Alois Schöpf
Merkel und die Nulllohnrunde
Apropos
Angela Merkels jüngst erschienenes Buch “Freiheit: Erinnerungen 1954 – 2021“ ist für politisch Interessierte eine Pflichtlektüre. Zum einen schildert die ehemalige Bundeskanzlerin Deutschlands darin ihre Jugend als Pastorentochter in der DDR so nüchtern und analytisch, wie es eben ihre Art ist. Gerade durch diese Nüchternheit jedoch erhält man Einblick in einen Staat, der, obgleich eine üble Diktatur, von vielen aufgrund gewisser Versorgungssicherheiten noch heute mit Nostalgie betrachtet wird.
Interessant ist das Buch aber auch, weil Merkel mit einer für Autobiografien sehr seltenen Selbstkritik auf ihre eigene Arbeit schaut und nicht ohne Humor die Zufälle ihrer Karriere als Politikerin Revue passieren lässt.
Der wichtigste Teil des Erinnerungsbuches besteht jedoch darin, dass hier umfassend ein Überblick über das Berufsfeld einer Spitzenpolitikerin geboten wird.
So zählt Merkel, alphabetisch geordnet, 72 verschiedene, oft wöchentlich, monatlich und selten jährlich wiederkehrende Terminverpflichtungen auf, die es zu bewältigen galt. Diese reichen von Interviews in den Medien über Fraktions- und Parlamentssitzungen bis hin zu den Treffen im Rahmen der EU, der G8, der UNO bis hin zum Besuch des eigenen Wahlkreises Vorpommern-Rügen.
Ich nehme an, dass die meisten Normalbürger, ich inklusive, dieses stets in tadelloser Kleidung und Laune zu absolvierende Monsterprogramm nicht einmal ein Monat lang bewältigen würden. Wobei von Verantwortung und Erfolg bzw. Misserfolg erst gar nicht die Rede ist.
Vor diesem Hintergrund wirkt der Beschluss unserer Bundespolitiker, sich für 2025 eine Nulllohnrunde aufzuerlegen, zu selbsterniedrigend und populistisch.
Denn wie soll man eine anstrengende, verantwortungsvolle und das Privatleben nahezu eliminierende Tätigkeit je würdigen, wenn sie von den Betroffenen nicht einmal einer Valorisierung für wert befunden wird.
Erschienen in der Tiroler Tageszeitung am 14.12.2024
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