Alois Schöpf
Vor leeren Rängen
Die Katastrophe am Tiroler Landestheater
Eine Bildbetrachtung.

Giuseppe Verdi ist neben Mozart, Rossini, Wagner, Puccini und Richard Strauss nach wie vor einer der erfolgreichsten Opernkomponisten der Musikgeschichte.

Falstaff ist seine letzte Oper und eine der ganz wenigen heiteren Werke, die er komponierte. Am Ende seines Lebens entsinnt Verdi sich angesichts des Lebemenschen und Schürzenjägers Falstaff noch einmal all der musikdramatischen Tricks, mit denen er Karriere machte, und ballt sie in einer virtuosen Montage zu einem Werk zusammen, das vom ersten bis zum letzten Takt von Ironie gekennzeichnet ist und in seiner radikalen Verknappung vor allem vom Orchester alles abverlangt: Leichtigkeit bei gleichzeitig großer technischer Herausforderung.

Falstaff wäre also der geradezu ideale Kompromiss zwischen den vom Tiroler Landeshauptmann eingeforderten Gassenhauern und einer engagierten Intendanz, die es berechtigterweise zu billig findet, die hundertste La Traviata-Inszenierung auch noch in Innsbruck herunter zu kitschen.

13. Oktober 2024 Giuseppe Verdi „Falstaff“ Besucheraufkommen im Tiroler Landestheater Parkett Zeitpunkt der Aufnahme: 19.00 Beginn der Vorstellung
13. Oktober 2024
Giuseppe Verdi „Falstaff“
Besucheraufkommen im Tiroler Landestheater Parkett
Zeitpunkt der Aufnahme: 19.00 Beginn der Vorstellung
Foto: privat

Vor diesem Hintergrund sind die Bilder von der Aufführung vom Sonntag den 13. Oktober, eines unmittelbar vor der Vorstellung um 19.00 aufgenommen, das andere um 20.20 am Beginn der Pause, das Orchester sitzt noch im Graben, umso erschütternder. Auch deshalb, weil die Medien die diesmal ausnahmsweise regietheaterbefreite Inszenierung durchwegs lobte und weiter empfahl.

Trotz alledem wollen Innsbrucks Opern- bzw. Theaterfreunde vom Landestheater nichts mehr wissen. Sie kündigten, wie aus der Presse bekannt, zu Hunderten ihre Abos. Dieser Abgang der Abonnenten konnte über den freien Verkauf nicht im Ansatz wettgemacht werden. Wie sich jetzt überhaupt herauszustellen scheint, dass das Landestheater von einem sehr eng umgrenzten, offenbar kleinen Kreis gebildeter und wissender Theaterbegeisterter am Leben erhalten wird und durch die Abkehr eines erheblichen Teils davon plötzlich als teure, leere Hülse dazustehen droht.

13. Oktober 2024 Giuseppe Verdi „Falstaff“ Besucheraufkommen im Tiroler Landestheater Parkett Zeitpunkt der Aufnahme: 20.20 Beginn der Großen Pause
13. Oktober 2024
Giuseppe Verdi „Falstaff“
Besucheraufkommen im Tiroler Landestheater Parkett
Zeitpunkt der Aufnahme: 20.20 Beginn der Großen Pause
Foto: privat

Eine Hülse, bei der unausweichlich irgendwann die Frage gestellt werden muss, inwieweit es noch vertretbar ist, wenn 200 von der öffentlichen Hand besoldete Kunstangestellte auf und hinter der Bühne für 200 Leute vor der Bühne eine Vorstellung bestreiten. Ganz abgesehen von all jenen jahrelang ausgebildeten und teilweise großartigen Künstlerinnen und Künstlern, die wie die Hunde leiden, wenn sie sich für leere Ränge abmühen müssen, und als Reaktion auf Abende wie den 13. Oktober die ganze Belegschaft des Hauses, ohne es vielleicht selbst zu wollen, in eine Motivationskrise stürzen. Kurz gesagt: Solches wie hier fotografisch festgehalten und belegt, darf sich nicht zu oft wiederholen.

