Alois Schöpf
Wer schützt unsere Schwerkranken
vor der Brutalität des Katholizismus?
Die Caritasdirektorin Elisabeth Rathgeb
erhielt einen hohen Tiroler Orden,
während sie zeitgleich eine Informationsveranstaltung
zum selbstbestimmten Sterben untersagte.
Essay
Mag. Klaus Schönach, Obmann des auf Beihilfen und Förderungen aller Art spezialisierten gemeinnützigen Vereins Rechtsladen Tirol, organisiert seit sechs Jahren für die Caritas Tirol Fortbildungsveranstaltungen zu juristischen Themen, die für pflegende Berufe, Sozialarbeiter und Interessierte allgemein von Bedeutung sein können. So auch Anfang dieses Jahres, das im Bereich der Pflege durch das Urteil des österreichischen Verfassungsgerichtshofs geprägt ist, demzufolge der Österreichischen Gesellschaft für ein humanes Lebensende (ÖGHL) die Möglichkeit eingeräumt wurde, die Öffentlichkeit über ihre Aktivitäten zu informieren, insofern das bislang strikte und mit hohen Strafen belegte Werbeverbot auf den Begriff des Anpreisens eingeschränkt wurde.
Da Pflegende und Angehörige durch die Liberalisierung der Gesellschaft und die zunehmend offenen Diskussionen über selbstbestimmtes Sterben als ein vom Verfassungsgerichtshof im Rahmen der Menschenrechte angesiedeltes Persönlichkeitsrecht, Art und Zeitpunkt seines Todes selbst zu bestimmen, immer öfter mit diesbezüglichen Fragen und Wünschen Schwerstkranker konfrontiert werden, befand Schönach, dass es sinnvoll und notwendig sei, das seit Jänner 2022 gültige und nicht unkomplizierte, da von vielen Vorsichtsmaßnahmen gekennzeichnete Sterbeverfügungsgesetz zum Gegenstand zweier Vorträge zu machen.
Dabei sollte ein Vortrag von der Palliativmedizinerin und geschäftsführenden Obfrau der ÖGHL Frau Dr. Christina Kaneider gehalten werden. Der zweite von Frau Maria Sachsenmaier, die als Krankenpflegerin über ihre Erfahrungen berichten sollte, Sterbeverfügungen im Rahmen eines Altersheims zu errichten und selbstbestimmtes Sterben auch im Rahmen einer solchen Institution zuzulassen. Beide Damen waren Schönach durch Berichte in den Medien, insbesondere im Rahmen von Tirol heute-Sendungen des ORF und durch Berichte in der Tiroler Tagezeitung aufgefallen.
Kaneiders Vortrag hätte sich in Absprache mit Schönach und der Leiterin des Bildungszentrums der Caritas Mag. Daniela Felder mit der grundsätzlichen Frage befasst, was eine Patientenverfügung bzw. eine Vorsorgevollmacht überhaupt ist? Ebenso hätte sich Kaneider mit dem Basiswissen über den Assistierten Suizid und das Sterbeverfügungsgesetz mit seinen rechtlichen, medizinischen und psychosozialen Aspekten sowie ihren praktischen Erfahrungen als Palliativmedizinerin befasst. Thematisiert worden wären auch mögliche Grauzonen des Sterbeverfügungsgesetzes, die Neuerungen des Sterbeverfügungsgesetzes durch das VfGH-Urteil vom 12.12.24 und die Psychodynamik von Sterbewünschen im Allgemeinen und assistierten Suizidwünschen im Speziellen.
Frau Sachsenmaier wiederum hätte, wie bereits angedeutet, im zweiten Teil des Vormittags über ihre praktischen Erfahrungen mit Suizidwünschen im Rahmen des Altersheims und über ihren Umgang mit schwerkranken Patienten berichtet, die einen dringenden Wunsch nach Errichtung einer Sterbeverfügung äußern. Inwieweit sich diese Kommunikation in Abstimmung mit den Angehörigen, den Ärzten und in Form eines empathischen Eingehens auf die Befürchtungen und Ängste der Leidenden abzuspielen hat, wäre ebenfalls Teil ihres Vortrags gewesen, der nach den Ausführungen Dr. Kaneiders im Haus der Begegnung am Rennweg in Innsbruck am 13. März 2025 gehalten werden sollte.
