Alois Schöpf
In welcher Staatsform leben wir?
Apropos

Ohne mich in die konkrete Problematik „Unterbürg“ bei St. Johann einmischen zu wollen: die Vorgänge dort sind aus einer etwas distanzierteren Sicht durchaus bemerkenswert.

Da beschließt nämlich der vom Volk gewählte Gemeinderat, eine von vielen als besonders schön empfundene Wiese mit Bauernhof in ein Gewerbegebiet umzuwidmen. Der Plan stößt auf Widerstand, worauf eine Volksbefragung abgehalten wird, die sich bei einer Beteiligung von 44,06 % der Wahlberechtigten mit 55,83 % der abgegebenen Stimmen gegen diese Umwidmung ausspricht. Konkret bedeutet dies, dass ca. 23 % der Wahlberechtigten einen Beschluss gekippt haben, der von den gewählten Repräsentanten dieser Wahlberechtigten mehrheitlich gefällt worden ist.

Solches passiert in abgewandelter Form in Tirol ununterbrochen. Man denke nur an Kraftwerksbauten, die durch Einsprüche von NGOs, Gemeinden oder Initiativen unendliche Genehmigungsverfahren durchlaufen. Oder man denke an den Zusammenschluss von Skigebieten, die abgeblasen werden müssen, weil die Verantwortlichen vor einer Unterschriftenaktion in die Knie gehen. Oder man denke an die Pläne, im Sinne nachhaltiger Energie Windparks zu errichten. Keine Chance!

Ob es nun eine repräsentative Demokratie ist, in der wir derzeit leben, oder eine direkte Demokratie, die von vielen angestrebt wird: hilflos sitzt die Politik zwischen den Stühlen, indem sie einerseits zu feig ist, ihre in den Gremien als richtig erkannten Beschlüsse im Zweifel auch unter Polizeischutz durchzuziehen. Andererseits ist es zum Volkssport geworden, gegen alles und jedes, das einen ärgert, aufzubegehren, um es unter dem Motto „direkte Demokratie“ unmöglich zu machen.

Die Folge solcher Unentschiedenheiten ist dann Stagnation. Alles bleibt, wie es ist. Und wenn es sich dennoch verändert, wird es einfach verboten.

Geht es vielleicht deshalb unserer Wirtschaft so schlecht?

Erschienen in der Tiroler Tageszeitung am 29.03.2025

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor, Journalist, Veranstalter, geb. 1950, lebt bei Innsbruck, schreibt seit 41 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 34 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Nach seiner Tätigkeit als ORF-Fernsehredakteur für Fernsehspiel und Unterhaltung verfasste Schöpf Romane, Erzählungen, Märchenbücher und in den letzten Jahren vor allem Essays zu relevanten gesellschaftlichen Themen. Daneben schrieb er Theaterstücke und vier Opernlibretti. Schöpf war auch als Blasmusikdirigent tätig und ist Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte, die er 25 Jahre lang bis 2019 leitete. Zuletzt gründete er 2020 das Online-Magazin schoepfblog, an dem 40 renommierte Autorinnen und Autoren mitarbeiten.

Dieser Beitrag hat 5 Kommentare

  1. Brigitte Geiger

    Herr Schöpf,
    ihr heutiger Artikel, ganz meine Meinung.
    Es ist immer leicht zu rebellieren, wenn man nicht in der Verantwortung steht und Dinge zum Wohle und Interesse aller nachhaltig durchsetzen muss.
    Gut, dass das mal wieder jemand anspricht.
    Schönes Wochenende

    >

  2. Ernst Steger

    Sehr geehrter Herr Schöpf,
    Sie sprechen mir in Ihrem Kommentar in der TT vom Samstag „In welcher Staatsform leben wir?“ aus der Seele. Ich muss somit auf die einzelnen Punkte, die Sie anführen, gar nicht näher eingehen.
    Ich hoffe nur, dass Bürgermeister Stefan Seiwald und der Gemeinderat von St.Johann mutig genug sind, um den einstimmig (MIT den Stimmen der Grünen) gefassten Beschluss zur Errichtung des Gewerbegebietes Unterbürg umzusetzen.
    Sollte es so sein, dass tatsächlich die Mehrheit ALLER Wahlberechtigten gegen diese Vorgangsweise ist, besteht bei den kommenden Gemeinderats- und Bürgermeisterwahlen die Möglichkeit, dem mit einer entsprechenden Stimmabgabe Ausdruck zu geben. Wie es in der Staatsform, in der wir leben, üblich und richtig ist.
    Wobei ich anmerken möchte, dass bei der betreffenden Befragung fast 60 Prozent der Wahlberechtigten aus St.Johann NICHT abgestimmt haben – aus welchen Gründen auch immer.
    Somit würde eine absolute Minderheit einen eindeutigen (100 Prozent) Mehrheitsbeschluss eines demokratisch gewählten Gremiums aushebeln. Unter dem Deckmantel „Direkte Demokratie“.
    Mit freundlichen Grüßen

