Alois Schöpf
Die Blasmusik als staatlich finanzierter
Akustikmüll
Oder:
Wenn „Woodstock der Blasmusik“
in Kooperation mit dem ORF definiert,
was die „richtige“ Blasmusik ist.
Essay
Zuerst ein paar Fakten: Als die ausschließlich aus Berufsmusikern bestehende Gardemusik des US-Präsidenten, President’s Own genannt, Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg mit einem hochstehenden Programm zwischen Mozart, Smetana und John Philip Sousa wieder einmal eine Europatournee veranstaltete und neben Tschechien und den Niederlanden auch Österreich im Rahmen der Innsbrucker Promenadenkonzerte besuchte, war der Innenhof der Kaiserlichen Hofburg zwar voll mit Geheimdienstleuten, dafür fehlten von unseren Provinzpolitikern alle. Und natürlich fehlten, von jenen der Hauptstadt erst gar nicht zu reden, auch die Vertreter der Provinz-Medien, die sonst immer beflissen Zeit haben, wenn es darum geht, etwa schon Monate vor dem Ereignis ein unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindendes Kammermusik- oder Avantgarde-Festival anzukündigen.
Die Kulturschickeria lässt sich, breithintrig mit dem Myzel ihres kulturellen Kapitals verwachsen, nicht einmal von den 25.000 bezahlten Karten der Innsbrucker Promenadenkonzerte beeindrucken, die zwar längst zur europäischen Topadresse in Sachen Bläsermusik aufgestiegen sind, zu denen aber erst nach Bitten und Betteln vielleicht hin und wieder eine Dame oder ein Herr erscheinen, um einen lieblosen Bericht abzuliefern. Dabei spielen natürlich auch private Rachegelüste eine Rolle, wenn etwa eine Musikkapelle, deren Präsident in einem Leitmedium eine Führungsfunktion innehat, aufgrund mangelnder Qualität nicht mehr eingeladen wird.
Entscheidender ist allerdings das österreichweit gepflegte Vorurteil, dass Blasmusik, auch wenn sie, wie gehabt, von den Bläsern der Wiener oder Münchner Philharmoniker oder von jenen der Mailänder Scala gespielt wird, als konservative, wenn nicht gar rechte Unterschichtkultur eingestuft wird, zu der die zwar schlecht bezahlten, dafür umso eingebildeteren linksliberalen höheren Töchter und Söhne, wie sie die Kulturredaktionen unserer Medien bevölkern, keinen Zugang haben oder auch keinen Zugang haben wollen.
Folgerichtig wird Blasmusik erst zum Thema, wenn sie im Rahmen eines soziologisch passenden musikalischen Proleten-Festivals, wie es unter dem zeitgeschichtlich vollkommen bildungsbefreiten Markennamen Woodstock der Blasmusik zur Winterszeit auch im Tiroler Unterland Station machte, loslegt. Da wird dann, wie dieser Tage am 22.03. in Tirol heute ausführlich berichtet, ein Publikum gezeigt, das in Dirndl und Tracht in begeisterter Stimmung, also vor allem besoffen, laut beim Dem Land Tirol die Treue-Marsch mitsingt. Und es werden Damen und Herrn interviewt, die genau diese Art von Blasmusik geil finden und darin die musikalische Zukunft der Musikgattung sehen, was schon heute zur Folge hat, dass die Konzertprogramme unserer immer wieder als traditionsreich beschriebenen Musikkapellen den letzten, noch entfernt nach Kunst und Kultur erinnernden Geschmack eingebüßt haben.
Dass eine derartige Berichterstattung auch nicht den leisesten Widerspruch der hochmögenden und immer wieder ihre Bildung vor allem als Lehrer vor sich her tragenden Blasmusikfunktionäre zur Folge hat, deren Einrichtungen im Übrigen vom Staat großzügig aus den Kulturbudgets finanziert werden, ist ein Skandal.
Ein Skandal ist es aber auch, wenn ein solcher Protest ebensowenig von den Musikschulen einlangt, deren Aufgabe es ganz bestimmt nicht ist, ihre Schüler mit pädagogischer Finesse zu jenem musikalischen Halligalli-Dreck hinzuführen, der im ORF-Beitrag als Ideal abgefeiert wurde. Und natürlich fehlt auch jeder Einwand vonseiten unserer sogenannten Kulturpolitiker, entweder weil sie zu kulturlos sind, um zu begreifen, was da vor sich geht, oder weil sie Angst haben, immer größere Segmente der Landbevölkerung an die FPÖ zu verlieren.
