Alois Schöpf
„Orden aberkennen“ ist zu billig!
Apropos

Ausgangspunkt war in den 1990er-Jahren die geradezu groteske Aussage eines Blasmusikprominenten vor den versammelten Kapellmeistern und Musikvereins-Obleuten Tirols, der meinte: Was dem Österreicher Wolfgang Amadeus Mozart, Josef Haydn und Franz Schubert seien, sind dem Tiroler Sepp Tanzer, Sepp Thaler und Josef Eduard Ploner.

Da alle drei Tonschöpfer, um im Jargon ihrer Gesinnung zu bleiben, brav dem Naziregime gedient hatten, wies ich, verärgert über einen solch geballten musikgeschichtlichen Unsinn in einem ORF-Fernsehinterview zum ersten Mal öffentlichkeitswirksam auf Tanzers Vergangenheit als Nazi und Gaumusikleiter hin, was mir umgehend durch Stornierung eines Auftrags berufliche Nachteile einbrachte.

Aufgrund dieser Vorgeschichte fühle ich mich autorisiert, den Plan der Tiroler Landesregierung, neben anderen Persönlichkeiten auch Sepp Tanzer die Auszeichnungen des Landes abzuerkennen, mit einem großen Fragezeichen zu versehen, wenn ihn nicht überhaupt als scheinheilig einzustufen.

Mit einer solchen Aberkennung würde nämlich durch die Benennung eines konkreten Sündenbocks kollektiv eine Vergangenheit zwecks endgültigen Vergessens ins Abseits gestellt, die viel dringender einer Aufarbeitung bedürfte als die Tatsache, dass Sepp Tanzer ein Opportunist war, dem jedoch kein gravierendes Verbrechen vorgeworfen werden kann.

Denn die wirklich interessanten Fragen lauten doch: Warum konnte Tanzer nach kurzer Entnazifizierung wieder so rasch zum Landeskapellmeister und Abteilungsleiter im ORF Tirol aufsteigen, neben Fritz Prior sitzend die Stückliste für Wertungsspiele mit seinen eigenen Werken füllen und zu einer Ikone der Tiroler Identität werden?

Will man sich mit der Aberkennung seiner Orden die peinliche Erkenntnis ersparen, dass sich die Volkskultur Tirols bis in die jüngste Vergangenheit herauf nicht aus ihrem braunen Schatten gelöst hat?

Erschienen in der Tiroler Tageszeitung am 15.02.2025

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor, Journalist, Veranstalter, geb. 1950, lebt bei Innsbruck, schreibt seit 41 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 34 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Nach seiner Tätigkeit als ORF-Fernsehredakteur für Fernsehspiel und Unterhaltung verfasste Schöpf Romane, Erzählungen, Märchenbücher und in den letzten Jahren vor allem Essays zu relevanten gesellschaftlichen Themen. Daneben schrieb er Theaterstücke und vier Opernlibretti. Schöpf war auch als Blasmusikdirigent tätig und ist Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte, die er 25 Jahre lang bis 2019 leitete. Zuletzt gründete er 2020 das Online-Magazin schoepfblog, an dem 40 renommierte Autorinnen und Autoren mitarbeiten.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Richard Lipp

    Sehr geehrter Herr Schöpf!
    De mortuis nil nisi bene – über die Toten spricht man nicht, es sei denn Gutes! Unabhängig von der aktuellen Diskussion: Die Toten können sich gegen die Anschuldigungen nicht mehr wehren! Vollkommen uninformiert habe ich 2013 gegenüber einem kompetenten Gesprächspartner die Frage gestellt (es ging um die Namensgebung für eine Musikschule), was man heute (also 2013!) über Sepp Tanzer wisse, was man damals nicht wusste. Ich erhielt die Antwort, dass immer alles bekannt gewesen sei. Meine Meinung damals, die ich auch heute habe: Eine Aberkennung wäre nur dann gerechtfertigt, wenn wichtige Fakten verschwiegen worden wären. Das war aber nicht der Fall. Ich betonte damals, dass wir in Reutte keine Diskussion über den Musiker Fritz Engel brauchen. Sie kam analog zu Tanzer trotzdem, aber wir haben sie erfolgreich abgewehrt. Anstatt die „braunen Schatten“ (Ihr Zitat) von damals zu bemühen, sollten wir uns der heutigen, die leider keine Schatten, sondern Realität sind, annehmen.
    Mit freundlichen Grüßen

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