Alois Schöpf
Wenn der Zeitgeist zu Geiz animiert.
Apropos

Staatliche Einrichtungen verkaufen ihre Begehrlichkeiten stets mit dem Versprechen, die solcherart ihres Geldes erleichterten Bürger würden daraus nur Vorteile ziehen. Dies gilt natürlich auch für das Trinkgeld, dessen pauschalierte Sozialversicherungsbeiträge angeblich zu höheren Pensionen führen. 

Die einen überzeugt dieses Argument, die anderen überhaupt nicht, zumal sie der Selbstvorsorge der Bürger eine effizientere Intelligenz zumuten.

Während über dieses Problem gerade heftig diskutiert wird, droht all jenen, die in ihren oft schweren Dienstleistungsberufen auf Trinkgeld angewiesen sind, noch größeres Unheil. Inzwischen ist es nämlich Mode geworden, selbst kleinste Beträge mit Karte zu bezahlen.

Dass diese Bezahlweise dem Slogan Geiz ist geil! eine schäbige Wiederauferstehung verschafft, wird im besten Fall aus Unkenntnis übersehen oder aus guten Gründen ignoriert.

Was die Unkenntnis betrifft, so wissen viele nicht, dass sie bei Kartenbezahlung auch einen höheren Betrag eingeben können, als die Rechnung ausmacht, was den Nachteil hat, dass die Dienstgeber genau über die zusätzlichen Einkünfte ihrer Dienstnehmer informiert sind. 

Zugleich entsteht für jene, die ihre Ausgaben beim Finanzamt geltend machen wollen oder sonst rechtfertigen müssen, das Problem, dass die Rechnungssumme nicht mit dem tatsächlich Bezahlten übereinstimmt. 

Die einzige praktikable Lösung, den Rechnungsbetrag mit Karte zu bezahlen und das Trinkgeld in bar zu geben, scheitert zudem immer öfter daran, dass viele Kartenfans kein Bargeld mehr bei sich haben.

All die hier aufgezählten Schwierigkeiten bilden die ideale Voraussetzung dafür, das Trinkgeld überhaupt einzusparen. Leider ist die Natur des Menschen nämlich so beschaffen, dass der Geiz Triumphe feiert, wenn er nicht sozial geächtet wird. Mit der Karte bezahlen macht diese Untugend geradezu gesellschaftsfähig!

Erschienen in der Tiroler Tageszeitung am 07.06.2025

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor, Journalist, Veranstalter, geb. 1950, lebt bei Innsbruck, schreibt seit 41 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 34 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Nach seiner Tätigkeit als ORF-Fernsehredakteur für Fernsehspiel und Unterhaltung verfasste Schöpf Romane, Erzählungen, Märchenbücher und in den letzten Jahren vor allem Essays zu relevanten gesellschaftlichen Themen. Daneben schrieb er Theaterstücke und vier Opernlibretti. Schöpf war auch als Blasmusikdirigent tätig und ist Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte, die er 25 Jahre lang bis 2019 leitete. Zuletzt gründete er 2020 das Online-Magazin schoepfblog, an dem 40 renommierte Autorinnen und Autoren mitarbeiten.

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