Alois Schöpf
Die Kriminalgeschichte der Wissenschaften
Apropos
Auch in diesem Jahr wird Das Goldene Brett vor dem Kopf für den größten antiwissenschaftlichen Unfug bei einer satirischen Preisverleihung am 25. Oktober im Stadtsaal in Wien überreicht.
Für jeden konsequenten Anhänger der modernen Naturwissenschaften, die unendlich viel Unheil aus der Welt geschafft haben, ist ein solch heiterer Kampf gegen die metastasierenden Verschwörungstheorien zu begrüßen.
Andererseits erinnerte die Veranstaltung auch ein wenig an jene Arroganz, die im Licht großer Triumphe unterschlägt, wie sehr auch die Wissenschaften selbst auf eine stolze Geschichte des antiwissenschaftlichen Unfugs zurückblicken können.
So fühlte sich gerade dieser Tage die dänische Regierung bemüßigt, jene Inuit-Frauen Grönlands um Verzeihung zu bitten, denen, basierend auf wissenschaftlichen Argumenten, wissentlich oder unwissentlich Spiralen zwecks Verhinderung ihrer Vermehrung eingesetzt wurden.
Erinnert sei in diesem Zusammenhang auch an die soeben erschienene Biografie des Schriftstellers Thomas Mann, der ganz offensichtlich homosexuell veranlagt war, jedoch in einer Zeit aufwachsen musste, die an den unsäglichen und menschenverachtenden Unsinn eines Krafft-Ebing glaubte: Er beschrieb im ersten, natürlich wissenschaftlichen Werk der Sexualwissenschaft Psychopathia sexualis aus dem Jahre 1886 die Homosexualität als eine im schlimmsten Fall durch Kastration zu therapierende Krankheit und bescheinigte der Onanie Gehirn- und Rückgraterweichung.
Die Liste solcher das Lebensglück von Millionen von Menschen zerstörenden Unsäglichkeiten könnte lange fortgesetzt werden.
Wäre es vor diesem Hintergrund nicht ein Gebot der Fairness, das Goldene Brett vor dem Kopf nicht nur billig bei den oftmals leicht durchschaubaren Schwurbelkandidaten der Gegenwart, sondern auch in der eigenen Wissenschaft und Wissenschaftsgeschichte zu suchen?
Erschienen in der Tiroler Tageszeitung am 04.10.2025
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