Alois Schöpf
Vor 200 Jahren wurde Johann Strauss geboren.
Apropos
Große Musik entsteht, wenn sich zwischen E und U, also zwischen sogenannter Ernster Musik und Unterhaltungsmusik, keine Abgründe auftun: Weil eben auch die ernste Musik unterhaltsam und die unterhaltsame Musik ernst sein kann. Dies gilt für den Jazz zwischen Duke Ellington und George Gershwin ebenso wie für Johann Strauss und Johannes Brahms, der den Walzerkönig ob seiner Melodien bewunderte.
Apropos Walzer: Der entwickelte sich aus den Deutschen Tänzen und Ländlern, von denen Mozart und Schubert jede Menge komponierten. Und auch Polka und Marsch waren nicht Besonderheiten von E oder U, sondern fanden, tausendfach für die Militärmusikkapellen geschaffen, Eingang in die Symphonien eines Gustav Mahler und Dmitri Schostakowitsch.
Insofern ist die derzeit beliebte Beschreibung von Johann Strauss als des ersten King of Pop irreführend. Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts nämlich erwies sich die Welt der abendländischen Musik von der Volks- und Kirchenmusik über die Unterhaltungsmusik der Dynastie Strauss bis hin zum wohl genialsten Vertreter der klassischen Moderne Richard Strauss, der eine Walzermelodie seines Namensvetters zum Markenzeichen seiner erfolgreichsten Oper Der Rosenkavalier machte, als eine geschlossene Welt.
Mit dem Ende des alten Europa zwischen 1914 und 1945 zerbrach diese Einheit in tausend globalisierte Stücke, von denen jede Blase eines abbekommen hat: Volkstümliches fürs Land; Rock, Pop, Hip-Hop, Rap und Techno für die Stadt; Volksmusik für die braven Alten, Jazz für die weniger braven; Klassik für die Reste des begüterten Bürgertums und Avantgarde für die sich fortschrittlich Wähnenden.
Die Litanei der Vereinzelung auch in der Musik hat kein Ende. Daraus ergibt sich die Bedeutung von Strauss: Zumindest beim Donauwalzer und Radetzkymarsch gibt es noch ein österreichisches Wir-Gefühl. Etwa fünfzehn Minuten!
Erschienen in der Tiroler Tageszeitung am 31.10.2025
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