Alois Schöpf
Kickl wird Kanzler!
Die Träne quillt.
Ein Lachanfall

Im Zuge der innenpolitischen Turbulenzen der letzten Tage spielte die Frage eine Rolle, ob der ehemalige Bundeskanzler Sebastian Kurz an ein Comeback denke. Angeblich hat er inzwischen schon abgesagt, da er unter Herbert Kickl nicht den Vizekanzler spielen möchte und vernünftigerweise die Ergebnisse der gegen ihn laufenden Gerichtsverfahren abwarten muss. Wobei, soviel sei zu seinem Trost gesagt, inzwischen nicht einmal eine Verurteilung das Ende seiner Karriere bedeuten müsste, ist doch selbst der neue/alte Präsident der USA Donald Trump ein sogenannter verurteilter Straftäter.

Das Wort sogenannt ist dabei bewusst gewählt. Denn so klar es auch zu sein scheint, dass Trump es mit den Gesetzen nicht immer genau nimmt, so sicher sind sich viele Kommentatoren in den USA auch darüber, dass dort die Justiz längst instrumentalisiert wurde, um damit politisches Kleingeld zu machen. Dies bewies ja auch der Umgang mit dem Sohn des scheidenden Präsidenten Joe Biden, weshalb Hunter Biden von seinem Vater begnadigt wurde, um nicht der Rache Trumps ausgesetzt zu sein, der immer noch der alternativen Überzeugung ist, dass ihm von Joe Biden die Wiederwahl 2021 gestohlen wurde.

Aber auch hierzulande steht die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) schon länger im Verdacht, aus politischen Gründen Verfahren gegen Personen anzustrengen und hinauszuziehen, um sie aus dem politischen Geschäft zu halten. So dauert etwa das Verfahren gegen Karl-Heinz Grasser, wie man diesen flotten Herrn auch immer einschätzen mag, inzwischen 16 Jahre. 

Oder, um auf den hier entscheidenden Punkt zu kommen: Weshalb ist der Prozess gegen Sebastian Kurz wegen angeblicher Falschaussage vor dem sieben Stunden währenden parlamentarischen Untersuchungsausschuss inklusive Berufung noch immer nicht abgeschlossen? Und weshalb liegt in Sachen Inseratenaffäre bzw. Beinschab-Tools seit 2021 nicht einmal eine Anklage vor?

Dass diese Zeitverzögerungen absolut skandalös sind, bestätigen selbst seriöseste Mitglieder des staatlichen Justizapparats. Und der Verdacht, dass hier politische Motive mitspielen, ist ebenso nicht von der Hand zu weisen. Aber selbst dann, wenn man unverbrüchlich an die Anständigkeit der Menschheit glauben sollte und geschichtsvergessen dem Rechtsstaat als einer Art Ersatzreligion huldigt, ist die Tatsache nicht zu leugnen, dass viele Zeitgenossen sehr glücklich darüber sind, – inzwischen vielleicht nicht mehr in diesem Ausmaß – wenn der Politstar Sebastian Kurz aufgrund der gegen ihn angestrengten Verfahren aus der Politik ausstieg bzw. aussteigen musste und ihr noch lange fernbleibt.

Allein die Tatsache, dass unser Tiroler Berufsprominenter und vor undenklichen Zeiten dereinst als EU-Kommissar tätiger Franz Fischler in der Tiroler Tageszeitung von Sebastian Kurz und seinen Pavianen sprechen konnte, ohne für diese diskriminierende Beleidigung auch nur von irgendeiner Seite gerügt zu werden, belegt einen geradezu pathologischen Hass auf einen Politiker, der zweifelsfrei die größte Begabung ist, die Österreich seit Bruno Kreisky hervorgebracht hat.

Was sind das aber für Leute, die sich zu solch abgründigen Emotionen hinreißen lassen? 

Im Zusammenhang mit dieser Frage empfiehlt sich die Lektüre von Werken der Soziologen Andreas Reckwitz und Ingolfur Blühdorn, die einen vollkommen neuen und originellen Blick auf die gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte werfen.