  3. Christine Holzner

    Sehr geehrter Herr Schöpf!
    Wie immer sind Sie sehr lesenswert und bringen mich zum Nachdenken. Ob es der Wirtschaft so schlecht geht, weil in einer Volksabstimmung ein Gewerbegebiet, ein Skigebiet oder ein Windpark abgelehnt wird? Wohl eher fraglich; da wüsste ich schon andere Schuldige als ausgerechnet das abstimmende oder sonst sich zur Wehr setzende Volk.
    Und wenn es so wäre, wäre es zunächst mal Volkes Wille. Wobei man sich natürlich zu Recht fragen kann, ob ein Ergebnis wie in dem aktuellen Fall von 23 % unterm Strich ausreicht: Wie man das sieht, hängt wohl auch davon ab, ob man mit dem Ergebnis d’accord geht oder nicht.
    Womit wir beim Casus knacksus wären: Es ist schon ein Problem unserer Zeit, dass niemand mehr bereit zu sein scheint, ein ihm gegen den Strich gehendes Ergebnis, ob nun in der Politik oder in anderen Lebensbereichen (ich sage nur: Schulnoten und Helikoptereltern) auch einfach mal zu akzeptieren, ohne gleich jeden Hebel gegen den Entscheider in Bewegung zu setzen.
    Andererseits: Wenn es Instrumente gibt, warum sollte der Bürger sie nicht nutzen?
    Wer für eine Volksbefragung seinen Hintern nicht von der Couch bekommt, muss halt mit dem Ergebnis leben, das ihm der aktivere Teil des Volkes beschert.
    Da hilft dann wohl nur ein vernünftiges Quorum (über dessen Höhe man dann auch wieder trefflich streiten kann …).
    Oder wir nehmen uns doch mal ein Beispiel an der Schweiz. Auch wenn sich dort leider die Zeiten ebenfalls in Richtung „Mein Standpunkt und sonst keiner“ zu ändern scheinen: Wenn das Volk die Zügel in direkten Abstimmungen von Anfang an in der Hand hat, scheinen die Ergebnisse auf größere allgemeine Akzeptanz zu stoßen als bei der indirekten Variante.
    Mit freundlichen Grüßen

  4. Walter Pittracher

    Sehr geehrter Herr Schöpf,
    Hier bin ich mal anderer Meinung. Manchmal ist ein Korrektiv auf solche Art sinnvoll – hab ich in der eigenen Gemeinde schon erfahren, wo dann die Mehrheit des GR umgeschwenkt ist [Thema war der Bebauungsplan].
    Mit freundlichen Grüßen

  5. Werner Hautz

    Sehr geehrter Herr Schöpf,
    gratuliere zu Ihrem Artikel am Samstag in der TT, wieder einmal haben Sie mir aus der Seele gesprochen.
    Die Arbeit unserer Politiker ist ja wahrlich nicht die einfachste. Wenn unsere Bürgermeister, Bezirkshauptmänner (gegebenenfalls auch -frauen), Landeshauptleute u.ä. dann das machen, wofür wir sie gewählt haben, nämlich Ihre Arbeit zum Wohle ihres Einflussgebietes, und dann jede ihrer Entscheidungen torpediert wird, ist es kein Wunder, dass wir kaum noch vernünftige Leute finden, die diesen Job machen wollen.
    Es ist für mich völlig unverständlich, dass immer, wenn etwas gebaut werden soll, reflexartig eine Gegeninitiative entsteht, ungeachtet dessen, ob das geplante Bauwerk einen Mehrnutzen für alle bringt. Sei dies ein Mehrwert an Arbeitsplätzen, zusätzliche Einnahmen für Gemeinde oder Land, das dann auch wieder allen zugute kommt, oder eine Erleichterung für die Fortbewegung (Fernpasstunnel, Luegbrücke, S-Link in Salzburg).
    Einerseits wird allseits von unseren Politikern Kompromissbereitschaft eingefordert, welche wir andererseits mit Füßen treten, wenn es uns selbst betrifft … Nur mit Populismus werden wir aber leider nicht weiterkommen …
    Vielen Dank für Ihre mutigen Worte und Ihre Darstellungen. Weiter so 😊.

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