Alois Schöpf
Der Regisseur Reinhard Schwabenitzky und
"Ein echter Wiener geht nicht unter”
Der ORF duldet Schlamperei und Geschichtsverfälschung
im Hinblick
auf einen seiner größten Erfolge.

Was die Entstehung der sogenannten Kultserie Ein echter Wiener geht nicht unter betrifft, bin ich Zeitzeuge. Ich war nicht nur als Redakteur und Autor damit befasst, sondern auch mit dem im Jahre 2022 verstorbenen Regisseur Reinhard Schwabenitzky, ohne den es den Echten Wiener nie gegeben hätte, eng befreundet und weiß daher genau Bescheid über den Beginn einer Karriere, die von da an steil nach oben führte.

Was diesen Beginn betrifft, darf eine Persönlichkeit nicht fehlen, die wie keine zweite für die künstlerische Freiheit in Folge der 68er-Revolution und der österreichischen Rundfunkreform steht, deren Name jedoch grundsätzlich vergessen wird: Es ist der 2010 verstorbene Hans Preiner, der als Redakteur des Sendeformats Impulse unkompliziert jungen Regisseuren, die gerade die neu gegründete Filmakademie verlassen hatten, ein Budget von maximal 300.000 Schilling zur Verfügung stellte und dafür nach einem halben Jahr Fernsehfilme von 30 bis 45 Minuten zurück bekam. Darunter befanden sich neben viel Schrott auch einige Meisterwerke.

Eines dieser Meisterwerke hieß Ein echter Wiener geht nicht unter, basierte auf dem Roman Salz der Erde des Schriftstellers Ernst Hinterberger und wurde vom Regisseur Reinhard Schwabenitzky realisiert.

Ich kann mich noch genau an die Tage nach Ausstrahlung der ersten Folge erinnern, als die Kronenzeitung und der noch auf gleicher Augenhöhe operierende Kurier voll von Protestschreiben waren und auch beim ORF-Kundendienst, bei dem man damals noch mit jemandem persönlich sprechen konnte, Hunderte Zuschauerreaktionen eingingen, was zur Folge hatte, dass kein Verantwortlicher im ORF je an eine Fortsetzung der Produktion dachte, sondern eher daran, wie man den proletarischen Ausrutscher aussitzen könne.

Ich leitete damals die Sendereihe Geschichten aus Österreich, eine Reihe von kurzen Fernsehspielen, die als weiteres Betätigungsfeld für die nachrückende Generation der Filmschaffenden gedacht war und deren Drehbuchautoren jeweils aus einem der Bundesländer kamen. Es war selbstverständlich, dass auch der offenbar immens begabte Schwabenitzky im Rahmen dieser Sendereihe einen Auftrag bekam und unter dem Titel Verführung einer unmündigen Person ein Fernsehspiel ablieferte.

Durch die damit verbundene enge Zusammenarbeit, die sich rasch zu einer persönlichen Freundschaft entwickelte, erlebte ich auch hautnah, wie die anhaltenden Diskussionen über den redegewandten und auf keinerlei Hilfe von außen, von oben oder seitens einer Partei angewiesenen Edmund Sackbauer nicht abrissen und unsere stets zu radikalem Opportunismus neigenden Chefs in den folgenden Jahren dazu nötigten, unwillig Dreier- oder Vierertranchen für die nachhaltig erfolgreiche Serie zu budgetieren.

Diese geradezu groteske Missachtung eines Projektes, das vom Publikum geliebt wurde, veranlasste Reinhard Schwabenitzky zuletzt, nach der 13. Folge die Regie zurückzulegen, worauf das längst gegen Abstürze gefeite, in sich gefestigte Format für eine weitere Tranche zuerst an Rudolf Jusits, der krankheitsbedingt nur drei Folgen betreuen konnte, und sodann bis zur 24. Folge an Schwabenitzkys Assistenten Kurt Ockermüller vergeben wurde.

Wie eingangs schon erwähnt: Der Erfolg der Serie Ein echter Wiener geht nicht unter ist fast ausschließlich Reinhard Schwabenitzky zu verdanken.

1. Er hat aus einer epischen Milieustudie des Arbeiterdichters Ernst Hinterberger, der in Interviews mehrfach betonte, nie ein Drehbuch geschrieben zu haben, dramaturgisch in sich stimmige Fernsehspiele geformt, für die Hinterberger bestenfalls das Fleisch, Schwabenitzky aber das Skelett geliefert hat, um die diesbezüglich präzise Metapher meines damaligen Kollegen, des Fernsehredakteurs Werner Swossil, wiederzugeben.

