Alois Schöpf
Im Schatten des Banausentums
Die Kulturnation Österreich leistet sich
Andi Babler als Kulturminister.
Notizen

Um feierlich ein Festival mit anschließendem Sektempfang zu eröffnen, muss man nichts von Kultur verstehen. Die humanistischen Phrasen, die dabei gedroschen werden, schreibt ohnehin jemand anderer. Denn wie sollte man von Leuten Bildung, gar eine humanistische verlangen, wenn die Kultur nicht nur während des Wahlkampfs, sondern auch bei den anschließenden Regierungsverhandlungen prinzipiell kein Thema ist, bis sich zuletzt doch einer oder eine ihrer erbarmt und sie übernimmt, um vielleicht die Gender-Quote oder auch nur das persönliche Image aufzubessern.

Ganz bestimmt aber nicht, weil er oder sie eine Ahnung davon hätte, wie das etwa bei den Bauern mit ihren Kühen oder in der Gesundheitspolitik mit all den neuesten Computertomographen als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt wird. Zur Kultur fühlen sich, wenn es schon sein muss, alle befähigt, sofern sie nur lesen und schreiben können und schon einmal mit dem Bus in Verona waren, um „Aida“ anzuschauen.

Diese Diagnose trifft punktgenau auf Tirol zu, wo zuerst eine dichtende Lehrerin und Laienschauspielerin Unheil anrichten durfte und jetzt ein Elektrounternehmer sich zu Höherem berufen fühlt. In der Landeshauptstadt wiederum ist es, wie könnte es im Herz der Alpen anders sein, ein Gastwirt, der sich für kompetent genug hält, gemeinsam mit dem Elektriker zu verhindern, dass das hochsubventionierte Tiroler Landestheater endgültig herunter gewirtschaftet wird und das Schicksal des Wiener Volkstheaters erleidet. Man kann den beiden Herren nur alles Gute wünschen.

Im konkreten Fall betrifft die Diagnose allerdings jüngste Vorkommnisse auf Bundesebene, hat sich doch der ehemalige Traiskirchener Bürgermeister im Zuge der Koalitionsverhandlungen die Kultur geschnappt: Andi Babler, wie er im Volksmund genannt wird, der inzwischen nicht nur zum Vizekanzler und Minister für den Öffentlichen Dienst, sondern auch noch zum Medien-, Sport- und, wie gesagt, Kultusminister aufgestiegen ist.

Erstaunlich ist schon, dass sich in die Wahlreden des neuen Ministers kaum jemals das Wort Kultur verirrt hat, womit der Schluss zulässig ist, dass ihm selbige nur insofern ein Anliegen ist, als die Kulturschaffenden in der schwindenden Konkursmasse der SPÖ-Wähler einen letzten stabilen Faktor darstellen. Wie es ja auch die Bauern in der nicht minder angeschlagenen ÖVP sind, weshalb sich bei den Bürgerlichen die Kultur längst aufs Land zurückgezogen hat und sich über die Ästhetik des Musikantenstadls und des vorausgegangenen Festgottesdienstes definiert, eine Art ruraler Identität unter Obstbäumen also, die unter dem Titel Volkskultur subsumiert wird und, wie die soziologische Verortung schon andeutet, politisch Ländersache ist.

Diese Flucht der Bürgerlichen, die in Nachfolge des Adels die Hochkultur der Kulturnation Österreich von der Oper bis zu den Konzerten und Theatern über Jahrzehnte mitgeschaffen haben, aus der urbanen Gegenwart in eine ländliche Welt von Gestern ist eine unentschuldbare Schande, die nur damit zu erklären ist, dass die Parteistrategen der ÖVP nach einem halben Jahrhundert sozialdemokratischer Kulturpolitik die Kultur und die Kulturschaffenden in den Städten, wo die Partei auch sonst an den Rand der zehn Prozent herabgewählt wurde, endgültig abgeschrieben haben.

Umso beherzter schlägt dafür in der Steiermark die neue FPÖ/ÖVP-Koalition zu, indem sie die erwähnte Volkskultur der Landmenschen gegenüber der sogenannten Gegenwartskunst der Städter bevorzugt, was unweigerlich eine Resolution unseres seit Jahrzehnten bewährten Resolutionsdichters Gerhard Ruiss von der IG Autorinnen Autoren zur Folge hat, der zufolge mit Bestürzung der Versuch der steirischen Landesregierung beobachtet wird, die vielfältige Kunst- und Kulturlandschaft der Steiermark „auszuhungern und zu zerstören“.

Wenn man die Unterschriften unter dieser neuesten Resolution inklusive all jener Damen und Herren zusammenzählt, die als Vereinsvorstände nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Mitglieder vertreten, geht Bablers Kalkül, sich die Kultur als Wählerreservoir unter den Nagel zu reißen, ohne etwas davon zu verstehen, zweifelsfrei auf, ergibt doch die Gemeinschaft der Protestierenden inklusive ihrer Bekannten und Verwandten zahlenmäßig locker ein zusätzliches Mandat, auf das die Partei dringender denn je angewiesen ist.