Geschenk an die Welt

Neben der naturwissenschaftlichen Methode ist es wohl die abendländische Musik, die als Klang unserer Seelenlandschaften das wertvollste kulturelle Erbteil ist, das unsere ansonsten missionierende, kolonialistische und brutalistische westliche Kultur der Welt hinterlässt. Auf die Pflege dieses Erbes zu vergessen, liefe auf den Verlust des edelsten Teils unserer Identität hinaus. Daher müssen Oper, Konzert, Ballett und Sprechtheater, vereint in unseren Dreispartenhäusern, besonders in einem Land wie Österreich, das sich stark über seine Kultur definiert, unter allen Umständen gepflegt und trotz aller medialer Konkurrenz an das Publikum und vor allem an die jüngeren Generationen weitergegeben werden. Dies rechtfertigt auch die hohen staatlichen Zuschüsse.

Jacob Phillips (Ford), Cristiana Oliveira (Alice Ford), Abongile Fumba (Mrs. Quickly), Camilla Lehmeier (Meg Page) © Birgit Gufler Falstaff | Jacob Phillips (Ford), Cristiana Oliveira (Alice Ford), Abongile Fumba (Mrs. Quickly), Camilla Lehmeier (Meg Page) © Birgit Gufler

Wenn jedoch aufgrund von Unfähigkeit und dummdreister ideologischer Instrumentalisierung das Publikum in einer Weise verärgert wird, dass es fern bleibt, ist die Intendanz an ihrer wichtigsten Aufgabe gescheitert und die Politik muss, wenn sie noch einen Rest für die sogenannte Hochkultur übrig hat, rasch handeln.

Leere Ränge beweisen nämlich nicht den Bedeutungsverlust der klassischen Musik und Literatur, was rasch von Leuten unterstellt wird, für die die Kultur ohnehin viel zu viel Geld bekommt, sie beweisen lediglich das Unvermögen jener, die nicht nur angestellt wurden, um für hohe Qualität, was im Fall „Falstaff“ gegeben war, sondern auch dafür zu sorgen, dass diese Qualität vor vollen Häusern präsentiert und darüber hinaus für die Verwertung in den Medien dokumentiert werden kann.

Wenn es nicht gelingt, ein ohnehin kleines Haus mit nur 800 Sitzplätzen zu füllen, wenn vielmehr aus Unfähigkeit, dies zu erreichen, 40 Vorstellungen von vorneherein gestrichen werden, kann die Lösung nur lauten: Sofortige Ablösung der künstlerischen Leitung. Die Kosten, die möglicherweise dadurch entstehen, sind die verhältnismäßig noch billigste Investition, um einen langfristigen Niedergang der wichtigsten Tiroler Kultureinrichtung zu verhindern.

Die grandiose Idee unserer beiden entscheidungsunwilligen Verantwortungsträger Mattle und Anzengruber, dem Theater eine hochbezahlte Mediation zu verpassen, ist jedenfalls nicht mehr als eine peinliche Alibiaktion, die an den leeren Rängen in den Sälen nicht das Mindeste ändern wird. Um diese wieder zu füllen, müsste sich wohl eher das ferngebliebene Publikum einer psychologischen Betreuung unterziehen, um Resistenzen gegen blödes Regietheater zu entwickeln.

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor, Journalist, Veranstalter, geb. 1950, lebt bei Innsbruck, schreibt seit 41 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 34 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Nach seiner Tätigkeit als ORF-Fernsehredakteur für Fernsehspiel und Unterhaltung verfasste Schöpf Romane, Erzählungen, Märchenbücher und in den letzten Jahren vor allem Essays zu relevanten gesellschaftlichen Themen. Daneben schrieb er Theaterstücke und vier Opernlibretti. Schöpf war auch als Blasmusikdirigent tätig und ist Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte, die er 25 Jahre lang bis 2019 leitete. Zuletzt gründete er 2020 das Online-Magazin schoepfblog, an dem 40 renommierte Autorinnen und Autoren mitarbeiten.

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