So schildert Andreas Reckwitz in der seine zentralen Thesen zusammenfassenden Essaysammlung Das Ende der Illusionen den Aufstieg einer neuen Klasse, die von der sogenannten 68er-Revolution ihren Ausgang nahm und Kreativität, Individualisierung, Singularisierung und Selbstvermarktung zum Pflichtenkatalog erhob. Mittels ihres sprichwörtlichen Marsches durch Institutionen wie Schulen, Universitäten, Medien, Gewerkschaften, Parteien, Verwaltung, Kunst und Kultur gelang es dabei im Laufe der letzten Jahrzehnte erfolgreich, die Themen- und Meinungsführerschaft zu erobern und den erfolgreichen Aufstieg vom Kleinbürgertum in einen neuen urbanisierten Mittelstand mit der Moral der Wokeness und des Gutmenschentums vor Angriffen auf die meist aus öffentlichen Budgets finanzierten Privilegien abzusichern. Soweit die Thesen von Reckwitz, hier naturgemäß satirisch auf die Spitze getrieben.

Ingolfur Blühdorn wiederum beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit die Versprechungen dieses neuen Mittelstandes im Hinblick auf ein besseres Leben und eine bessere Welt tatsächlich eingelöst wurden. Der Autor verneint es in seinem Buch mit dem bezeichnenden Titel Unhaltbarkeit und beschreibt damit die politische Ausgangslage einer Auseinandersetzung, die durch den toskanischen Luxus der einen, deren Grundsatz es ist, Linksliberalität im Denken mit Neoliberalität im Handeln zu verbinden, und durch die Verärgerung jenes Teils der Gesellschaft gekennzeichnet ist, der zunehmend keine Lust mehr verspürt, sich seine Einkommensverluste und Probleme als die skurrilen Nöte der Abgehängten und Zurückgebliebenen, der Modernisierungsverlierer und Globalisierungsopfer abqualifizieren zu lassen. Die Tatsache, dass dem sinkenden Wohlstand vieler dann auch noch die Würde ihres Verlustschmerzes genommen wird, führte zu einer immer deutlicheren Stärkung jener reaktionären Heimatparteien, die das Heil in einer zumindest kulturellen Rückabwicklung der vergangenen Jahrzehnte sehen.

Angesichts eines solchen Spannungsverhältnisses und der daraus resultierenden innenpolitischen Entwicklung bleibt tatsächlich nur noch ein von Bitternis gekennzeichneter zynischer Lachanfall die adäquate Reaktion.

Denn genau jener Sebastian Kurz, dem es gelungen ist, als konservativer Politiker den sogenannten rechten Narrensaum der Republik an sich und damit an die politische Mitte zu binden, wurde aus panischer Angst, der in den letzten Jahrzehnten errungenen Pfründe der Steuergeldumleitung verlustig zu gehen, mittels eines von politischen Gegnern, Medien, Justiz und einem grünen Präsidenten glänzend instrumentierten Staatsstreichs ins politische Aus geschickt und wird bis heute von der Justiz daran gehindert, daraus zurückzukehren, um seine vor dem Untergang stehende ÖVP zu retten.

Denn dies müsste selbst dem flammendsten Kurz-Hasser klar sein, dass derzeit ausschließlich dieser Sebastian Kurz  imstande wäre, den Höhenflug der FPÖ unter ihrem Volkskanzler Herbert Kickl zu stoppen.

Das Bad wurde also mit dem Kind ausgeschüttet. Der Teufel mit dem Beelzebub vertrieben. Der Bock zum Gärtner gemacht. Wer einen Sumpf trockenlegen will, darf nicht die Frösche fragen.

Kurz und gut: Herzliche Gratulation!

Literatur:
Andreas Reckwitz. Das Ende der Illusionen. Politik, Ökonomie und Kultur in der Spätmoderne. 2019. Ed. Suhrkamp 2735.
Ingolfur Blühdorn. Unhaltbarkeit. Auf dem Weg in eine andere Moderne. 2024. Ed. Suhrkamp 2808.

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

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