2. Diese eigenständigen Serienteile wurden durch Schwabenitzky und seine zur Improvisation ermunterten Darsteller mit jenem Humor und jenen dialektalen Spontandialogen angereichert, die den Mundl im Schutze seines lachenden Publikums vor der politischen Korrektheit der in der Kreisky-Ära sozialistisch formatierten Fernsehgewaltigen schützte, die, meist als kleinbürgerliche Aufsteiger, nie eine Freude mit diesem schonungslosen Nachklang ihrer Herkünfte hatten. Dass Schwabenitzky seinerseits mit dem proletarischen Milieu bestens vertraut war, verdankte er seiner Mutter, die in Salzburg ein einfaches Gasthaus mit stets gut besetztem Stammtisch führte.

3. Reinhard Schwabenitzkys besondere Begabung war es, für die jeweilige Rolle die ideale Besetzung zu finden. Er war es, der den als Schauspieler nur mäßig erfolgreichen Karl Merkatz engagierte und durch die Rolle des Edmund Sackbauer zum Publikumsliebling machte, was Merkatz in typisch schauspielerisch bedingtem Eitelkeitswahn im Alter dazu veranlasste, immer wieder anzudeuten, die Entstehung der Serie sei ihm zu verdanken.

4. Schwabenitzky war es auch, der dem gutmütigen Krakeeler Edmund Sackbauer die gestrenge, verdächtig an seine eigene Mutter erinnernde Gattin Antonia, Toni, gespielt von Ingrid Burkhard, gegenüberstellte. Und er erfand neue Rollen wie den intellektuellen Schwiegersohn der Sackbauers Franzi Vejvoda, den Tiroler Vitus Egger, dessen Existenz und Dialoge bis zu meinem Ausscheiden aus dem ORF zum Teil sogar mir als Redakteur und Autor zu verdanken waren. Ganz bestimmt jedenfalls nicht Ernst Hinterberger, der für die jeweils neuen Folgen bescheiden seine Manuskripte ablieferte, die dann Schwabenitzky umgehend und radikal im Sinne seiner dramaturgischen Vorstellungen umschrieb.


Bilanz

Am Nationalfeiertag, Samstag den 26.10., strahlte ORF III um 20.15 die Dokumentation Ein echter Wiener geht nicht unter – Die Geschichte der Kultserie aus, die nach Angabe der Fernsehanstalt Hintergrundinformationen bieten und Beteiligte zu Wort kommen lassen sollte. Auf meine Anfrage bei der Produktionsfirma Neulandfilm, wer für die Dokumentation als Autor bzw. Regisseur verantwortlich sei, erfolgte keine Antwort.

Internetrecherchen führten zu einem gewissen Thomas Grusch, der sich offenbar neben seiner Arbeit für die Religionsabteilung des ORF und für Willkommen Österreich auf die Geschichten von Kultserien spezialisiert zu haben scheint. Eine gefährliche Drohung! Tatsache ist nämlich, dass hier ein offensichtlich zutiefst uninformiertes, schlampiges und recherchefaules Team eine durch die Ausstrahlung im dominierenden ORF zweifelsfrei gewichtige, jedoch verfälschende Hagiographie produzierte, deren skandalöse Fehlinformationen auf einen einzigen Satz zu reduzieren sind:

Reinhard Schwabenitzky, der entscheidende Gestalter der Serie, wird in der 47 Minuten und 43 Sekunden dauernden Produktion nur einmal kurz von hinten gezeigt und sein Name fällt, undeutlich ausgesprochen, nur einmal im Rahmen eines Interviews mit einer Schauspielerin.

Dafür wird folgenden Personen ein glamouröser Auftritt geboten:

1. Da Herr Grusch es offenbar verabsäumt hat, in den Archiven des ORF die Entstehungsgeschichte der Serie Ein echter Wiener geht nicht unter nachzuverfolgen bzw. zumindest den Abspann der einzelnen Folgen zu analysieren, verließ er sich auf die teilweise unpräzisen Angaben in Wikipedia und kürte Ernst Hinterberger zum alleinigen und entscheidenden Autor der Serie, obgleich Hinterberger, wie bereits vermerkt, lediglich ein Milieu schilderte, aus dem  Schwabenitzky die Serie entwickeln konnte. Damit wird Hinterberger, der bereits verstorben ist, durch die Auswahl seiner Statements nachträglich eine Selbstüberschätzung und Eitelkeit zugeordnet, derer sich der immer bescheidene Autor strikt verweigert hätte.

