch aufragenden Prachtwänden den Plüsch des in der Zeit Maria-Theresias angesiedelten Werks ins Abstruse ironisiert. Dies ermöglicht ihr wiederum eine deutliche, zeitgemäße Personenführung. 

So wird aus den sehr oft narzisstisch sich selbst als Stars feiernden Divas üblicher Staatsopernaufführungen in Gestalt der Gräfin von Susanne Langbein sehr authentisch die schöne reife Frau, die es, mit wem auch immer, noch einmal wissen will, bevor es zu spät ist. Aus dem meist mit blendenden Stars à la Elina Garanca besetzten Octavian wird in Innsbruck ein gerade einmal von seiner Sexualität überwältigter Couchpotato, gespielt von Bernarda Klinar. Aus dem üblicherweise adipösen Ochs von Lerchenau, der in der Regel zwar ein guter Bassist ist, aber deshalb nicht unbedingt auch ein guter Liebhaber sein muss, wird in Gestalt von Johannes Maria Wimmer ein überzeugender Geilist, den sogar der selbst aus transsexueller Sicht nicht gerade attraktive Octavian in Rage bringt. Bleibt noch Sophie, die angeblich nur über die Erfahrung einer Klosterschülerin verfügende Tochter des mit gequälter Stimme auf einen Adelstitel spekulierenden Neureichen Faninal, die sich, gesungen von Annina Wachter, als in Rosa gekleidete, durchaus überständige, da nicht mehr ganz junge Dame präsentiert.

Dieses Quartett aus sich selbst betrügenden und real Betrogenen durchlebt musikalisch, vertont vom ersten Postmodernen der Musikgeschichte, dem genialen Richard Strauss, noch einmal, wie dereinst schon bei Mozart, dessen Schatten mit Le nozze di Figaro über der ganzen Oper liegt, die Irrungen und Wirrungen im Spannungsfeld zwischen Sexualität, Liebe und egoistischer Vorteilsnahme. Grandios! Gratulation!

Um zur Krise des Tiroler Landestheaters zurückzukehren: Durch welche Maßnahmen auch immer der bedauerliche Publikumsschwund aufgehalten und wieder ins Gegenteil verkehrt werden mag: eines sollte den Verantwortlichen klar sein. Die Aufführung der schwierigen und eine große Besetzung erfordernden Oper Der Rosenkavalier  aus hauseigenen Kräften hat gezeigt: Tirol verfügt mit seinem Landestheater und seinem Orchester über einen kulturellen Schatz, dessen Möglichkeiten nicht durch bäuerlichen Geiz ungenutzt bleiben, sondern durch das Bekenntnis zur Spitzenleistung noch wesentlich mehr unterstützt gehört, auf dass der Ruf des Landes der Skifahrer und Bergwanderer auch durch kulturelle Kompetenz befestigt wird.

PS: Die real existierende kulturpolitische Interessenslage unserer politischen Prominenz ergibt sich aus dem Vergleich der Rosenkavalier-Premiere mit dem Konzert der wie eine bessere Dorfkapelle aufspielenden Original Tiroler Kaiserjägermusik am 8. Dezember im Congress Innsbruck, wo die Begrüßung der Ehrengäste nicht enden wollte und selbstverständlich ein Jubelbericht auf der alkoholaffinen Adabeiseite der Tiroler Tageszeitung geschaltet wurde, wohingegen am 14. Dezember im Tiroler Landestheater sowohl die landesübliche Prominenz wie auch der Jubelbericht von der Premierenfeier fehlte.

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor, Journalist, Veranstalter, geb. 1950, lebt bei Innsbruck, schreibt seit 41 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 34 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Nach seiner Tätigkeit als ORF-Fernsehredakteur für Fernsehspiel und Unterhaltung verfasste Schöpf Romane, Erzählungen, Märchenbücher und in den letzten Jahren vor allem Essays zu relevanten gesellschaftlichen Themen. Daneben schrieb er Theaterstücke und vier Opernlibretti. Schöpf war auch als Blasmusikdirigent tätig und ist Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte, die er 25 Jahre lang bis 2019 leitete. Zuletzt gründete er 2020 das Online-Magazin schoepfblog, an dem 40 renommierte Autorinnen und Autoren mitarbeiten.

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