Alois Schöpf
Ich klage jeden, der mich Künstler nennt.
Notizen
Das Wort Künstler ist schon sehr eigenartig, zum Beispiel im Verhältnis zum Wort Installateur, das einen, wenn man es ausspricht, nach einer kleinen Öffnung in der zweiten Silbe gleich in den Keller schickt, wo ein Wasserrohrbruch zu reparieren ist. Oder gar das Wort Arzt, eine Lautfolge mit langem Griff und spitzer Klinge, die diagnoseschwer für jede Sopranlage ungeeignet ist.
Da ist Künstler schon von einem anderen Kaliber, besonders wenn es gewisse Damen aussprechen, die arg in Erregung geraten, wenn sie jemanden vor sich haben, den sie als Sänger oder Sängerin, Schauspieler oder Schauspielerin, Dirigenten, Regisseur oder eben auch als Schriftsteller, wie ich selbst einer bin, vors Mikrophon bekommen.
Bereits das Ü am Beginn des Wortes ist fast schon ein Lust- oder Brunftschrei, der wegführt aus der Einöde des Vernunftgebrauchs und weit in die Höhen der Distinktion verweist. Auf kühn: Ja, nur der kühne Regisseur, Dirigent, Schriftsteller, Sänger, Schauspieler ist des Ehrentitels Künstler wert. Nur wenn eine Inszenierung kühn gegen den Strich gebürstet ist, aus der Partitur neue kühne Klänge erklingen, der Schriftsteller in seinem soeben erschienenen Roman kühn mit den Perspektiven spielt oder Sänger und Schauspieler sich mit äußerstem Körpereinsatz tollkühn in ihre Rollen stürzen.
Nur ein dieserart aufschwingendes KÜ ist befähigt, den weiblichen Mund der interviewenden Bewundererinnen dazu zu nötigen, das Rätsel der Kunst in der enigmatischen Buchstabenfolge STL wahr werden zu lassen und mit eleganter Bewegung affirmativ in den obersten Rang der edelsten, dem Priestertum nahen Berufe zu heben. Probieren Sie es doch selbst vor dem Spiegel und versuchen Sie, das Geheimnis des STL mit Eleganz zu vereinen.
stl….stl…stl…stl…
Sollte es Ihnen gelingen, kommen Sie in die Nähe dessen, was ein Künstler ist, und Sie erkennen voll Bewunderung, dass er auf alle Fälle als etwas weit Höheres zu gelten hat als ein Installateur oder Arzt. Wenn es Ihnen andererseits nicht gelingt, weil Sie das alles hier nicht glauben wollen, schalten Sie am Sonntag nach 11.00 das Sonntagskonzert auf Ö1 ein, wenn zwischen Beethoven, Bruckner und Schostakowitsch mit Künstlern gesprochen wird, eine Sendung, zu der, man weiß nie recht, aufgrund welchen wienerischen Heurigenbesuchs, Leute eingeladen werden, die sich zwischen den Genies der Musikgeschichte als ebensolche des waltenden Zeitgeists präsentieren.
Die Trivialitäten, mit der sie ihre Karriere schönreden und für sich Werbung machen, indem sie von ihrer gerade faszinierendsten Inszenierung, ihrem gerade beglückendsten Dirigat, ihrer originellsten Romanidee oder der Rolle ihres Lebens schlechthin schwärmen, ist derart anbiedernd, dass, wenn sie nun tatsächlich Künstler wären, die Kunst als die Vollendung der Hurerei einzustufen wäre, was sie ja in vielen Fällen ist.
Wenn man hingegen annimmt, dass sich, ohne dabei der Hurerei die Ehre abschneiden zu wollen, wahrhaftige Meisterschaft noch selten, wie viele Lebensbeschreibungen und Briefwechsel bedeutender Künstler der Vergangenheit belegen, mit Selbstüberschätzung bei gleichzeitig würdeloser Speichelleckerei verbunden hat, wird man sinnvollerweise zum Schluss kommen: Wenn heute jene interviewt würden, deren Werke an solchen Sonntagen aufgeführt werden, würden sie nicht wie Künstler, sondern wie Installateure und Ärzte sprechen.
Womit dargelegt ist, weshalb ich klagen würde, wenn mich jemand mit der Berufsbezeichnung Künstler beleidigen wollte. Ich bin zwar nach 50 Jahren ein Meister meines Faches, indem ich schreibe, wie ein Installateur montiert oder ein Arzt operiert. Und obgleich ich immer wieder zur Selbstüberschätzung neige, kann ich mich nicht erinnern ein Speichellecker und befähigt zu sein, die vornehmen Damen der Kulturredaktionen in Erregung zu versetzen.
Denn ich bin kein Künstler und will es auch nicht sein. Handwerker zu sein reicht und ist mir Ehre genug.
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