2. Die fragmentierte Budgetierung der Serie, die zuletzt Schwabenitzky zur Verzweiflung trieb, resultierte aus einem elementaren Desinteresse, das von einem katholisch sozialisierten und jegliche Provokation panisch vermeidenden opportunistischen Intendanten Gerhard Weis seinen  Ausgang nahm. Aber auch der ehemalige Leiter der Fernsehspiel- und Unterhaltungsabteilung Gerald Skyszkowitz, der wegen einer dubiosen Drehbuch-Selbstbeauftragung den ORF frühzeitig verlassen musste, unterschied sich in diesem Punkt nicht von Weis, durfte sich in der Dokumentation jedoch als weltgewandter, toleranter Chef präsentieren, der angeblich das Projekt gegen Widerstände durchgeboxt hatte, obgleich es ihm, man kann es nicht anders formulieren, in Wahrheit am A…. vorbei ging.

3. Karl Merkatz darf, wie schon angedeutet, so tun, als sei der Echte Wiener sein alleiniges Verdienst und seine ganz private geistige Hervorbringung. Eine ungeheuerliche Geschichtsverfälschung!

4. Kurt Ockermüller, der im Hinblick auf seine Karriere als Regisseur Reinhard Schwabenitzky buchstäblich alles verdankt, bringt es nicht über sich, auch nur einen Halbsatz über seinen Vorgänger und Lebensförderer zu sagen.

5. Die Schauspielerinnen Erika Deutinger und Liliane Nelska, die für den Regisseur offenbar leicht erreichbar und auskunftswillig waren, dürfen sich im Verhältnis zu den relativ kleinen Rollen, die sie innehatten, ausführlich äußern, was, wie bei Schauspielern üblich, darin endet, dass sie nur von sich selbst sprechen. Immerhin entschlüpft einer der beiden Damen, allerdings nur in unklarer Aussprache, an einer Stelle das Wort Schwabenitzky. Klaus Rott wiederum schlachtet seine kleine Rolle im Rahmen der Serie für eigene Vortragsabende aus. Dadurch dass all diese Statements unbelästigt durch eine der Historie verpflichtete Gegenrecherche unkontrolliert und unkommentiert ausgestrahlt wurden, entsteht eine verzerrte Darstellung der tatsächlichen Ereignisse. Das ist schlechter Journalismus,  wie er in einem von öffentlichen Gebühren lebenden ORF keinen Platz haben dürfte.

6. Eine höhere Tochter in ihrer Manifestation als Sozialwissenschaftlerin palavert über die 1970er-Jahre und die Tatsache, dass es zum ersten Mal ein proletarisches Milieu zu Fernseh-Ehren brachte. Kein Wort selbstverständlich über die Herkunft Schwabenitzkys und sein intrinsisches Verständnis sogenannten einfachen Menschen gegenüber. Es kann auch mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die dozierende Dame nie den Roman Salz der Erde von Ernst Hinterberger gelesen und sich daraus folgernd die Frage gestellt hat, wie die massiven Unterschiede zwischen dem Buch und der Fernsehserie mit all ihren frei improvisierten, humorgeladenen Slapstick-Szenen zu erklären sind.

7. Es versteht sich, dass in einem Film, der offenbar, schlecht budgetiert, schnell und schlampig heruntergedreht wurde, zum Zwecke der Synopsis der gerade aktuelle Hof-Essayist Franz Schuh nicht fehlen darf. Was dieser mit beeindruckend sonorer Stimme und umfänglicher Autorität ausgestattete, die Welt erklärende Liebling der Wiener Medien-Blase mit der Entstehung des Echten Wieners zu tun hat, bleibt dabei ebenso unbeantwortet wie seine Aussagen zur Serie lediglich Trivialitäten liefern.

8. Das Herstellungsteam reduziert im Übrigen schnitt-technisch den Mundl darauf, dass Karl Merkatz ununterbrochen Trottel, Leck mi am Arsch und Bist deppert brüllen darf, wodurch Der echte Wiener auf eine Art sozialdemokratische Löwinger-Bühne reduziert und Hinterbergers und Schwabenitzkys Leistungen, ein proletarisches Milieu als einen Ort der Humanität, der Lebenskunst und der Lebenslust einem breiten Publikum zugänglich zu machen, noch einmal denunziert wird.

Der echte Wiener geht nicht unter ist ohne Zweifel die größte und bleibende und damit unvergessliche Lebensleistung des Regisseurs Reinhard Schwabenitzky, der sich aufgrund seines Todes nicht mehr gegen ein unverzeihliches Verschweigen seiner Person wehren kann. Ihr verdankt nicht nur der ORF viel, sondern auch die österreichische Bevölkerung, die durch die liebevolle Darstellung einer unter oft böswilligen Klischees vergrabenen Welt des einfachen Arbeiters, sprich Proleten, im besten Sinne aufgeklärt und mit den Mitteln des Humors zu Toleranz erzogen wurde. 

Dies verfälschen und denunzieren zu lassen, ist schändlich.

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Robert Muskat

    Danke für diese wunderbare, detaillierte und persönliche Beschreibung. Und: mei Bier is net deppert !

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