Dies jedoch bedeutet, dass sich unter dem Sozialdemokraten Babler, dem niederösterreichischen Totalprovinzler, die nunmehr seit einem halben Jahrhundert gestrickten Kulturseilschaften, Zitations-Karusselle, Jury-Mafias und Subventionsabzocker-Claims inklusive ihrer Kinder, Kindeskinder und jungen Freundinnen, die gefördert werden müssen, weiterhin in Sicherheit wiegen dürfen. Weder ihre Existenz noch ihre Einkünfte sind gefährdet, an der Rangliste der größten Künstler wird sich, auch wenn sie in Wahrheit noch so aufgeblasen und langweilig sind, weiterhin nichts ändern. Freude darf also aufkommen.

All jene jedoch, die sich immer schon, wenn etwas nach Partei oder Religion oder Vereinsleben roch, unwohl fühlten und ihren Platz, meist unfreiwillig, zwischen den Stühlen aufschlagen mussten, sollten wissen, dass angesichts der neuen Regierung die Wahrscheinlichkeit nicht abgenommen, sondern eher zugenommen hat, auch noch die letzten Lebensjahre anerkennungslos verbringen zu müssen. Möge solches den letzten Freien nicht allzu sehr aufs Gemüt schlagen.


Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.


Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen

Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor, Journalist, Veranstalter, geb. 1950, lebt bei Innsbruck, schreibt seit 41 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 34 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Nach seiner Tätigkeit als ORF-Fernsehredakteur für Fernsehspiel und Unterhaltung verfasste Schöpf Romane, Erzählungen, Märchenbücher und in den letzten Jahren vor allem Essays zu relevanten gesellschaftlichen Themen. Daneben schrieb er Theaterstücke und vier Opernlibretti. Schöpf war auch als Blasmusikdirigent tätig und ist Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte, die er 25 Jahre lang bis 2019 leitete. Zuletzt gründete er 2020 das Online-Magazin schoepfblog, an dem 40 renommierte Autorinnen und Autoren mitarbeiten.

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. walter plasil

    Mein Kommentar von zuvor ist wohl gründlich danebengegangen. Weder Alois Schöpf und schon gar nicht der von ihm initiierte und betreute Blog haben etwas Provinzielles. Im Gegenteil dazu. In der Tiroler Medienwelt gibt es nichts Vergleichbares. Und Alois müsste man auch öfter mal dafür richtig loben, dass er sich die unbezahlte Arbeit antut.
    Aber weil ich weiß, dass Alois auch für alle Stimmen offen ist, auch wenn sie gerade nicht ganz genau seine Meinung vertreten, erlaube ich mir, noch etwas zum Thema zu bemerken.
    Mit Tiroler Provinz habe ich natürlich das Auftreten bestimmter Menschen gemeint, die wir genauer kennen und gegen deren Ansichten auch manche Schöpfblog-Autoren ständig ankämpfen. Oder gibt es vielleicht gar keine Provinziellen in Tirol?
    Das führt mich zur Frage : Die diskriminierende Zuschreibung, die einer Person im Wort von „provinziell“ unterstellt wird, wie wird die begründet?
    Sind wir alle, die außerhalb der Hauptstadt wohnen oder alle, die aus Bundesländern stammen, deswegen „provinziell“? Wann darf man jemanden oder etwas als „provinziell“ titulieren? Ich meine, damit sollten wir vorsichtiger umgehen. Das stelle ich zur Diskussion.
    Liebe Grüße

  2. walter plasil

    Die Beurteilung, ob die Zuschreibung an den neuen, für Kultur zuständigen Minister, als niederösterreichischen Totalprovinzler, die aus der bekannt weltmännischen, fortschrittlichen, experimentierfreudigen, kunstsinnigen Provinz Tirol erschallt, zutrifft, scheint mir, vorgebracht nach wenigen Stunden der Tätigkeit des neuen Ministers, etwas vorschnell gewesen zu sein.
    Liebe Grüße
    Walter Plasil

    1. schoepfblog

      Geschätzter Walter! Vielleicht bemühst du dich doch einmal, in Wikipedia meinen beruflichen Weg zu studieren, dann kommst du möglicherweise nicht auf die Idee, meine Arbeit und mein Denken mit dem von mir immer wieder heftig kritisierten rückwärtsgewandten und provinziellen Tirol gleichzusetzen. Zumal du dich fragen solltest, ob du nicht deinen guten Ruf als Schreiber beschädigst, wenn du in einem dergestalt provinziellen Tiroler Blog wie dem vorliegenden deine Werke veröffentlichst.
      Mit besten Grüßen Alois

    2. Reinhard Kocznar

      Herr B. wäre zweifellos als Beauftragter für die burgenländisch/kubanische Freundschaft geeignet, die er mit seinem Ernesto-Wein begießen könnte. Sonst kann man sich als steuerzahlender Citoyen nur freuen, wenn sein Wirken möglichst lange unbemerkt bliebe.

Schreibe einen Kommentar