Dieses Ausbleiben des Protestes aus der Provinz im Dienste der Provinz, ihrer angeblich unverwechselbaren Volkskultur und mittelbar auch im Dienste des Tourismus, ist allerdings nur die Vorstufe der Geschmacksverirrung. Denn der hier geschilderte, gleichsam örtlich beschränkte, musikkünstlerische Verrat an der dereinst einmal mit der Hochkultur innig verbundenen Breiten- und Volkskultur des Amateurmusikwesens wird vom ORF inzwischen österreichweit überboten.
Nicht nur, dass schon im vergangenen Jahr die fix und fertig angelieferten Mitschnitte der Konzertauftritte im Rahmen von Woodstock der Blasmusik abende- und nächtelang übertragen wurden, endgültig kultur-apokalyptisch wird es, wenn der staatliche Sender trotz seiner gesetzlichen Verpflichtung zu einwandfreier Unterhaltung in Kooperation mit Woodstock der Blasmusik einen Wettbewerb auslobt und durchführt, der sich auf die Suche nach jener musikalischen Jauche macht, bei deren Ausschüttung nicht einmal mehr ein Herbert Kickl seine Aschermittwoch-Rede abliefern könnte, so lautstark erfolgen die Rural-Ekstasen.
So heißt es im Ausschreibungstext zu Die große Chance der Blasmusik des ORF: Wenn ihr Konzertsäle füllen, Festivalbühnen rocken und in Bierzelten so richtig einheizen wollt, seid ihr bei DGC25 richtig! Ihr verbindet Tradition mit Moderne, steht für a richtige Gaudi, Geselligkeit, Freundschaft, Kultur, Gemütlichkeit, Party und ausgelassene Stimmung? Dann meldet euch an!
Und weiter: In Kooperation mit dem legendären Woodstock der Blasmusik, sucht „Die große Chance“ die Superstars von Morgen. Moderiert wird „Die Große Chance“ vom bewährten „DGC“-Duo Fanny Stapf und Andi Knoll.
Und abschließend: Auf die Besten wartet ein Preisgeld von insgesamt 50.000 Euro, Auftritte beim Woodstock der Blasmusik 2026 und eine Albumproduktion beim Label „Woodstock Music.
Massenmedial wird also im staatlichen Leitmedium eine ganze Musikgattung, nämlich die Blas- und Bläser, aber auch ein Weltkulturerbe, die auf der Unterhaltungsmusik des 19. Jahrhunderts aufbauende altösterreichische k.u.k. Militär- und Blasmusik, und zusätzlich eine stets der Kunstmusik verpflichtete und das Image des Musiklandes Österreich prägende Volksmusik mit pöbelkompatibler, alkoholgeschwängerter Zeltfestbelärmung überschüttet und unwidersprochen als Genre neu umdefiniert. Die Existenz einer hochwertigen Blas- und Bläsermusik zeitgenössischer Komponisten gerät angesichts eines solchen Umfelds überhaupt aus dem Blickfeld.
Als Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte, der ich mit meinem und dem Engagement meines Teams anhand exzellenter und erfolgreicher Beispiele die zunehmende Kommerzialisierung, Trivialisierung und Verflachung der heimischen Blasmusik verhindern wollte, muss ich, nur noch zynisch lachend, meine Niederlage einbekennen.
Eine Niederlage, die ich nur deshalb nicht als total empfinde, weil ich überzeugt bin, dass ich auch heuer wieder, disponiert von meinem engagierten Nachfolger Bernhard Schlögl, ignoriert von den Musik-Prolos und verachtet von den Kultur-Bobos, wieder wunderbare, hochkünstlerische Konzerte im Juli im Innenhof der Kaiserlichen Hofburg bei den diesjährigen, den 30. Innsbrucker Promenadenkonzerte erleben werde.
Soeben erschienen:
Alois Schöpf: Blasmusikfibel. Konzertieren zwischen Tradition und Moderne. Verlag Hannes Hofinger 2025. 222 Seiten. 15,00 Euro. ISBN: 978-3-9505593-9-2
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Welch wahre Worte lieber Alois.