Leider wurden diese bereits in Form von fertigen Einladungen vorliegenden Pläne zweier engagierter und fortschrittlicher Mitarbeiter der Caritas und einer mit den Leiden von Menschen in der letzten Lebensphase konfrontierten Ärztin bzw. Pflegerin aufgrund eines Befehls von oben ohne weitere Diskussion unterbunden und Herr Mag. Schönach genötigt, sich mit folgendem Brief an die Geschäftsführerin der ÖGHL zu wenden.
Sehr geehrte Frau Dr. Kaneider,
heute früh habe ich mit Frau Felder telefoniert. Zunächst hat es geheißen, die Veranstaltung soll um ein Jahr verschoben werden. Ihren Wunsch um eine schriftliche Begründung und ein Gespräch mit Frau Rathgeb habe ich deponiert und die Antwort bekommen.
„Da noch keinerlei Kontakt von unserer Seite aus mit Fr. Dr. Kaneider sowie Fr. Sachsenmaier war, soll die Information über diese Änderungen bitte von dir erfolgen. Der Grund für die Entscheidung zu den Änderungen im Programm ist der, dass die Caritas einen anderen Zugang zu diesem Thema verfolgt und deshalb eine Zusammenarbeit auf Referent*innenebene nicht vorgesehen ist.“
Der letzte Satz des Schreibens, das von der Direktorin der Caritas Mag.a Elisabeth Rathgeb verfasst wurde und nach internen Informationen mit dem militanten Gegner des Sterbeverfügungsgesetzes, dem Chef der Tiroler Hospizbewegung Mag. Werner Mühlböck abgesprochen war, demaskiert die Gesinnung einer Organisation, die sich zwar Caritas, zu Deutsch Nächstenliebe nennt, in Wahrheit jedoch eine von mittelalterlichen Dogmen bestimmte, gegen alle Gebote der Menschlichkeit und der demokratischen Gesprächsbereitschaft mit administrativer Macht operierende Kaderorganisation ist, die geblendet von einer durch das Konkordat aus der Zeit des Austrofaschismus staatlich sanktionierte Macht übersieht, wie sehr sie sich zu jegliche Humanität missachtenden bis hin zu strafrechtlichen Vergehen hinreißen lässt.
Moralische und strafrechtliche Verfehlungen?
Zu einem im Rahmen der Menschenrechte garantierten Persönlichkeitsrecht gibt es nur einen Zugang: Es zu bejahen und seine Verwirklichung nicht zu behindern. Dass die von der katholischen Kirche und ihrer Dogmatik formatierte Caritas dies anders sieht, ist allseits bekannt und ergibt sich aus der spätplatonistischen und im Katechismus unter Nr. 2280 festgehaltenen These:
Jeder ist vor Gott für sein Leben verantwortlich. Gott hat es ihm geschenkt. Gott ist und bleibt der höchste Herr des Lebens.
Daraus folgt für den gläubigen Christen, dass ein selbstbestimmtes Sterben als Eingriff in göttliches Eigentumsrecht verurteilt werden muss, da der Mensch lediglich der Verwalter, aber nicht der Eigentümer des Lebens ist. Dieses gehört ausschließlich Gott, der es bei der Zeugung gibt und beim Tod nimmt.
In einer liberalen Demokratie kann jeder und jede jeden Unsinn glauben, sofern ihn dieser nicht zu moralischen Fehlentscheidungen und konkreten Gesetzesübertretungen verleitet. Dass sich die Caritasdirektorin Elisabeth Rathgeb mit ihrer Entscheidung, Kaneider und Sachsenmaier auszuladen, wie bereits angedeutet, sowohl moralische als auch möglicherweise strafrechtliche Verfehlungen zuschulden kommen ließ, ergibt sich aus Folgendem:
1. Durch Rathgebs Absage wurde nicht nur gegen das Grundrecht auf Meinungsfreiheit verstoßen, sondern auch pflegenden Berufen bzw. Angehörigen Schwerstkranker im Rahmen von Caritas und Hospiz relevante und wichtige Informationen vorenthalten, ein Umstand, der wiederum zwangsweise zur fehlerhaften Behandlung Schwerstkranker in der terminalen Phase führen muss.
2. Der von Rathgeb sowohl gegenüber Dr. Kaneider als auch gegenüber mir telefonisch geäußerte Einwand, die Geschäftsführerin der ÖGHL verfolge bestimmte Interessen und betreibe Lobbyismus, indem sie für das Sterbeverfügungsgesetz werbe, unterstellt sowohl der ÖGHL als auch ihrer Geschäftsführerin genau jene vom Verfassungsgerichtshof verbotene Anpreisung, die mit hohen Strafen belegt ist, und missachtet die Tatsache, dass es der ÖGHL und Kaneider, wie aus dem Programmentwurf eindeutig abzulesen ist, ausschließlich um eine objektive Information in Sachen Sterbeverfügung geht. Die Unterstellung Rathgebs kann somit als Rufschädigung im Hinblick auf die Position Kaneiders als frei praktizierender Ärztin als auch im Hinblick auf den guten Ruf der ÖGHL im Hinblick auf ein gesellschaftlich hochrelevantes Thema in Betracht gezogen werden.
3. Das Sterbeverfügungsgesetz enthält unter Paragraph 2 ausdrücklich das Verbot der Diskriminierung jener, die ein selbstbestimmtes Sterben ablehnen bzw. es befürworten. Die Hospizbewegung, welche die Errichtung von Sterbeverfügungen bzw. selbstbestimmtes Sterben in ihren Räumlichkeiten nicht dulden will, umgeht dieses Diskriminierungsverbot über ihre Hausordnungen, die für alle gelten, also nominell niemanden diskriminieren. Es stellt sich die Frage, ob die Absage der bereits vereinbarten Vorträge von Kaneider und Sachsenmaier und der Versuch, ihr dafür vorgesehenes Honorar zu schmälern, nicht ebenso, obgleich nicht unmittelbar in den Vollzug einer Sterbeverfügung eingebunden, die Diskriminierung zweier Personen aufgrund ihrer Bejahung des Sterbeverfügungsgesetzes durch die Caritas in Person ihrer Direktorin Rathgeb darstellt?
4. Nur noch die Hälfte der Österreicher ist katholisch, von dieser katholischen Hälfte sind lediglich 13 % als gläubige Katholiken zu betrachten, insofern sie regelmäßig ihrer Sonntagspflicht nachkommen. Unter wohlwollendem Aspekt unterwirft also die von der katholischen Dogmatik dominierte Caritas bzw. Hospizbewegung die Hälfte der Österreicher einer Ideologie, der sie fernsteht bzw. die vom gebildeteren Teil der Bevölkerung als mit den Erkenntnissen der modernen Naturwissenschaften unvereinbarer Aberglaube abgelehnt wird. Unter weniger wohlwollendem Aspekt ist es nur noch eine kleine Minderheit von religiösen Fanatikern und ihren bezahlten Funktionsintellektuellen, die eine große Organisation unter das Diktat ihres weltanschaulichen Unsinns stellen und dadurch
5. großes und unnötiges menschliches Leiden in Kauf nehmen, insofern Menschen dazu genötigt werden, ihre Krankheit bis zum fiktiven Ende eines sogenannten natürlichen Todes, den es aufgrund der Eingriffe der Medizin längst nicht mehr gibt, ertragen zu müssen. Diese Ungeheuerlichkeit geht im Übrigen von einer Organisation aus, die zu 90 % von Zuschüssen des Staates und von Spenden lebt und nur zu 10 % von jener Kirche finanziert wird, die sich für diesen geringen Anteil das alleinige ideologische Herrschaftsrecht herausnimmt.
Bilanz:
Dass ausgerechnet die Direktorin der Caritas Tirol Elisabeth Rathgeb, die sich mit ihrer Organisation in der geschilderten Weise menschenverachtend verhält, zum gleichen Zeitpunkt unter Beisein der Landeshauptmänner von Tirol und Südtirol am Hinrichtungstag von Andreas Hofer mit dem Ehrenzeichen des Landes Tirol ausgezeichnet wurde, erinnert geradezu drastisch an den Fall des Blasmusikanten Sepp Tanzer, dem aufgrund seiner nationalsozialistischen Gesinnung nachträglich die Auszeichnungen des Landes aberkannt werden sollen.
In gleicher Weise, wie es nämlich bei Tanzer statt Aberkennung darum ginge, viel zu spät darüber nachzudenken, wie es geschehen konnte, dass eine Persönlichkeit wie er nach kurzer Entnazifizierung in Tirol wieder zur Ikone der Volkskultur aufsteigen konnte, wird eine Zeit kommen, in der man verständnislos auf den Umstand zurückblickt, dass eine Persönlichkeit wie Elisabeth Rathgeb, die sich, ihre eigenen Mitarbeiter bloßstellend, in den Dienst einer realitäts- und wissenschaftsfernen Ideologie gestellt hat, von offenbar uninformierten und intellektuell überforderten Politikern eine hohe Auszeichnung des Landes überreicht bekam. Es wäre angebracht, inzwischen durch Tanzer belehrt, sofort über einen solchen Skandal nachzudenken und nicht erst ein halbes Jahrhundert später, wenn alle Verantwortlichen sich durch ihr Ableben der Verantwortung entzogen haben.
Organisationen wie die Caritas, vor allem jedoch die Hospiz-Bewegung gehören auf ihren Führungsebenen im Sinne einer deliberativen Gesellschaft umgehend dem Einfluss von Religionsgemeinschaften entzogen.
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Kann man die von den Themen her sehr interessanten Vorträge in einem anderen Rahmen hören?
Frau Dr. Kaneider muss nur dazu eingeladen werden. Kontakt kann ich vermitteln. A. Schöpf
Was sagt es über Frau Mag. Rathgeb, wenn sie – ganz offenkundig – solche Angst vor demokratischer Diskussion und Information über Menschenrechte der Patient:innen auf einer österreichischen Gesetzesgrundlage (Sterbeverfügungsgesetz) hat?
Die Antwort kann für mich nur sein: Sie begreift, dass sehr viele Menschen ein Leben als „fremdbestimmtes Vegetieren mit Schmerzen bzw. nur schwer betäubt auszublendenden Schmerzen“ nicht per se als sinnvoll bzw. pflichtschuldig gegenüber höheren Mächten zu erduldend verstehen.
Das bedingt, dass für sehr viele ein selbstbestimmtes Ende, bevor man auch hinsichtlich der eigenen Würde von einer Erkrankung geradezu ausradiert wird, attraktiv erscheinen kann.
Daher sollen die Patient:innen ihrer Menschenrechte und (ohnehin legistisch stark eingeschränkten Entscheidungsfreiheit) mittels Informationsverhinderung und Gesinnungszwang bei sonstigem „Liebesentzug“ verlustig gehen. Auch ich empfinde, dass diese Gesinnung und Vorgangsweise der Selbstbezeichnung „Caritas“ komplett widerspricht.
Und dass „unsere Politiker“ öffentliche Gelder für Organisationen mit derartigem Gesinnungszwang verwenden bzw. solche Proponenten belobigen, ist rein erbärmlich.
Das sage ich als jemand mit großem Respekt vor den vielen Menschen, die für die katholische Kirche humanistisch tätig sind. Aber wenn „Liebe deinen Nächsten“ das Wort ist, das nach allen Verbrechen, die über die Jahrtausende begangen wurden, die „moderne katholische Kirche“ kennzeichnet – so liegt hier tatsächlich ein Skandal vor. Religiös wie umso mehr demokratiepolitisch!
Wieso diese Kritik? Ich glaube kaum, dass eine Fleischereikette Kurse für veganes / vegetarisches
Essen in Ihren Räumlichkeiten abhalten lässt bzw. diese fördert.